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Und ewig sprudelt der Schlamm

Geophysik. - Lusi – das ist eine Wortschöpfung aus Lumpur, dem indonesischen Begriff für Schlamm, und Sidoarjo, dem Namen der Provinzhauptstadt. Seit fast fünf Jahren brodeln auf der indonesischen Insel Java jeden Tag Tausende Tonnen Schlamm aus der Erde. Zwar hat sich das seit dem Beginn erheblich verringert, dennoch hat der Schlammvulkan Lusi inzwischen ein Gelände von sieben Quadratkilometern verschluckt. Prognosen über seine Lebensdauer werden durch lückenhafte Informationen über den Untergrund, aus dem sich der Vulkan speist, erschwert.

Von Dagmar Röhrlich |
    20 Meter hoch schoss am 29. Mai 2006 eine Fontäne aus kochendem Wasser, Schlamm und Gas aus einem Reisfeld. Das war der Moment, in dem Lusi ausbrach, der derzeit am schnellsten wachsende Schlammvulkan der Welt:

    "Lusi entstand, weil eine Gas-Explorationsbohrung außer Kontrolle geriet. Es kam zu einem unterirdischen Blow-out. Zunächst waren es fünf oder sechs kleinere Eruptionsstellen. Dann weitete sich der Bereich schnell auf einen Durchmesser von 50 Metern aus."

    Dass die missglückte Explorationsbohrung der Auslöser war, steht für Richard Davies von der britischen Universität von Durham fest. Er gehört zu den Forschern, die von Anfang an bei der Ursachensuche involviert waren. Von der konkurrierenden Idee, dass ein Erdbeben dahinter steckt, hält er nichts. Ebenso wie sein Kollege, der Geophysiker Michael Manga von der Universität von Kalifornien in Berkeley:

    "Erdbeben können richtige Vulkane ebenso auslösen wie Schlammvulkane. Weil das eines meiner Forschungsgebiete ist, habe ich überhaupt erst begonnen, mich mit Lusi zu beschäftigen. Es gibt eine einfache Erklärung dafür, dass Lusi nicht durch ein Beben ausgelöst worden sein kann: Das Erdbeben, das dafür in Frage kommt, war einfach zu schwach und mit 250 Kilometern zu weit weg. Ein Zusammenhang zwischen Beben und Schlammvulkanausbruch lässt sich nur in bis in 50 Kilometern Entfernung nachweisen."

    Die Intensität des Bebens habe im Bereich der Bohrung in etwa der eines vorbeifahrenden schweren Lastwagens entsprochen. Für einen Auslöser wäre das sehr wenig. Richard Davies:

    "Dieser Schlamm lagerte sich vor zwei, drei Millionen Jahren in einem Meeresbecken ab, und diese Schlammschicht wurde von anderthalb Kilometern mächtigen Ablagerungen begraben. Das geschah so schnell, dass das Wasser im Schlamm eingeschlossen blieb. Durch die Last auf der Schlammschicht, baute sich dann im Untergrund ein hoher Druck auf."

    Mit den Sedimenten war sehr viel organisches Material im Untergrund begraben worden, das sich in Öl und Gas verwandelte. Dieses Gas ließ den Druck weiter steigen - wie in einer Sprudelflasche. Die Frage ist nun, wann Lusis Fluten versiegen. Dabei spielt die Größe des Reservoirs ebenso eine Rolle wie der Druck, der sich im Untergrund aufgebaut hat. Derzeit gibt es zwei Simulationen. Die eine stammt von der Gruppe um Michael Manga:

    "Wir schreiben einen Artikel, in dem wir argumentieren, dass dieser Ausbruch wahrscheinlich noch mehrere Jahrzehnte dauern wird. Da viele wichtige Informationen fehlen, können wir keine genauen Vorhersagen machen. Aufgrund der bekannten Daten schätzen wir, dass Lusi noch 40 Jahre aktiv sein wird. Es könnten mindestens 20 Jahre sein, vielleicht aber sogar Hunderte von Jahren."

    Die Gruppe um Richard Davies kam jedoch bei der Betrachtung, wann der Überdruck abgebaut sein wird und Lusi versiegt, zu einem etwas anderen Ergebnis:

    "Wir haben berechnet, dass die Chance, dass sich der Ausbruch über 100 Jahre hinzieht, bei fünf Prozent liegt. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent dauert das Ganze länger als zehn Jahre. Unsere beste Schätzung sind 26 Jahre. "

    Die Diskrepanz liegt unter anderen daran, dass beide Gruppen hinter Lusi einen unterschiedlichen Mechanismus vermuten. Für Richard Davies strömt der Schlamm, weil die Bohrung ein unter hohem Druck stehendes Grundwasserreservoir durchstoßen hat:

    "Der Schlamm für Lusi stammt aus einer Tiefe von anderthalb bis zwei Kilometer, und wird von Wasser, das aus drei Kilometern Tiefe stammt, ausgewaschen. Das Wasser schleppt ihn nach oben und erodiert so die unterirdische Schlammschicht."

    Lusi sprudelt dann solange, bis der Überdruck in der wasserführenden Schicht abgebaut ist. Für Michael Manga steckt die treibende Kraft in der Schlammschicht selbst:

    "Wir glauben, dass der Gasdruck in diesem Schlamm so hoch ist und dass er, sobald die Bohrung den Weg öffnete, wie Lava in einem richtigen Vulkan aufstieg. Dabei zieht der ausbrechende Schlamm immer neuen nach."

    Lusi wächst sozusagen nach unten, weil der Schlamm aus dem Untergrund verschwindet. GPS-Daten verraten, dass das Land unter dem Schlammspiegel zunächst bis zu 15 Meter pro Jahr absank. Inzwischen vertieft sich die Mulde sehr viel langsamer. Davies:

    "Die Förderleistung Lusis nimmt ab: Anfangs lag sie bei 150.000 Kubikmeter pro Tag, jetzt sind es eher 25.000 Kubikmeter täglich. Dafür verändert sich das Geschehen. Wir haben in letzter Zeit beobachtet, dass sich viele kleine Quellen bilden. Inzwischen sind es rund 180. Plötzlich brechen irgendwo zwei, drei Meter hohe Fontänen aus Wasser, Gas oder auch Schlamm aus - in den Straßen, den Fabriken, in den Häusern, den Restaurants. Sie fördern nur ein paar Tage heißes Wasser und Gas, das sich manchmal entzündet."

    Gespeist werden die kleinen Ausbrüche wahrscheinlich aus oberflächennahen Schichten: Sie reißen auf, weil der Untergrund über der sich leerenden Schlammschicht nachgibt und Wasser und Gas aus höheren Schichten durchbrechen.