Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Ungünstige Fokussierung
Autoproduktion in der Slowakei

Die Slowakei ist der größte Autoproduzent der Welt, gemessen an der Prokopfzahl: 198 Autos pro 1.000 Einwohner liefen allein 2018 vom Band. Damit ist die Automobilindustrie weiterhin das Rückgrat der slowakischen Wirtschaft. Doch der Strukturwandel in der Branche erreicht auch die Slowakei.

Von Kilian Kirchgeßner | 03.02.2020
Der Strukturwandel trifft auch die slowakische Autoindustrie.
Der Strukturwandel trifft auch die slowakische Autoindustrie. (CTK Photo/Rene Fluger)
Es gibt die Momente, in denen Emil Machyna bang zurückblickt in die Vergangenheit. Er ist Chef der slowakischen Metallgewerkschaft und arbeitete als Elektrotechniker, als vor 30 Jahren die politische Wende kam:
"Ich habe den Niedergang der Rüstungsindustrie erlebt. Innerhalb von zwei Jahren sind damals 170.000 Menschen um die Arbeitsplätze gekommen, wir hatten 27 Prozent Arbeitslosigkeit."
Gefährliche Abhängigkeit von einem einzigen Sektor
Panzer und anderes Kriegsgerät für den gesamten Ostblock kamen aus dem slowakischen Teil der damaligen Tschechoslowakei, und als die Nachfrage über Nacht wegbrach, war das für die Wirtschaft des Landes ein Tiefschlag. Manche Skeptiker sehen die Slowakei heute, rund 30 Jahre später, vor einer ähnlichen Situation: Die Abhängigkeit der Wirtschaft von einem einzigen Sektor ist gewaltig – heute ist es statt der Waffen- die Autoindustrie. Nirgendwo anders auf der Welt werden pro Kopf so viele Fahrzeuge hergestellt wie in dem 5-Millionen-Einwohner-Land Slowakei: 198 Autos pro 1.000 Einwohner waren es zuletzt, ein neuer Rekord. Wenn die Verbraucher jetzt weniger Autos mit Verbrennungsmotoren kaufen, könnte das für die Wirtschaft ein ernstes Risiko sein. Martin Vlachynsky vom Institut für Wirtschafts- und Sozialstudien in Bratislava wiegt ernst seinen Kopf.
"Natürlich wird mir oft die Frage gestellt, was wohl passiert, wenn es mit der Autoindustrie bergab geht – diese Frage liegt ja auf der Hand. Aber ich halte es nicht für realistisch, dass die ganze Branche einfach so wegbricht; wir haben außerdem das Glück, dass die Autoindustrie bei uns recht diversifiziert ist. Wir haben Unternehmen aus Frankreich, Deutschland, Korea, Großbritannien; zugleich decken wir die Spannweite von billigen Fahrzeugen bis zu Luxusautos ab. Das ist eine recht solide Grundlage."
Nach der Waffen- kam die Autoproduktion
Aber: Es ist eben trotz allem eine sehr einseitige Wirtschaftsstruktur. Mehr als ein Viertel des gesamten Exports der Slowakei machten zuletzt Autos aus. VW unterhält ein Werk in der Slowakei, außerdem Kia, Peugeot, Citroen und Jaguar-LandRover; hinzukommen dutzende Zulieferunternehmen. Es ist eine schicksalhafte Verbindung zwischen der Autoindustrie und der Slowakei: Die Firmen konnten die gut qualifizierten Metallarbeiter bestens gebrauchen, die nach dem Niedergang der Waffenindustrie arbeitslos waren – und hatten ihrerseits einen großen Anteil am heutigen Wohlstand der Slowakei. Experte Martin Vachynsky:
"Ohne Frage war die Automobilindustrie entscheidend dafür, dass die slowakische Wirtschaft so stark gewachsen ist und die hinter den jährlichen Wachstumsraten von 6, 7 und auch mal 9 Prozent pro Jahr stand."
Noch springt die Auto-Industrie von einem Rekord zum nächsten, aber immer häufiger steht in der Slowakei die bange Frage im Raum, wie es weitergeht. Die Elektro-Industrie ist auch recht gut aufgestellt; in Bratislava boomen sogenannte Shared Service-Center, in denen die Buchhaltung großer Konzerne aus dem Ausland erledigt wird; auch einige bemerkenswerte Erfolgsgeschichten von Start-Ups gibt es. Die Regierung hat inzwischen eine Strategie für die digitale Transformation verabschiedet, aber konkrete Schritte sind darin nicht benannt. Martin Vachynsky vom Institut für Wirtschafts- und Sozialstudien fürchtet, dass die Slowakei an Wettbewerbsfähigkeit einbüßt.
"Ich sehe nicht, was wir Investoren anbieten könnten. Viele Länder in der Nachbarschaft haben große Fortschritte gemacht – bei Fragen der Besteuerung, bei der Digitalisierung der Verwaltung, auch bei Korruption und so weiter. Ich befürchte, dass wir die großen Vorteile verloren haben, die wir vor 15 oder 20 Jahren hatten."
Er meint damit vor allem die Verfügbarkeit von Arbeitskräften und die niedrigen Lohnkosten. Welche Strategien sinnvoll wären, um die Slowakei aus ihrer Abhängigkeit von der Automobilindustrie zu befreien? Emil Machyna, der Chef der Metallgewerkschaft, gibt ein klares Ziel aus:
"Um die 70 Prozent der Arbeitnehmer sind bei Kleinen und Mittleren Unternehmen angestellt. Diese Firmen müssen Wege finden, einen höheren Mehrwert zu schaffen."
Diese Mittelständler aus den unterschiedlichsten Branchen zu stärken – das sei die beste Strategie.