Arentz: Guten Morgen Frau Heuer.
Heuer: Besonders interessant scheint die ins Auge gefasste Einbindung von Senioren, Herr Arentz. Sollten denn künftig die 67jährigen die 77jährigen pflegen?
Arentz: Wenn es denn so käme, Frau Heuer, wäre es eigentlich kein großer Unterschied zu heute, denn in vielen, vielen Haushalten pflegt die 75- oder 80jährige Frau ihren 85jährigen Mann oder die 60jährige Tochter ihre 85jährigen Eltern oder Schwiegereltern. Also das, was sozusagen in den Familien heute hunderttausendfach stattfindet, würde dann zusätzlich auf eine neue Ebene der Ehrenamtlichkeit gestellt und das würde ich nicht von vornherein für falsch oder für schlecht erklären.
Heuer: Wenn die Renten so stark sinken, wie wir alle befürchten, Herr Arentz, dann freuen sich ja künftige Rentnergenerationen vielleicht sogar über eine noch so geringe Aufwandsentschädigung oder?
Arentz: Ich glaube, dass es da weniger um die Frage der Aufwandsentschädigung geht, sondern dass es darum geht, dass jeder Mensch eigentlich eine sinnvolle, ihn auch menschlich ausfüllende Tätigkeit braucht. Der Trend, den wir heute ja teilweise haben, dass die Leute mit Anfang oder Mitte 50 schon aus dem Arbeitsleben ausscheiden und dann in einen Ruhestand geschickt werden, der 30 Jahre lang dauert, der ist auch falsch. Der ist krank. Der wird den Menschen nicht gerecht. Deswegen glaube ich, wenn es gelingt, und zwar jungen wie älteren Menschen sinnvolle Wege in eine soziale ehrenamtliche Tätigkeit aufzuzeigen, dann ist das richtig. Das braucht unsere Gesellschaft sehr viel mehr als wir das heute haben.
Heuer: Herr Arentz, nun sind Sie ja noch nicht in dem Alter, aber wenn Sie mal vorausschauen auf Ihre eigene Rente, würden Sie freiwillig andere Menschen pflegen?
Arentz: Ich kann es Ihnen nicht sagen, aber es wäre jedenfalls unabhängig von der Frage der Rente. Ich glaube der entscheidende Punkt ist, ob man den Zugang hat, den persönlichen Zugang zu einem Menschen, der Hilfe braucht, und ob man sich das dann vorstellen kann. In den Familien geschieht das oft quasi automatisch, und wenn man es bei fremden Menschen tut, muss man eben diesen Zugang finden. Deswegen begrüße ich es auch, wenn die Kommission so wie Sie das eben dargestellt haben davon abrät, ein soziales Pflichtjahr zu schaffen, denn man kann die Menschen nicht zwingen, sich um Pflegebedürftige, um Behinderte, um kranke andere Menschen zu kümmern. Stellen Sie sich vor, Sie sind auf Hilfe angewiesen und Sie werden von jemandem versorgt, dem Sie anmerken, wo Sie körperlich spüren, der ekelt sich davor. Das geht nicht!
Heuer: Es gibt derzeit 95.000 Zivildienstleistende. Wie wollen Sie denn so viele Freiwillige gewinnen? Welche Anreize soll es geben?
Arentz: Zunächst einmal, Frau Heuer, erwarte ich, dass die Bundesregierung endlich Klarheit über ihre Pläne schafft. Wir sind im Moment in einer katastrophalen Diskussionslage. Der Herr Bundesverteidigungsminister behauptet, er will die Wehrpflicht beibehalten. Die Bundessozial- und die Bundesjugendministerin tun aber jetzt schon so, als wenn beschlossen wäre, dass die Wehrpflicht und damit auch der Zivildienst abgeschafft würden. Was stimmt denn nun?
Wenn es so ist, dass die Wehrpflicht in absehbarer Zeit fallen soll, dann müssen wir allerdings jetzt schon das Menschenmögliche tun, um Leute aller Altersgruppen für das Ehrenamt in der Pflege, in der Behindertenbetreuung, in der Krankenbetreuung zu gewinnen und zu qualifizieren. Deswegen wäre meine erste und wichtigste Forderung, dass dann, wenn der Zivildienst schrittweise abgebaut wird, die 850 Millionen Euro, die die Bundesregierung Jahr für Jahr für den Zivildienst zur Verfügung stellt, nicht bei Herrn Eichel an der Haushaltskasse abgegeben werden, sondern dass dieses Geld benutzt wird, um Menschen für soziales Ehrenamt zu gewinnen, sie entsprechend auszubilden und ihnen eine Aufwandsentschädigung zu geben.
Heuer: Das ist eine klare Forderung, Herr Arentz. Trotzdem die Frage, ob das nicht alles doch nur so etwas ist wie das Rumdoktorn am Problem, denn der Zivildienst ist ein Ersatzdienst auch im übertragenen Sinne. Die Zivis ersetzen ja im Alltag ausgebildetes Pflegepersonal. Müssen da nicht schlicht und einfach reguläre Arbeitsplätze geschaffen werden?
Arentz: Ich glaube auch, dass beim Wegfall des Zivildienstes wir über die Stellenpläne reden müssen. Das heißt, dass auch mehr hauptamtliche Leute nötig sind. Aber es ist eben nicht so wie Sie gerade gesagt haben, oder es soll jedenfalls nicht so sein, dass die Zivildienstleistenden hauptamtliches Pflegepersonal ersetzen.
Heuer: Doch das ist ja faktisch so!
Arentz: Die Zivildienstleistenden erbringen in der Regel Leistungen, die hauptamtliches Pflegepersonal aus finanziellen Gründen nicht erbringen kann, also beispielsweise bei schönem Wetter mit einem Altenheimbewohner im Rollstuhl auch mal raus zu gehen, damit die Menschen auch noch ein Stück Lebensqualität haben. Das sind eigentlich klassische Tätigkeiten, die ich mir auch sehr gut im ehrenamtlichen Bereich vorstellen kann.
Heuer: Nun hören wir in anderen Berichten aus den Pflegeheimen und Altenheimen, dass die Zivis durchaus so eingesetzt werden, dass sie tatsächlich aktiv die Menschen dort pflegen. Das Problem wird sich aber in der Zukunft ja noch verschärfen. Die Deutschen werden ja immer älter. Also noch einmal die Frage: brauchen wir dort nicht mehr Hauptamtliche und muss das dann nicht auch gefördert werden?
Arentz: Ich glaube auch, dass wir einen Teil mehr Hauptamtliche brauchen. Das ergibt sich schon aus der Zahlenentwicklung. Aber wir werden das Problem der menschlichen Zuwendung nicht nur über hauptamtliches Personal regeln können. Von dieser Illusion müssen wir uns freimachen. Wir müssen klar und deutlich sagen: wenn wir alle wollen, dass wir im Alter noch mit einer vernünftigen Lebensqualität versorgt werden, dann sind wir dabei entweder auf die Familie oder aber auf eine Kombination von hauptamtlichen und ehrenamtlichen Kräften angewiesen. Der Sozialstaat könnte noch so viele Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Wenn nicht Menschen da sind, die sich um des Menschen Willen um den anderen kümmern, dann ist der Sozialstaat kalt wie eine Hundeschnauze.
Heuer: Wie viel Geld würden Sie denn vorschlagen einzusetzen, um diese von Ihnen genannten notwendigen Hauptamtlichen tatsächlich zu bekommen?
Arentz: Wenn wir mal davon ausgehen, dass die rund 90.000, 95.000 Zivildienstleistenden, die wir heute haben, wenigstens ein Stück weit in der hauptamtlichen Struktur ersetzt werden sollen, also etwa so wie ihr Tätigkeitsanteil an hauptamtlichen Strukturen ist, dann wird man etwa 40.000 Menschen einstellen müssen und dann sind sie bei 1,6 Milliarden Euro an Lohn- und Gehaltskosten. Aber wir werden eben trotzdem zigtausende Ehrenämter brauchen, und deswegen finde ich es zum Beispiel wirklich ein Unding, dass die Bundesregierung noch nicht einmal so viel Geld für das freiwillige soziale Jahr zur Verfügung stellt wie Freiwillige da sind, die dieses Jahr machen wollen. Das heißt wir müssen zunächst einmal - das wäre der allererste Schritt - denen, die helfen wollen, auch die Möglichkeit dazu geben, und da ist der Bund gefordert.
Heuer: Herrmann-Josef Arentz, der Vorsitzende der CDU-Sozialausschüsse, im Deutschlandfunk. - Vielen Dank für das Gespräch, Herr Arentz, und einen schönen Tag!