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UNCTAD-Volkswirt: Europäische Zentralbank soll Leitzinsen senken

Der UNCTAD-Chefvolkswirt Heiner Flassbeck hat die Europäische Zentralbank aufgefordert, die Leitzinsen zu senken. Die EZB weigere sich, bei weltweiten Wirtschaftskrisen Verantwortung zu übernehmen. Im Gegensatz zu der US-Notenbank, die ein breiteres Mandat habe, kümmere sich das europäische Pendant ausschließlich darum, eine Inflation zu verhindern, bemängelte Flassbeck.

Moderation: Dirk Müller | 24.01.2008
    Dirk Müller: Aufatmen an den Börsen nur vorübergehend. DAX wieder auf Talfahrt. Europäische Zentralbank will Zinsen nicht senken. Internationaler Währungsfonds sagt Schwächung der Weltwirtschaft voraus. Amerikanisches Haushaltsdefizit beläuft sich auf 250 Milliarden US-Dollar. Einige Beispiele für die Eilmeldungen, die die Nachrichtenagenturen in den vergangenen 24 Stunden in alle Welt verbreitet haben. Die internationale Finanz- und Konjunkturkrise sitzt offenbar tiefer als noch vor Tagen angenommen. Einmal Zinssenkung, das reicht wohl nicht aus, eine drohende Rezession zu verhindern. Was kann, was soll die Politik tun? - Darüber sprechen wollen wir nun mit Heiner Flassbeck, Chefökonom der UNO-Konferenz für Handel und Entwicklung UNCTAD. Guten Morgen nach Genf!

    Heiner Flassbeck: Guten Morgen!

    Müller: Herr Flassbeck, sind wir stark genug, kräftige Turbulenzen auszuhalten?

    Flassbeck: Das wird allgemein behauptet. Ich habe da meine Zweifel, weil - nehmen wir mal Deutschland - Deutschland noch nie so exportabhängig war wie in diesen Zeiten. Wir haben in den letzten Jahren extreme Exporterfolge erzielt und wegen dieser extremen Exporterfolge war das Wachstum auch in den letzten zwei Jahren in Deutschland ganz ordentlich. Das ist in höchstem Maße gefährdet angesichts dieser Weltkonjunktur. Wir hängen zwar nicht so einseitig mehr vom Dollar ab und von den Amerikanern ab, aber wir hängen sehr stark von den anderen Europäern ab. Die anderen Europäer waren weniger erfolgreich im Export. Es ist die Frage was jetzt passiert. Wenn es überall jetzt einen Dämpfer gibt, dann kann das sehr schnell auch auf Deutschland durchschlagen.

    Müller: Herr Flassbeck, die inneren Daten scheinen aber im Moment noch zu stimmen. Das hat gestern auch der Wirtschaftsminister bestätigt, obwohl die Konjunktur wohl eine Delle zu erwarten hat. Aber das heißt: Im Grunde ist das gar nicht so wichtig, weil international alles wichtiger ist?

    Flassbeck: Das würde ich wohl als einen Blick in den Rückspiegel bezeichnen wollen, denn was man da tut, die Prognosen, die es bis jetzt gegeben hat, sind meines Erachtens alle nicht mehr aufrecht zu halten. Die waren sowieso auf Sand gebaut, weil man sich sehr stark auf den Konsum konzentriert hat, also gesagt hat "jetzt kommt die Binnennachfrage, jetzt kommt der private Konsum". Das ist eher noch unwahrscheinlicher geworden jetzt durch die Verunsicherung. Die Börsen spielen zwar in Deutschland keine so große Rolle und die Aktien als Anlageform auch nicht, aber dennoch vergrößert es ja die Verunsicherung, die ohnehin bei den Verbrauchern da ist. Jetzt auf den Konsum zu setzen und zu sagen das wird es bringen, das ist äußerst fragwürdig. Hinzu kommt eben, dass wir auch bei den Investitionen wahrscheinlich einen Rückschlag erleiden werden, denn ab dem 1. Januar gibt es keine degressive Abschreibung mehr. Viele Firmen haben im vergangenen Jahr Investitionen vorgezogen, die jetzt in diesem Jahr natürlich ausfallen.

    Müller: Das heißt wir sind nach wie vor trotz einer inneren Stabilität sehr verwundbar?

    Flassbeck: Ja, sehr verwundbar. Ich sagte ja: die Exportquote - das ist der Anteil der Exporte am gesamten Bruttosozialprodukt - ist heute bei 45 Prozent. Das lag früher immer bei 30 Prozent. Durch den extremen Exportboom der letzten Jahre ist Deutschland viel verwundbarer als es jemals vorher war. Das wird überhaupt nicht zur Kenntnis genommen.

    Müller: Nun liest man ja immer wieder, Herr Flassbeck, und hört immer wieder "wir sind Exportweltmeister". Beim Fußball würde man sich darüber freuen.

    Flassbeck: Ja, aber Exportweltmeister ist eben auch ein Blick in den Rückspiegel. Man muss nach vorne schauen und sehen, was jetzt passiert, ob man sich auf diesen Märkten so behaupten kann. Wir haben ja schon den Fall des Dollar. Das heißt die deutsche Wettbewerbsfähigkeit hat sich in den letzten Wochen und Monaten schon deutlich gegenüber dem gesamten Dollar-Raum - und das ist sehr viel; das umschließt auch große Teile Asiens - erheblich verschlechtert. Das ist als hätten wir Lohnsteigerungen hier gehabt von 10, 15, 20 Prozent. Da würde jeder sagen "die Welt geht unter". Also das hatten wir schon. Insofern ist dieses schon in der Pipeline und wird sich auswirken. Und dann, wenn jetzt eine amerikanische Rezession hinzu kommt, wird die wieder Rückwirkung auf andere Gebiete im Rest der Welt haben und das wird dann auch einen Mengeneffekt noch zusätzlich geben zu dem Dollar-Effekt. Man steht dann ohnehin schon sozusagen auf der Spitze des Berges, weil wir in den letzten Jahren eben so extrem erfolgreich waren durch unsere sage ich mal "Gürtel-enger-schnallen-Politik". Und wenn ich auf der Spitze des Berges stehe, geht es dann auch nicht mehr weiter. Dann muss ich wieder herunter. Von daher spricht alles dafür, dass es doch einen gewaltigen Rückschlag in diesem Jahr geben wird.

    Müller: Ist das fahrlässig, dass die Europäische Zentralbank die Zinsen nicht senken möchte?

    Flassbeck: Das finde ich in der Tat. Wir erleben das jetzt seit 30 Jahren, dass Europa sich weigert, irgendeine Rolle bei irgendeiner weltweiten Stabilisierung zu übernehmen und hinterher dann noch die Amerikaner kritisiert, wenn sie dann massiv eingestiegen sind und etwas getan haben. Ich finde völlig richtig, was die amerikanische Notenbank vorgestern getan hat. Es ist in meinen Augen ein Skandal, dass die Europäische Zentralbank sich hier raushält und sagt, wir müssen jetzt weiter auf die Preisrisiken gucken. Die Preisrisiken sind im Moment zu vernachlässigen. In einer Weltkonjunktur, die nach unten geht, gibt es keine gewaltigen Preisrisiken mehr, und was wir an Preisrisiken sehen, sind sowieso alles Einmaleffekte. Es war die Mehrwertsteuer in Deutschland und die Ölpreiserhöhung. Das sind alles keine Inflationen in dem Sinne und wir haben bei den Löhnen in ganz Europa absolut nichts, was darauf hindeuten würde, dass es eine inflationäre Gefahr gibt.

    Müller: Ist es trotzdem weiterhin richtig, wenn die Politik als ein Mittel die Banken machen lässt - die Zentralbanken beispielsweise - und sich ansonsten aber zurückhält?

    Flassbeck: Wenn diese Zentralbank ein vernünftiges Mandat hat ja. Das ist in Amerika der Fall. Dort ist das Mandat klar, dass sie nicht nur auf die Inflation gucken kann, sondern ein breiteres Mandat hat, Beschäftigung und Inflation Ziele der Zentralbank sind. Da haben wir in Europa ein gewaltiges Problem. Wir haben eine in meinen Augen falsche monetäre Konstitution. Die heißt "ich gucke, die Zentralbank ist vollkommen autonom, unabhängig und darf nur auf die Inflation schauen". Das ist zu einfach, zu primitiv und wenn das beibehalten wird, fürchte ich, wird Europa noch viel größeren Krisen und weiterhin einer enormen Wachstumsschwäche entgegensehen.

    Müller: Herr Flassbeck, reden wir über die eigene Adresse. Was kann Berlin tun?

    Flassbeck: Berlin kann sich vorbereiten. Man kann sich jetzt vorbereiten, nicht nur beschwichtigen, sondern man kann sich vorbereiten, dann wenn es notwendig wird sehr schnell etwas parat zu haben, nämlich Fiskalpolitik, finanzpolitisch etwas gegenzusteuern. Das ist das beste, was man in einer Zeit der Verunsicherung der Menschen machen kann.

    Müller: Also ein Konjunkturprogramm?

    Flassbeck: Ja, direkte öffentliche Ausgaben. Man sieht ja in den USA: Die diskutieren sofort ein Konjunkturprogramm. Bei uns ist das Tabu. Natürlich muss man etwas gegensteuern. Zum Beispiel kann man sich darauf vorbereiten, öffentliche Investitionen sehr schnell in Gang zu setzen, was sicher sehr viel direkter und unmittelbarer wirkt als Steuersenkungen oder ähnliche Dinge, die jetzt am Rande diskutiert werden. Also man kann sich vorbereiten. Abwiegeln ist eben genau die falsche Politik und es wäre auch vollkommen falsch, wenn man darauf jetzt wieder mit den berühmten Reformen reagiert. Das bringt überhaupt nichts. Das bewirkt das Gegenteil. Das verstärkt die Abschwächung und insofern muss man hier ein vollständiges Umdenken in Berlin einfordern.

    Müller: Könnten Sie denn, Herr Flassbeck, ganz kurz noch Herrn Steinbrück einen Tipp geben, woher er das Geld nehmen soll?

    Flassbeck: Das Geld kommt vom Kapitalmarkt. Das Geld, das man braucht, um die Konjunktur anzukurbeln, kann man von niemandem nehmen, denn dann kurbelt man die Konjunktur ja nicht an. Das muss man vom Kapitalmarkt nehmen. Da gibt es auch genügend Geld. Das ist überhaupt kein Problem. Das heißt natürlich temporär höhere Verschuldung, aber es war sowieso eine Illusion, in Berlin zu glauben, man könne jetzt einfach ungeachtet der weltwirtschaftlichen oder sonstigen Entwicklung 2011 einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Den gleichen Fehler hat schon mal ein Finanzminister namens Eichel gemacht und der ist daran gescheitert. Es sieht so aus, als würde jetzt auch der nächste SPD-Finanzminister an diesem Problem scheitern.

    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk Heiner Flassbeck, Chefökonom der UNO-Konferenz für Handel und Entwicklung. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Genf.