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Ungleiche Chancen auf Hochschulbildung
Bildungserfolg hängt von Eltern ab

Kinder von Akademikern studieren dreimal häufiger als Kinder, deren Eltern nicht an der Uni waren. Eine neue Studie zeigt außerdem: Die Lücke hat sich in den letzten Jahren nur minimal geschlossen. Bildungsforscherin Nancy Kracke sagte im Dlf, Kinder aus Nicht-Akademikerfamilien hätten mehr Angst zu scheitern.

Nancy Kracke im Gespräch mit Jörg Biesler | 09.05.2018
    Ein Hörsaal in der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
    Von 100 Kindern aus Nicht-Akademikerfamilien fangen nur 27 ein Studium an (Waltraud Grubitzsch/dpa-Zentralbild/dpa)
    Jörg Biesler: Dass der Bildungserfolg in Deutschland mehr als in anderen Ländern von der Bildung der Eltern abhängt, das ist keine neue Erkenntnis. Es ist schon einiges unternommen worden, um diesen Missstand zumindest abzumildern: von der Sprachförderung in der Kita, über die Ganztagsschule bis zum BAföG. Heute stellt das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung aktuelle Zahlen zur Lage vor. Nancy Kracke ist eine der Autorinnen der Studie. Guten Tag, Frau Kracke!
    Nancy Kracke: Hallo, guten Tag!
    Biesler: Die sozialgruppenspezifischen Bildungsbeteiligungsquoten – so heißt das richtig –, die ermitteln Sie, und die Studie, in der Sie die Ergebnisse vorstellen, die nennen Sie Bildungstrichter. Das verheißt nichts Gutes. Wie steht es um die Quoten?
    Kracke: Ja, also die aktuellen Zahlen zeigen erneut, wir haben eine Art soziale Schieflage beim Hochschulzugang. Das heißt, nach wie vor sind die Chancen nicht gleich verteilt, ein Studium aufzunehmen, und zwar nicht gleich verteilt über verschiedene soziale Gruppen.
    Biesler: Vor allen Dingen untersuchen Sie, was die Tatsache, dass Eltern schon Akademiker sind, für die Bildung ihrer Kinder bedeutet beziehungsweise, was es bedeutet, wenn die das nicht waren. Da gibt es deutliche Unterschiede.
    Kracke: Ja. Wenn man vergleichen würde 100 Kinder von Akademikerfamilien mit 100 Kindern aus Nicht-Akademikerfamilien, dann gelangen von Ersteren, also aus den akademischen Haushalten 79 an die Hochschulen und nur 27 aus den Nicht-Akademikerhaushalten. Also die Relation 79:27 spiegelt eben diese große Schieflage, die ungleichen Chancen zum Hochschulzugang sehr eindrucksvoll wieder.
    Biesler: Ich habe es vorhin schon gesagt, das Problem ist schon länger bekannt. Hat sich denn da irgendetwas dran verändert, wenn Sie mal auf die Zahlen der früheren Untersuchungen schauen?
    Seit 2009 ein ähnliches Bild
    Kracke: Ja, also wenn wir die Zahlen von der letzten Untersuchung, das heißt dem letzten Bildungstrichter, angucken, da wurden Zahlen von 2009 verwendet, sehen wir auch hier ein ähnliches Bild. Allerdings haben sich in beiden Gruppen – also sowohl den Akademikerkindern als auch den Nicht-Akademikerkindern – die Hochschulbeteiligungsquoten leicht erhöht, aber in der Gruppe der Nicht-Akademikerkinder tatsächlich ein bisschen mehr. Also hier hat die Erhöhung um vier Prozentpunkte im Vergleich zu zwei Prozentpunkten - was heißt hat – es gibt einen Hinweis darauf, dass sich die Lücke dann etwas geschlossen hat, also die Lücke zwischen diesen beiden Gruppen.
    Biesler: Vor allen Dingen untersuchen Sie, was die Tatsache, dass Eltern schon Akademiker sind, für die Bildung ihrer Kinder bedeutet beziehungsweise, was es bedeutet, wenn die das nicht waren. Da gibt es deutliche Unterschiede.
    Elternhaus hat großen Einfluss
    Kracke: Ja, wir wissen, auf der einen Seite haben die Eltern, also das Elternhaus, einen sehr, sehr großen Einfluss. Zum einen natürlich monetäre Aspekte: Also Elternhäuser, die auch gebildeter sind, Akademiker, haben ein größeres – oder mutmaßlich – finanzielles Polster, womit sie die Kinder unterstützen könnten und aktiv unterstützen können beim Studium, aber auch dann der Gedanke, wenn das Kind eventuell scheitert, das Studium nicht schafft, dann gewisse Verzichtskosten vielleicht entstanden sind, können die Eltern unter die Arme greifen, und der Gedanke im Vorhinein an die finanziellen Risiken eines Studiums werden vielleicht gar nicht so negativ beurteilt, wie es vielleicht bei Familien der Fall ist, wo die finanziellen Ressourcen nicht derart gestaltet sind. Andererseits ist es aber auch so, also unabhängig von der finanziellen Seite, dass Eltern, die ebenfalls studiert haben oder den Hochschulbetrieb kennen, ihre Kinder ganz anders unterstützen können oder bereits früher gefördert haben. Also sie können ihr Wissen weitergeben um den akademischen Betrieb, sie können unterstützen bei Fragen und Ähnliches. Auf solche Ressourcen können Kinder aus Nicht-Akademikerfamilien eher weniger zugreifen, und dadurch trauen sie sich eben oftmals ein Studium gar nicht so sehr zu, sie haben mehr Angst zu scheitern, oder gar die Eltern sagen im Vorhin oder sind skeptischer als die Kinder, und wenn die Eltern schon skeptisch sind, dann geht das Kind vielleicht auch nicht das Risiko ein, ein Studium aufzunehmen.
    Biesler: Das heißt, Kinder aus Elternhäusern, die keine Erfahrungen mit Hochschulen haben, die müssen grundsätzlich schon mal erst mal mehr Mut und mehr Energie aufbringen, um diesen Schritt überhaupt zu wagen.
    Kracke: Im Grunde ja, oder selbst, also ich möchte jetzt nicht sagen, dass diese Kinder nicht unterstützt werden, aber vielleicht nicht im ausreichenden Maße oder eben gewisse Dinge falsch einschätzen, ein viel größeres schwarzes Loch haben, auf das sie einblicken.
    Biesler: Das lässt sich ja auch mit Bildung alleine kaum auffangen dieses Problem, sondern es müsste eigentlich eine Informationskampagne darüber geben, vielleicht an den Schulen auch darüber informiert werden, was einen im Studium erwartet.
    Kracke: Das wäre eine der Maßnahmen, die vorstellbar sind, dass Kinder einen ganz anderen Informationsstand im Vorhinein bekommen und dadurch eben auch Risiken anders einschätzen können oder besser einschätzen können.
    Biesler: Sie haben auch die Bildungsbeteiligung von Migranten untersucht. Wie sieht es da aus?
    Migrantenkinder von Akademikern haben höhrere Bildungsambitionen
    Kracke: Ja, da sehen wir im Grunde erst mal ein ähnliches Bild, aber wir sehen, dass eine Akademikerherkunft sich drastischer auswirkt, als das bei Nichtmigranten der Fall ist. Anders ausgedrückt: Migrantenkinder, deren Eltern Akademiker sind, studieren zu einer sehr, sehr hohen Wahrscheinlichkeit. Diejenigen haben einfach höhere Bildungsambitionen. Sie möchten den Status, den die Familie nun schon erreicht hat, auch hier in Deutschland auf jeden Fall erhalten.
    Biesler: Das ist auch eine Motivation für die Akademikerkinder aus deutschen Familien, den Familienstatus zu erhalten? Stehen die da vielleicht auch unter einem gewissen Druck?
    Kracke: Das ist auf jeden Fall einer der Gründe, und zwar sind alle Bevölkerungsgruppen eigentlich daran interessiert, den eigenen Status der Familie zu erhalten, und bei Akademikerkindern, gerade beim Hochschulzugang, schlägt sich das hier eben nieder.
    Biesler: Das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung hat untersucht, inwiefern die Herkunft, die soziale, und der Bildungserfolg etwas miteinander zu tun haben. Nancy Kracke hat uns die Ergebnisse erzählt. Vielen Dank, Frau Kracke!
    Kracke: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.