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Ungebrochene Faszination des Papstes Johannes Paul II.

Elke Durak: Als Karel Wojtyla mit 58 als Kardinal von Krakau zum Papst gewählt wurde, war das eine große Überraschung, nicht nur für Rom. Es war der erste Nicht-Italiener seit 450 Jahren auf dem Stuhl des Bischofs von Rom, das war natürlich eine große Überraschung auch für Polen. Seitdem wird er von vielen Menschen auf der ganzen Welt bewundert, auch von Menschen, die eigentlich nicht der katholischen Kirche angehören. Worin liegt die Faszination an ihm begründet, wo liegen seine Wirkungen, auch sein Einfluss auf so viele Menschen, auf Gesellschaften und Regierungen. Der Papst war ja nie nur Oberhaupt der katholischen Kirche, er hat eben auch auf die internationale Politik Einfluss genommen. Ich will mit dem ehemaligen polnischen Außenminister Wladyslaw Bartoszewski über Karol Wojtyla, über Johannes Paul II. sprechen. Der Papst, ein Pole – was ist denn, Herr Bartoszewski, eigentlich polnisch an Johannes Paul II.?

    Wladyslaw Bartoszewski: Ich übertreibe nicht mit der Bedeutung der Nationalität, obwohl ich natürlich als Pole stolz und glücklich bin, dass wir einen so großen Menschen haben. Aber ich bin der Meinung, gewisse Erfahrungen viel mehr als Herkunft, gewisse historische, biographische Erfahrungen des Menschen eine große Rolle spielen. Der junge Karol Wojtyla ist mit 19 ohne eigene Souveränität und ohne eigenen Staat aufgewachsen. Die NS-Herrschaft in Polen dauerte fünf Jahre, danach kam die so genannte Befreiung durch die Rote Armee. Für die Leute, die stark mit der Kirche verbunden waren, war die Herrschaft von Stalin und die Erweiterung der sowjet-russischen Macht bis zur Oder natürlich eine weltanschauliche und eine private Katastrophe. Und der junge Mann, der in der Kriegszeit als Arbeiter bei den Hermann-Göring-Werken und bei Ford Krakau gearbeitet hat und im Kriege einige wenige Dutzend Kilometer von Auschwitz gelebt hat, vollkommen bewusst dessen, was dort vorging, machte, bedingt durch das totalitäre System und Mangel an Rechten, an Bürgerrechten, an Menschenrechten, bittere Erfahrungen als junger Mann.

    Durak: Ein Mann, der also durch die Zeiten, in denen er gelebt hat, geprägt wurde, und danach, als er Papst wurde, hat er die Zeiten auch geprägt. Und wir erinnern uns an seine Worte bei seinem ersten Polenbesuch als Papst, gleich ein Jahr, nachdem er Papst wurde. Habt keine Angst, erneuert das Antlitz der Erde, dieser Erde, das waren seine Worte an seine Landsleute. Wenn Sie sich erinnern, was hat das ausgelöst?

    Bartoszewski: Ich erinnere mich ganz genau, ich war dabei am 3. Juni 1979 im Warschauer Stadtzentrum, als er diese Worte laut ausgesprochen hat. Komm, heiliger Geist und erneuere das Antlitz der Erde, dieser Erde, hat er nachdrücklich akzentuiert. Natürlich, die Polen haben das als Ermutigung begriffen. Und nicht nur die Polen, denn die Veränderungen in dem ehemaligen Ostblock, bei den katholischen Tschechen, Slowaken, teilweise Ukrainern, bei den Litauern sind dann möglich geworden. Psychologisch bedeutete für die Leute dieser Auftritt des Papstes und diese Rolle des Papstes, sie haben einen Befürworter, sie haben einen Verbündeten, einen starken, einflussreichen Verbündeten, der keine Armee besitzt, aber eine sehr große Rolle in der Weltmeinung spielt. Ich war auch als Begleiter bei seiner Deutschlandreise Anfang November 1980 dabei, und ich muss sagen, ich habe damals ähnliche Vorstellungen gehört, dass dieser Papst eine ganz neue psychologische Situation schafft. Damals waren wir uns noch nicht im Klaren, wie weit das gehen kann, dass er Millionen Menschen in der ganzen Welt ansprechen wird...

    Durak: Wie hat er das geschafft?

    Bartoszewski: Ich glaube, das ist das Geheimnis der charismatischen Wirkung der großen Menschen in der Geschichte. Wie hat er das geschafft? Ich kenne den Menschen über vierzig Jahre. Wenn man mit ihm unter vier Augen spricht, dann wirkt er wie ein ganz normaler, kontaktfreudiger und kluger Mensch. Aber wenn er in der Öffentlichkeit auftritt, hat er eine ganz andere Wirkung. Natürlich, die Ausstrahlung merkt man, aber er ist gleichzeitig ein Mystiker, Denker, Schauspieler und Populist im guten Sinn des Wortes. Er kann gebildete wie ungebildete Menschen ansprechen.

    Durak: Die Hinwendung, die Zuwendung zu Johannes Paul II. in aller Welt, in vielen, vielen Ländern, insbesondere bei der Jugend, zeigt auch in Polen eine große Wirkung. War und ist Johannes Paul bei seinem Einfluss, den er hat, womöglich der heimliche Herrscher Polens?

    Bartoszewski: Wer die Gemüter beherrscht, wer leitet, zeigen manche Umfragen. Ich glaube, der Einfluss des Papstes auf die Gesinnung und die Zuversicht der Menschen ist größer als auf ihr religiöses Engagement. Denn die Leute sind nicht weniger sündig geworden durch diesen Papst, aber die Leute haben viel mehr guten Willen, und sie sind bewegt. Und das bedeutet, sie wollen was, sie streben etwas an. Und das ist schon etwas Positives in der Öffentlichkeit.

    Durak: Wladyslaw Bartoszewski, er kennt Johannes Paul schon seit vielen Jahren. Karol Wojtyla, der junge Mann, von dem Bartoszewski sprach, ist nun inzwischen 83 Jahre alt, schwerkrank, dem Tode nahe an seinem 25. Dienstjubiläum in Rom, aber noch einmal vor aller Öffentlichkeit.