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UNEP-Studie zu Zoonosen
Gefahr von Infektionskrankheiten aus der Tierwelt nimmt zu

Ebola, SARS, Zika: Mehr als die Hälfte der Infektionskrankheiten wird vom Tier auf den Menschen übertragen. Auch beim Coronavirus spricht vieles dafür. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen warnt jetzt: Solche Infektionskrankheiten können weiter zunehmen – wegen der massiven Ausbeutung unserer Umwelt.

Von Jan Bösche | 07.07.2020
Zwei Schimpansen sitzen in den Baumwipfeln eines Regenwaldes.
Primaten werden immer wieder als potentielle Überträger von Erregern wie etwa dem Ebolavirus genannt. (Getty Images / The Washington Post / Nichole Sobecki)
Das Coronavirus, das die aktuelle Krise ausgelöst hat, ist kein Einzelfall: Rund 60 Prozent aller bekannten Infektionskrankheiten, die Menschen heimsuchen, stammen aus der Tierwelt. Ebola, SARS oder Zika zum Beispiel. Experten haben immer wieder gewarnt, dass so ein weltweiter Ausbruch möglich ist, wie wir ihn gerade erleben, sagte Inger Andersen, die Direktorin des UN-Umweltprogrammes. Im vergangenen Jahrhundert habe es sechs große Ausbrüche von neuen Coronaviren gegeben.
Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen hat zusammen mit dem internationalen Viehzucht-Forschungsinstitut ILRI solche Krankheitsausbrüche untersucht. Die Folgen sind verheerend: Laut Studie sterben jedes Jahr rund zwei Millionen Menschen an Krankheiten, die aus der Tierwelt übertragen wurden – die aktuelle Coronakrise nicht mit eingerechnet. Betroffen sind vor allem Menschen in Entwicklungsländern. Die Forscher beziffern den wirtschaftlichen Schaden in den vergangenen zwei Jahrzehnten auf über 100 Milliarden Dollar – wieder ohne die aktuelle Krise.
Mikroskop-Aufnahme des Ebola-Virus
Wenn Tiere den Menschen anstecken
SARS, Zika oder Ebola: Sie alle sind sogenannte Zoonosen – Infektionskrankheiten, die von Tieren auf Menschen und umgekehrt übertragbar sind. Sie treten in den letzten Jahrzehnten vermehrt auf. Ihre Bekämpfung ist aufwendig und nur global möglich.
Pangoline in einem Käfig in Medan, Indonesien.
Virenimport durch Wildtierhandel
Der Handel mit exotischen Haustieren wie etwa Flughunden, Totenkopfäffchen oder Streifenhörnchen boomt. Artenschützer kritisieren seit Langem die kaum regulierten Importe.
Für Andersen ist die Ursache klar: Die Verantwortung liege bei uns, das Wachstum der Menschheit und unsere Aktivitäten. Die Studie beschreibt mehrere Gründe: Die weltweite Nachfrage nach Fleisch wächst, dadurch gibt es immer mehr Tiere, genetisch ähnlich, die anfälliger für Infektionen seien. Hinzukomme, dass wilde Tiere zunehmend gejagt und verzehrt werden. Die Städte wachsen immer weiter, Menschen rücken enger zusammen und verdrängen unberührte Natur. Dadurch fehlten natürliche Puffer. Hinzu kommen immer mehr und weitere Reisen.
Wärmere Temperaturen erleichtern Ausbreitung von Erregern
Ein wichtiger Grund ist auch der Klimawandel: Wärmere Temperaturen erleichtern die Ausbreitung von Erregern, Tiere suchen sich neue Lebensräume. Menschen und Tiere, und damit ihre Krankheiten, seien so eng zusammengerückt wie noch nie zuvor.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
ILRI-Direktor Jimmy Smith sagte, eine Kernbotschaft sei, Krankheiten wie COVID-19 kämen nicht aus dem Nichts. Die gute Nachricht sei – es gebe eine Gegenstrategie. Es gehe darum, die Gesundheit von Menschen, Tieren und Ökosystemen gemeinsam zu denken. Das könne helfen, Krankheitsausbrüche in der Tierwelt frühzeitig zu erkennen und zu behandeln, bevor sie auf Menschen überspringen können.
Viele Staaten reagieren erste nach dem Ausbruch
Laut Studie ist ein Problem, dass viele Staaten bisher erst auf diese Krankheiten reagiert hätten, wenn sie bereits ausgebrochen waren. Nötig sei Vorbeugung. Dafür müssten die Regierungen investieren, in öffentliche Gesundheit, in nachhaltige Landwirtschaft, sie müssten die Ausbeutung der Natur eindämmen. Der Kampf gegen Klimawandel würde auch hier helfen.
Das Ganze kostet Geld. Smith zitierte eine Schätzung, die schon ein paar Jahre alt ist: Ein globales Investment von rund 25 Milliarden Dollar über zehn Jahre würde einen Nutzen in Höhe von 125 Milliarden Dollar bringen. Die aktuelle Coronakrise zeige, dass der Nutzen noch höher ausfallen würde. Außerdem sei sie ein Weckruf. Sie seien zuversichtlich, dass die nötige Unterstützung kommen werde.
Drei Jungen halten sich eine Plastikfolie vor's Gesicht, weil sie keine Atemschutzmaske kaufen können.
Afrika - "Nicht immer der Kontinent der Krisen und Krankheiten"
Bislang ist der afrikanische Kontinent weniger von der Corona-Pandemie betroffen, als erwartet. Das liege an den schnell ergriffenen Maßnahmen und am Lockdown für den Luftverkehr, sagte Politologe Klaus Schlichte im Dlf. Bei den Schreckensszenarien für Afrika sei "einfaches Denken" zum Vorschein gekommen.
COVID-19-Test in Kenia an einem Baby im März 2020
Afrikas Gesundheitsnöte
Die Corona-Pandemie hat Afrika erst spät erreicht. Trotzdem ist die Angst vor einer weiträumigen Ausbreitung groß. Das liegt auch daran, dass die meisten der 54 Staaten Gesundheitssysteme haben, die schon unter normalen Umständen am Rande des Zusammenbruchs stehen.
Das ILRI hat seinen Sitz in Kenia und hat besonders die Situation in Afrika im Blick. Hier gibt es einerseits noch große Regenwälder, andrerseits wächst die Bevölkerung rasant an. Smith warnte, das sei eine Ausgangslage für mehr Krankheiten, die von Tieren auf Menschen übertragen werden. Gleichzeitig hätten die afrikanischen Staaten Erfahrungen mit solchen Krankheiten und wie Ausbrüche gemanagt werden könnten.