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"Union betreibt keinen Sozialabbau"

Die Union wird nach Aussage von CSU-Vize Horst Seehofer im Fall eines Sieges bei den Bundestagsneuwahlen keinen Sozialabbau betreiben. Es werde bei einer Balance zwischen Wirtschaftskompetenz und sozialer Gerechtigkeit bleiben, sagte der Gesundheitsexperte. Zugleich lehnte er eine Erhöhung der Mehrwertsteuer vehement ab.

Moderation: Burkhard Birke |
    Burkhard Birke: Wie sozial kann die Marktwirtschaft bleiben? Diese Frage erörtern seit Sonntag bereits die Unionsfraktionsvorsitzenden in Kiel, heute gehen die Beratungen weiter und wir wollen jetzt über die Ausrichtungen der künftigen Unionspolitik mit Horst Seehofer, dem stellvertretenden CSU-Vorsitzenden, reden. Einen wunderschönen guten Morgen, Herr Seehofer.

    Horst Seehofer: Guten Morgen.

    Birke: Der Kanzler Gerhard Schröder hat der Union und der FDP vorgeworfen, sie wollten mit einem ungebremsten Sozialabbau das Rad der Geschichte zurückdrehen. Teilen Sie diese Befürchtung?

    Seehofer: Nein. Ich glaube, Gerhard Schröder hat am allerwenigsten Grund, der Union so etwas vorzuwerfen, denn wenn ich mir anschaue, wie die letzten Jahre in Deutschland gelaufen sind - da sind die Armen ärmer geworden und die Reichen reicher, dann ist das Ergebnis seiner Politik genau eine tiefe soziale Schieflage in Deutschland und ich bin mir ziemlich sicher, nach den Erklärungen von Frau Merkel dun heute auch vom Generalsekretär der CDU, dass es bei der sozialen Balance zwischen Wirtschaftskompetenz und sozialer Verantwortung in der Union bleibt. Ich setze sehr darauf, dass dies das Wahlprogramm auch zum Ausdruck bringt.

    Birke: Wie viel Sozialstaat können wir uns überhaupt noch leisten, denn das ist doch die Kernfrage.

    Seehofer: In der Tat, aber da kommt es nicht darauf an, wie man jetzt die Sozialleistungen kürzt, sondern vielmehr, mit welchen kreativen und innovativen Instrumenten wir es in Deutschland schaffen, dass wieder Wachstum und Arbeitsplätze entstehen. Ich glaube, eine Lehre aus den letzten zehn Jahren deutscher Politik kann man ziehen, dass mit dem Abbau von Arbeitnehmerrechten und Sozialleistungen eben nicht Wachstum und Arbeitsplätze entstehen.

    Birke: Arbeitnehmerrechte sollen aber beschnitten werden, wenn es nach der Auffassung des CSU-Wirtschaftsrates geht, denn die fordern zum Beispiel Aufhebung des Kündigungsschutzes für Neuanstellungen, Senkung der Unternehmenssteuern. Sind diese Maßnahmen der richtige Weg?

    Seehofer: Da hat die Kanzlerkandidatin Angela Merkel gestern schon das Notwendigste gesagt, das kann ich nur unterstreichen und das ist auch beruhigend, nämlich dass diese Vorschläge nicht die der Union sind, genauso wie sie vor einigen Wochen ja den FDP-Vorsitzenden mit seiner Kampfrhetorik gegen die Gewerkschaften in die Schranken verwiesen hat. Das waren zwei Dinge, die uns Arbeitnehmer- und Sozialvertretern in der Union sehr gut gefallen haben, diese rechtzeitige Klarstellung. Dass so ein Sozialharakiri nicht stattfindet in Deutschland.

    Birke: Gehört zu den Klarstellungen auch, dass die Union für kräftige Lohnsteigerungen in florierenden Branchen ist, so wie das unter anderem SPD-Wirtschaftsminister Clement gefordert hat?

    Seehofer: Dass es sehr auf die Binnennachfrage ankommt, ist unbestritten. Nach meiner tiefen Überzeugung haben wir nicht so sehr ein Problem mit unseren Exporten, da läuft es ja trotz aller Schwierigkeiten nach wie vor gut. Unser Problem ist die Binnenkonjunktur und deshalb ist es mal wichtig, dass man auf diesen Umstand hinweist. Nur die Frage, welche Löhne man findet, wie hoch die sein sollen, wie die Lohnsteigerungen ausfallen sollen, da haben wir in den letzten Jahrzehnten sehr gute Erfahrungen damit gemacht, dass dies die Gewerkschaften mit den Arbeitgeberverbänden aushandeln und dass nicht die Politik Löhne festlegt oder sich in diese Verhandlungen einmischt. Also Ja zu einer Nachfragestimulierung, da kann übrigens die Politik auch ein Stück dazu beitragen, indem nicht ständig die Abgabenbelastung in allen Beeichen steigt und nein zu einer Einmischung in die Tarifhoheit.

    Birke: Aber Ihre Parteivorsitzende steht auch für mehr betriebliche Bündnisse. Ist das nicht doch eine indirekte Aushöhlung der Tarifautonomie?

    Seehofer: Ja, da muss man sich auch sehr genau ansehen, was wir da beschlossen haben, das ist übrigens nicht neu, das hat die Bundestagsfraktion schon vor über einem Jahr beschlossen, nämlich dass man dann vom Tarifvertrag befristet mit Zustimmung der Betriebsräte und der Belegschaft abweichen darf, wenn damit Arbeitsplätze in einem Betrieb gesichert werden. Das heißt, dieser Vorschlag Bündnisse für Arbeit soll mehr Flexibilität in einer schwierigen Betriebssituation herbeiführen, aber er soll nicht die Tarifhoheit aushebeln. Wir stehen zur Tarifhoheit, weil die in Deutschland eine Voraussetzung auch für soziale Stabilität war. Niemand von uns will jetzt die Tarifverträge abschaffen dun die Gewerkschaften entmachten. Aber es muss möglich sein, wenn ein Betrieb konkret in Schwierigkeiten ist, weil er keine Aufträge hat, weil er Menschen entlassen müsste, dass er dann auf seiner Betriebsebene einmal vorübergehend von einem Tarifvertrag abweichen kann, um die Arbeitsplätze zu erhalten.

    Birke: Sie haben gesagt, dass das beste Konjunkturprogramm natürlich die Ankurbelung der Binnennachfrage ist. Wie weit müssen deshalb die Einkommenssteuersätze runter und müssten dann nicht im Gegenzug auch zur Finanzierung der Sozialleistungen, die die Union vorschlägt, die Mehrwertsteuersätze angehoben werden?

    Seehofer: Ich bin immer ein großer Skeptiker, ein Gegner von Steuererhöhungen, weil der Staat seit Jahrzehnten gerne auf alle Probleme, die er hat mit Steuererhöhungen reagiert. Ich glaube, erst muss man mal die öffentlichen Haushalte in Ordnung bringen, bevor man solche Gedanken anstellt.

    Birke: Also ein Nein zur Mehrwertsteuererhöhung?

    Seehofer: Ich bin ein totaler Gegner davon und zwar deshalb, weil die Verteilungswirkung ungerecht ist. Die Mehrwertsteuer bezahlen ja hauptsächlich diejenigen, die mehrere Köpfe im Haushalt haben, also die Familien, das zahlen die Kleinverdiener, weil deren Konsumquote gemessen an ihrem Einkommen hoch ist, jedenfalls höher als beispielsweise bei mir. Deshalb bin ich ein Gegner der Mehrwertsteuererhöhung, im übrigen, wenn man sie sozial abfedern möchte, was ja oft gesagt wird, dann bringt sie ja bei weitem nicht mehr das Geld, was man davon erhofft. Also Finger weg von der Mehrwertsteuer.

    Birke: Aber Einkommenssteuersenkungen befürworten Sie auch bei den Unternehmen, Unternehmenssteuersenkungen?

    Seehofer: Ja, wir haben doch ein Steuerreformkonzept beschlossen, CDU und CSU, das ist auch schon wieder über ein Jahr her und zu diesem Grundsatz, dass man die Steuersätze senken soll und überflüssige Steuerausnahmen beseitigen soll, den vertrete ich, weil er auch sozial ist. Uns hilft ein Steuerrecht nichts, wo zwar nominal hohe Steuersätze bestehen, aber in der Realität genau der Person eingreift, die sie bezahlen soll nicht bezahlt, weil sie Steuerausnahmen in Anspruch nimmt. Sehen Sie, wenn alleine große Konzerne über viele Jahre in Deutschland keine Steuern mehr bezahlt haben, weil sie diese Steuerlast mit Ausnahmen, Befreiungen und Verlusten verrechnet haben, dann ist dies ungerecht, wenn unser Gemeinwesen nur noch von den Mittelständlern und den Arbeitnehmern finanziert wird. Deshalb bin ich sehr für die These (die ist zwar schwierig umzusetzen, aber wir müssen diesen Weg gehen): Steuersätze senken dun dafür die Steuerausnahmen und -befreiungen reduzieren.

    Birke: Stehen Sie auch zu einem anderem Kompromiss, den CDU und CSU ausgehandelt haben, nämlich den mit der Gesundheitspolitik, können Sie das mittragen?

    Seehofer: Haha, das ist eine schöne Frage zum Morgen, das ist journalistisch auch sehr korrekt, es wäre ja unglaubwürdig, wenn wir da vorbeireden würden. Ich muss Ihnen sagen, ich habe diesen Gesundheitskompromiss ja abgelehnt, deshalb bin ich zurückgetreten und bei dieser Argumentation bleibt es. Es gibt ja keine neuen Argumente und deshalb brauchen wir aber jetzt auch nicht jeden Tag alle Einzelheiten dieser Gesundheitsprämie und der Einwände bedenken, die ich dagegen habe, wiederholen. Meine Contraposition bleibt.

    Birke: Heißt das auch, dass damit definitiv Ihre Rückkehr ins Kabinett unter einer Bundeskanzlerin Merkel ausgeschlossen wäre?

    Seehofer: Ich habe in den letzten Tagen schlechte Erfahrungen mit der Antwort auf diese Frage gemacht, weil sie immer fast beliebig interpretiert wird, was ich antworte. Deshalb habe ich mir jetzt vorgenommen, für die nächsten Wochen schlicht und einfach das zu tun, was wohl die ganz große Mehrheit der Bevölkerung von uns erwartet: jetzt müssen wir den Leuten sagen, wie wir Deutschland in eine Zukunft führen wollen, wie wir das inhaltlich machen wollen. Die Leute haben die Schnauze voll von den ständigen Spekulationen, wer welchen Posten übernehmen soll. Das machen wir, wenn wir die Wahl hoffentlich gewonnen haben.

    Birke: Aber Sie würden sich der Verantwortung nicht entziehen?

    Seehofer: Auch das ist eine kluge Frage, haha, die ich genauso beantworte: erst arbeiten und dann das Essen verteilen.