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Ungewisse Aussichten für Japans Wirtschaft

Welche Folgen die doppelte Naturkatastrophe für Japan haben wird, sei noch überhaupt nicht absehbar, sagt Manfred Hoffmann, Direktor der Deutschen Industrie- und Handelskammer in Tokio. Entscheidend sei, ob die Verstrahlung lokal begrenzt bleibe oder Tokio erreiche.

Manfred Hoffmann im Gespräch mit Peter Kapern | 15.03.2011
    Peter Kapern: Die Börsenkurse im freien Fall, Produktionsausfälle in der Industrie, Energieknappheit. Die doppelte Naturkatastrophe hat die drittgrößte Wirtschaftsmacht der Welt in die schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg katapultiert. So sagte es jedenfalls Ministerpräsident Naoto Kann gestern. Dem Land droht der Rückfall in eine tiefe Rezession. Die Schweizer Bank Credit Suisse beziffert den mutmaßlichen Gesamtschaden auf unfassbare 130 Milliarden Euro, und die Folgen werden nicht auf die japanische Volkswirtschaft beschränkt bleiben. – Bei uns am Telefon ist nun Manfred Hoffmann, Direktor der Deutschen Industrie- und Handelskammer in Tokio. Guten Morgen, Herr Hoffmann.

    Manfred Hoffmann: Guten Morgen!

    Kapern: Herr Hoffmann, bevor wir uns um die Fragen der Wirtschaft in Japan kümmern, eine Frage an Sie zur Situation in Tokio. Wir hören von Panikkäufen, die dort einsetzen, seit sich die Situation in den Atomkraftwerken verschlimmert. Was genau geht da vor sich?

    Hoffmann: Das Bild ist natürlich etwas verworren und man hat nicht so den Überblick, aber es gibt ein paar Stromausfälle, es gibt Versorgungsschwierigkeiten manchmal bei Sachen wie Wasser oder nicht verderblichen Lebensmitteln. Das wird aber immer noch relativ schnell wieder neu herangeschafft, wenn das ausverkauft ist.

    Kapern: Werden Sie in Tokio bleiben?

    Hoffmann: Wir haben ein Team hier in Tokio und wir haben ein Team in Osaka und werden also überwiegend jetzt doch mehr aus Osaka arbeiten müssen.

    Kapern: Schauen wir auf die Lage der Wirtschaft in Japan in diesen Tagen. Beginnen wir bei den deutschen Unternehmen, die dort präsent sind. Können Sie schon die Folgen skizzieren, die die Erdbeben, der Tsunami und die Atomkatastrophe auf deren Dependancen haben?

    Hoffmann: Uns beschäftigt natürlich im Moment als allererstes nun mal – und das gilt eigentlich durchweg für alle deutschen Firmen – die Frage der Sicherheit der eigenen Mitarbeiter und alles guckt natürlich nun auf die Strahlenwerte, die von der Unfallstelle kommen, und man beobachtet erst mal, wie groß die Gefahr für den Großraum Tokio wird und wie man dann mit den Mitarbeitern umgeht.

    Kapern: Gestern haben wir gehört, dass BMW seine Mitarbeiter aus Japan abgezogen hat. Tun das auch andere deutsche Firmen?

    Hoffmann: Es gibt natürlich eine Reihe Firmen, die darüber nachdenken, weil eben einfach es ja nicht notwendig ist für viele Firmen, vor Ort zu bleiben, wenn im Moment deren Geschäft nicht läuft.

    Kapern: Kann man sagen, dass das Geschäft der deutschen Firmen dort vollständig zum Erliegen gekommen ist?

    Hoffmann: Nein, aber es ist natürlich ein Unterschied, wenn jemand ein Auto verkaufen will. Im Moment wird sicherlich hier niemand ein Auto bei ihm kaufen. Deswegen braucht man da niemand vorhalten, während technische Betriebe, die im Hinterland Verpflichtungen eingegangen sind und so weiter, selbstverständlich vor Ort bleiben müssen.

    Kapern: Herr Hoffmann, wie schätzen Sie die Folgen dieser Naturkatastrophen für die japanische Wirtschaft ein? Wie schlimm trifft es die japanische Wirtschaft?

    Hoffmann: Das kann man deshalb einfach noch überhaupt nicht einschätzen, weil wir eben nicht wissen, wie weit dieser Unfall wirkt. Wenn dieser Unfall von der Verstrahlung her nur lokal wirkt, dann haben wir natürlich ein völlig anderes Szenarium, als wenn tatsächlich eine radioaktive Belastung in Tokio praktisch die Stadt Tokio zum Erliegen bringt. Dann haben wir eine völlig andere Situation. Und solange das nicht klar ist, kann man natürlich im Grunde genommen keinerlei Aussage machen, wie groß die Wirkung auf die japanische Wirtschaft oder auf die Weltwirtschaft ist. Wir reden ja dann von zwei völlig unterschiedlichen Szenarien.

    Kapern: Wagen Sie ein Szenario, was passiert, wenn tatsächlich das Wirtschaftsleben in Tokio zum Erliegen kommt? Was würde das bedeuten?

    Hoffmann: Was das auf dem Weltmarkt bedeuten würde, da kann man nur spekulieren. Für Japan natürlich in jedem Falle schlimm, aber auch ein Riesenunterschied wie gesagt, ob das strahlt oder nicht strahlt bis nach Tokio. Wir warten jetzt im Moment alle ab, einmal wie hoch überhaupt die Verstrahlung ist, und zum zweiten, wie die Windrichtung weitergeht. Wir haben im Moment einen ungünstigen Wind nach den uns vorliegenden Informationen, der diese Wolken Richtung Tokio schiebt, aber die Meteorologen haben angekündigt, dass am Nachmittag oder Abend der Wind wieder aufs Meer dreht. Jetzt ist halt die Frage, wie schnell, und wie stark ist die Belastung.

    Kapern: Herr Hoffmann, wie bewerten Sie denn das, was die japanische Regierung unternimmt, um einen Kollaps der Wirtschaft zu vermeiden? Ist das ausreichend, ist das zielgerichtet, ist das gut?

    Hoffmann: Das können wir nicht beurteilen. Ich meine, das ist eine reine Frage an Experten, die da eine Bewertung vornehmen könnten. Also natürlich bemüht sich die Regierung nach Kräften, die Dinge zu tun, die da getan werden müssen, aber das würde uns völlig überfordern, da eine Bewertung abzugeben, ob die das richtig oder gut tun oder nicht.

    Kapern: Die japanische Wirtschaft hatte ja traditionell schon einen deutlichen starken staatlichen Einfluss. Gereicht ihr das jetzt möglicherweise zum Vorteil?

    Hoffmann: Ich meine, auch hier wird jetzt natürlich eine Diskussion ausbrechen, in welchem Maße man weiter mit Atomkraft arbeitet, wie man das organisiert, wie man die Sicherheit organisiert, ob privat, oder ob öffentlich, ob stärker kontrolliert oder weniger stark kontrolliert. Bisher hat man ja hier eine Diskussion zu diesem Thema geführt, die völlig anders lief als in Deutschland. Das wird sich sicherlich irgendwie ändern.

    Kapern: Wie war die Diskussion in Japan bisher?

    Hoffmann: Bisher ist man davon ausgegangen, dass man die Energieversorgung ohne Atomkraftwerke hier auf der Insel ja nicht anders lösen kann, und hat eben auf diese Energiequelle gesetzt, und mit über 50 Brennern hat man also dann den Markt bedient. Und jetzt wird man sicherlich darüber nachdenken müssen, dass das jetzt neu überdacht wird und neu geregelt wird.

    Kapern: Manfred Hoffmann war das, der Direktor der Deutschen Industrie- und Handelskammer in Tokio. Herr Hoffmann, vielen Dank für das Interview und ich wünsche Ihnen alles Gute.

    Hoffmann: Danke!