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Unicef muss Jordanienhilfe kürzen
"Es steht zu befürchten, dass weniger Kinder zur Schule gehen"

Das Kinderhilfsprogramm Unicef müsse Schulprogramme für syrische Flüchtlingskinder in Jordanien kürzen, weil die Unterstützung wichtiger Länder nachlasse, sagte Unicef-Pressesprecherin Ninja Charbonneau im Dlf. Das sei "total dramatisch", denn die Schule sei das einzige, was diesen Kindern Hoffnung gebe.

Ninja Charbonneau im Gespräch mit Stephanie Gebert | 07.09.2018
    Ninja Charbonneau, Pressesprecherin von Unicef Deutschland sitzt an einem Tisch im Aufnahmestudio
    "Es müssen gar nicht immer die ganzen großen Summen sein", sagte Ninja Charbonneau, Pressesprecherin von Unicef Deutschland, im Dlf. Schon 24 Euro im Monat pro Kind machten wirklich einen Unterschied. (Deutschlandradio / Nina Carbonetti)
    Stephanie Gebert: Der Krieg in Syrien hat Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben, etwa in die Nachbarländer. Allein Jordanien hat rund 600.000 syrische Flüchtlinge aufgenommen, das sagen jedenfalls die offiziellen Zahlen der UNO. Jordaniens Regierung geht von etwa 1,3 Millionen Syrern aus. Sie erhalten etwa von Unicef Unterstützung, damit die Kinder zur Schule gehen können, wo Pädagogen auch die traumatischen Erlebnisse von Gewalt und Flucht bearbeiten. Aber genau diese Hilfe steht jetzt auf dem Spiel, denn die internationalen Geldgeber geizen beim Überweisen. Umgerechnet fehlen mehr als sieben Millionen Euro. Ninja Charbonneau vom Kinderhilfswerk Unicef, ich grüße Sie!
    Ninja Charbonneau: Hallo!
    "Die Unterstützung lässt nach"
    Gebert: Internationale Geldgeber, das klingt immer so nebulös. Welche Länder genau sind es denn, die nicht zahlen, und mit welchen Versprechen war dieses Hilfsprogramm mal gestartet worden?
    Charbonneau: Man muss dazu sagen, dass die Lücke, die wir haben, eigentlich noch größer ist. Das ist jetzt die Summe, die wir beziffert haben, also das, was wirklich am dringendsten, dringendsten ist im Bereich Bildung und Kinderschutz. Es gibt viele Länder, die nach wie vor sehr großzügig sind bei der Unterstützung, und die Bundesregierung gehört dazu, auch die anderen Länder wie die USA sind nach wie vor ein wichtiger Geber, die Europäische Union, aber wir bemerken eben auch, dass dadurch, dass die Krise jetzt schon so lange dauert einerseits und wahrscheinlich andererseits, weil die Hoffnung besteht, dass die Menschen doch irgendwann mal wieder nach Syrien zurückgehen, dass jetzt einfach die Unterstützung nachlässt.
    Gebert: Können Sie Länder nennen, die tatsächlich nicht mehr überweisen oder zu wenig?
    Charbonneau: Ich möchte da niemanden an den Pranger stellen, weil sich viele dann ja auch in anderen Regionen oder in anderen Ländern engagieren und jetzt nicht unbedingt einfach zu geizig sind generell. Aber jetzt speziell in Jordanien ist es zum Beispiel so, dass die Europäische Union über ihren Fonds sehr großzügig in den letzten Jahren unterstützt hatte und, das haben sie auch angekündigt, diese Unterstützung zurückgefahren hat, und davon sind eben auch die Kinder in Jordanien betroffen.
    "Viele der Kinder sind seit Jahren in der Warteschleife"
    Gebert: Ganz konkret, wie hat dieses Bildungsprogramm, von dem jetzt die Rede ist, die Kinder in Jordanien unterstützt, ihnen geholfen?
    Charbonneau: Es gibt verschiedene Programme, wie wir den Kindern in Jordanien helfen. Das eine sind Schulen in den Flüchtlingscamps, in den großen Flüchtlingscamps wie Azraq und Zaatari, aber auch Schulen in den Gastgemeinden, die wir mit unterstützen, also in den jordanischen Städten und Dörfern, die wir mit unterstützen zum Beispiel durch Schulmaterial. Wir haben aber auch in der Vergangenheit - und da setzen jetzt leider die Kürzungen an - geholfen, indem wir Kinder, die in sehr weit entlegenen informellen Siedlungen untergekommen sind, zum Beispiel den Schulbus finanziert haben. Und wenn diese Finanzierung wegfällt, dann können sich viele Familien das nicht mehr leisten, zur nächsten Schule zu fahren, die zum Teil eine Dreiviertelstunde entfernt ist. Und da steht zu befürchten, dass diese Kinder dann einfach gar nicht mehr zur Schule gehen werden.
    Ebenso haben wir in der Vergangenheit viele bedürftige Familien, übrigens auch jordanische bedürftige Familien mit einer monatlichen Unterstützung geholfen, die an Bildung geknüpft ist, damit die Kinder zum Beispiel solche verdeckten Bildungskosten wie Schuluniform und so weiter bezahlen können. Und auch das mussten wir jetzt drastisch kürzen. Auch da wird die Folge wahrscheinlich sein, dass weniger Kinder zur Schule gehen.
    Gebert: Wenn wir mal darüber nachdenken, was bedeutet es für die Kinder, nicht zur Schule gehen zu können, also welche Folgen hat das für die betroffenen Kinder?
    Charbonneau: Das ist natürlich total dramatisch, weil viele von den Kindern sind ja jetzt schon seit Jahren in dieser Situation, dass die irgendwo in einer Warteschleife sind. Sie können nicht zurück in die Heimat, sie haben aber in der neuen Heimat auch relativ wenig Perspektive. Das heißt, das, was ihnen die Hoffnung gibt, was sie nach vorne schauen lässt, ist ja eben Schule, ist eben diese psychosoziale Hilfe in den Kinderzentren, in denen sie spielen können, Sportangebote haben, Freunde treffen, Selbstvertrauen lernen und so weiter, und ich glaube, das kann man gar nicht hoch genug einschätzen.
    "Private Spender können ja auch was ändern"
    Gebert: Sie versuchen das jetzt mit privaten Spendern auszugleichen. Ist das tatsächlich eine Möglichkeit?
    Charbonneau: Das ist eine Ergänzung, das kann natürlich alleine das nicht auffangen, das ist völlig klar. Wir sind sehr froh, dass auch die Bundesregierung noch mal angekündigt hat, die Hilfe weiter aufzustocken. Das wird uns aber vor allen Dingen auch im nächsten Jahr mithelfen und Ende diesen Jahres, aber auch die Bundesregierung sagt, das kann nur ein Anfang sein, da müssen auch andere Geber kräftig einen drauflegen. Aber ich möchte trotzdem auch sagen, private Spender können ja auch was ändern, weil es geht zum Teil gar nicht um so große Beträge. Wenn man denkt, diese finanzielle Hilfe, die ich eben erwähnt habe, das sind 24 Euro im Monat pro Kind, die da wirklich einen Unterschied machen können, also es müssen gar nicht immer die ganzen großen Summen sein.
    Gebert: Das Kinderhilfsprogramm Unicef muss Schulprogramme für syrische Kinder in Jordanien kürzen und ist jetzt auch auf private Spender angewiesen. Informationen dazu hatte Ninja Charbonneau von Unicef. Vielen Dank!
    Charbonneau: Sehr gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.