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Uncensored Playlist von "Reporter ohne Grenzen"
Pressezensur musikalisch unterlaufen

Harte Texte, modern vertont: Um die Zensur in vielen Ländern dieser Welt zu umgehen, hat die Organisation "Reporter ohne Grenzen" kritische Journalisten weltweit Songs schreiben lassen. Auf Streamingplattformen finden diese nun ihren Weg zum Publikum.

Von Michael Meyer |
    Der Mund einer Frau ist mit zwei Heftplastern zugeklebt.
    Wer nicht reden darf, soll singen: In Berlin hat die Nichtregierungsorganisation "Reporter ohne Grenzen" eine "Uncensored Playlist" mit kritischen Songs vorgestellt. (picture alliance / imageBROKER)
    "All my life I held my head up high ..." - So klingt es, wenn der brasilianische Musiker und Produzent Lucas Meyer mit seiner Band einen Song der "Uncensored Playlist" spielt.
    Die Idee für das Projekt der "Unzensierten Playlist" stammt nicht von den Musikern selbst, sondern von einer Werbeagentur, die immer wieder soziale Projekte unterstützt. Marco Lemcke hat das Projekt mit der Nichtregierungsorganisation "Reporter ohne Grenzen" entwickelt und gemeinsam dann fünf Journalisten ausgewählt, die für das Projekt in Frage kamen:
    "Dann haben wir angefangen, einen nach dem anderen, mit Journalisten Interviews zu haben. Wir haben wirklich per Skype mit denen telefoniert, um überhaupt herauszufinden, worum geht’s denen, wie viel wollen wir von denen zeigen, wollen die selber Sachen aufnehmen? Also wir wussten ja gar nicht, wie die Musik am Ende aussieht. Und so haben wir langsam unsere fünf, sechs Journalisten zusammengeholt."
    Vertonte Regimekritik - melodisch und leicht konsumierbar
    Unter den Songs ist ein vertonter Text des chinesischen Journalisten Chang Ping. Ping ist einer der renommiertesten Analysten und Kommentatoren chinesischer Politik und musste aufgrund von andauernden Repressalien gegen ihn und seine Familie vor einigen Jahren nach Deutschland fliehen. Einer seiner Texte behandelt den "Freedom Cage" – eine Anspielung auf die sich immer wieder verändernden Zensurmaßnahmen der chinesischen Regierung. Der "Freiheitskäfig" verwandele sich ständig, sagt Ping, so dass die Bevölkerung oft gar nicht merke, wie sie unterdrückt werde.
    Chang Ping: "Ich habe diesen Artikel zum 3. Mai 2015 geschrieben, zum Tag der Pressefreiheit, von dem leider viele Chinesen gar nichts wissen. Zwei befreundete Journalisten wurden aufgrund ihrer Artikel eingesperrt, in denen sie mehr Freiheiten forderten. Daher habe ich meinen Artikel den "Freiheits-Käfig" genannt. Viele Leute in China glauben, solange sie vorsichtig sind, könne ihnen nichts passieren, aber das täuscht: Die Regierung verändert die Regelungen ständig, so dass sich der Käfig ständig verändert, in dem sie sitzen. Er wird kleiner und kleiner. "
    Der besondere Charme der "Uncensored Playlist" ist, dass die Musik sehr modern klingt, sehr melodisch ist – und von daher leicht konsumierbar. Das war dem Komponisten Lucas Meyer sehr wichtig: Die Songs sollten, trotz ihrer harten, kritischen Texte, nicht bleischwer daherkommen. Eine besondere Herausforderung: die verschiedenen Sprachen.
    Lucas Meyer: "Wenn jemand die Artikel liest, dann wird er feststellen, dass die Songzeilen nur ganz wenig verändert wurden. Sie sind nur etwas gekürzt worden auf die wesentlichen Aussagen. Schwierig war es aber, die Texte in die Originalsprache des jeweiligen Landes zurückzuübersetzen, denn alle Songs sind ja auch nochmal in diesen Sprachen veröffentlicht worden. All die Reime und Anspielungen zu übersetzen, das war schwer. Aber es hat funktioniert – und wenn Sie beide Versionen hören, werden Sie feststellen: Sie singen wirklich genau dasselbe.
    Protestsongs in den vietnamesischen I-Tunes-Charts
    Für "Reporter ohne Grenzen" ist die "Uncensored Playlist" ein Experiment, das sich schon jetzt gelohnt hat. In Vietnam beispielsweise sind die beiden Songs zeitweise ganz oben in den I-Tunes Charts gelandet - die Songs kommen also an beim Publikum. Daniel Mossbrucker von "Reporter ohne Grenzen" sagt, dass es ganz wichtig war, zu verdeutlichen, dass sich die ausgewählten Journalisten weiterhin für Pressefreiheit einsetzen, trotz aller Repressionen. Aber, das Projekt beweise auch, dass Zensoren selbst in Ländern wie China nicht immer alles machen können:
    "Diese Musikstreamingplattformen, da ist momentan noch nicht so viel politisches Zeug, sage ich mal salopp, da gibt’s noch nicht so viel. Und deswegen gibt es noch keine Notwendigkeit, das zu zensieren. Und gleichzeitig hören sehr viele Menschen dort, und der chinesische Staat überlegt sich - glaube ich - dreimal, ob er wegen zwei, drei Songs, die da jetzt sind, die kritisch sind, vielen, vielen Millionen Menschen die Möglichkeit nimmt, Musik zu hören und damit Zensur sichtbar zu machen. Und das finde ich die schönste Nachricht des ganzen Projekts, alle Songs sind weiterhin online.