Archiv


"Union ist nur auf Verleumdung aus"

Joschka Fischer hat nach Einschätzung des stellvertretenden SPD-Fraktionschefs Ludwig Stiegler in einem sachlichen Vortrag Fehler eingeräumt und überzeugend dargelegt, dass Missstände behoben worden seien. Die Union habe ihr Ziel, den Minister abzuschießen, nicht erreicht. CDU und CSU seien ausgezogen, um einen Bären zu erlegen und seien nicht einmal mit einem Hasen heimgekehrt.

    Müller: Der Visa-Untersuchungsausschuss hat in diesen Tagen viele Premieren zu bieten. Gestern war es die erste Fernsehübertragung einer Ministerbefragung, das alles live, stundenlang, ohne Unterbrechung oder Schnitte, ohne Kommentare von außen. Joschka Fischer also im Duell mit den Ausschussmitgliedern. Fragen, Antworten, Gegenfragen, Kopfschütteln, Gelächter, mitunter polemisch, aggressiv, provozierend. Dies alles, um politisch zu klären, welche Verantwortung, welche Schuld der Außenminister in der Affäre um den massenhaften Visamissbrauch trägt. Lange hat die Befragung gedauert, aber sie ist auch zu Ende gegangen.
    Am Telefon sind wir nun verbunden mit dem stellvertretenden SPD-Fraktionschef Ludwig Stiegler, guten Morgen.

    Stiegler: Schönen guten Morgen.

    Müller: Diese Befragung gestern live im Fernsehen vor dem Untersuchungsausschuss, heißt das im Vorfeld für den Kandidaten, den Angeklagten sozusagen, möglichst viel von Robert Redford lernen?

    Stiegler: Es hieß zunächst einmal, dass er die Dinge im Zusammenhang dargestellt hat und alle diejenigen, die daran interessiert sind, zu wissen, wie es war und was war, die sind gut bedient worden, die kennen jetzt die Zusammenhänge. Und alle, die wie die Union nur auf Verleumdung aus sind, denen es nicht um die Missstände geht, sondern um das Abschießen des Ministers, die werden nicht zufrieden sein. Aber wenn ich resümiere gestern, CDU und CSU sind ausgezogen, um einen Bären zu erlegen, sie sind nicht einmal mit einem Hasen heimgekehrt - haben vielleicht ein paar giftige Pilze mitgenommen.

    Müller: Ich habe schon gedacht, Sie werden ganz sachlich ohne Bilder und Metaphern antworten, deswegen versuchen wir es noch mal. War das auch Theatralik? Wie wichtig ist das?

    Stiegler: Ich fand, das war kaum Theatralik. Er ist erheblich unter seinen Möglichkeiten geblieben, was die Theatralik anbetrifft. Es war ein engagierter, bemerkenswert sachlicher Vortrag, aber eben ein selbstbewusster. Da saß kein armer Sünder auf der Bank, sondern ein Außenministers, der sich in der Kontinuität seiner Vorgänger sah, der Fehler gesehen und auch eingeräumt hat und der vor allem auch darlegen konnte, dass die Fehler längst abgestellt sind.

    Müller: Konnten Sie denn bei genauem Hinsehen auch erkennen, wer sich da in diesem Untersuchungsausschuss mag und wer nicht?

    Stiegler: Ich denke, die persönliche Zuneigung ist da ziemlich unterschiedlich verbreitet, dazu kommt ja auch, dass etwa deutlich geworden ist, dass der Kollege Uhl sehr scheinheilig mit dem Außenminister mitreist, sich überhaupt nicht für die Visaprobleme interessiert, um hinterher im Ausschuss den Kenneth Starr nachzuahmen; das ist auch deutlich geworden für die, die etwas detaillierter hingesehen haben.

    Müller: Der Kollege Uhl hat aber gesagt, warum antwortet Joschka Fischer nicht präzise auf seine Fragen.

    Stiegler: Er hat das beantwortet, was er aus eigenem Wissen sagen konnte und Sie wissen, im Untersuchungsausschuss müssen Sie sich darauf begrenzen, was Sie wirklich wissen und hier nicht auf Spekulationen eingehen.

    Müller: Das heißt, Erinnerungslücken zuzugeben ist besser als wirklich etwas wissen, was man nicht so genau weiß?

    Stiegler: Wenn man sich an etwas nicht erinnert, darf man es nicht sagen, halbgare Sachen sind in einem Untersuchungsausschuss, wo Sie ja unter der Wahrheitspflicht stehen und damit rechnen müssen, dass andere versuchen, Sie strafrechtlich aufzuhängen, bei dem bleiben müssen, was Sie wirklich präzise sagen können.

    Müller: Haben Sie gestern von Joschka Fischer etwas Neues erfahren?

    Stiegler: Ich habe als einer, der sich nicht jeden Tag damit befasst, vor allem die Kontinuität gesehen, habe gelernt, dass der Volmer-Erlass im Grunde nichts anderes aussagt, was schon in der Genscher- Kinkel-Zeit galt und ich habe gelernt, dass diese Instrumente, die eingeführt worden sind, die eigentliche Ursache waren und unter anderem auch deshalb eingeführt worden sind, weil zum Beispiel viele große Städte sich überhaupt nicht in der Lage sahen, dass sie die entsprechenden Bonitätsprüfungen vorgenommen haben, mit denen sie eigentlich die Visabehörden hätten bedienen müssen. Das habe ich gelernt und ich habe gelernt, dass Herr Koch und Herr Wiesheu im Grunde eben völlig anders agieren, als ihre Freunde in Berlin vorzugeben meinen.

    Müller: Und diese beiden Sachverhalte, die Sie gerade beschrieben haben, reichen aus, dass Sie in der Öffentlichkeit sagen, die Vorwürfe gegen Joschka Fischer sind völlig unbegründet?

    Stiegler: Es geht nicht um völlig unbegründet. Joschka Fischer hat gesagt, es hat Fehler in den Abläufen gegeben, man muss auch die Zeitschiene sehen, auch das außenpolitische Umfeld während der Zeit, als diese Probleme hochgekocht sind. Und ich kann mich selber gut erinnern, wie wir in der Fraktion etwa gekämpft habe, um die Personalaufstockung für den ganzen Konsulatbereich mit durchzusetzen. Die Frage ist eben - und das ist für mich aus der Vergangenheit der parlamentarischen Beratung klar - als Ressourcenproblem, als Personalproblem gesehen worden und nicht als ein Missbrauchsproblem. Es ist aber auch deutlich geworden, dass Herr Uhl im Untersuchungsausschuss von tausenden von Fällen des Missbrauches spricht, während er draußen von millionenfachen Fällen und von Zuhälterei und Triebtäterei und ähnlichem spricht. Hier ist wirklich mal ganz plastisch geworden, wie verlogen das Ganze angelegt ist. Im Untersuchungsausschuss muss man sich, weil man den Gegner vor sich hat, ja an die Fakten halten, während man draußen in den Bierzelten und den Hintergrundgesprächen mit der Presse umso umgehemmter hetzen kann.

    Müller: Wenn Kinder in der Schule viele Fehler machen, führt das häufig dazu, dass sie abends nicht fernsehen dürfen. Fischer hat Fehler gemacht, wie bestraft man ihn?

    Stiegler: In dem ganzen Prozess sind Fehler vorgekommen, da gibt es keine Bestrafung, sondern da gab es die Notwendigkeit, die Fehler abzustellen; die sind abgestellt worden und für alle, die den Sinn eines solchen Untersuchungsausschusses ernstnehmen, nämlich eine so genannte Missstandsenquete, also dass man untersucht, da hat es Fehlentwicklungen gegeben und was kann man in Zukunft in Gesetzgebung, Verwaltungspraxis oder ähnlichem besser machen, die sind bedient, die wissen jetzt, was zu tun ist und haben gesehen, dass schon eine Menge getan worden ist; denen ist aber auch klar geworden, dass das Thema Reisefreiheit mit den neuen Staaten Ost- und Mitteleuropas ein Dauerbrenner sein wird und denen ist auch klar geworden, dass zum Beispiel die Familienzusammenführung, die durch insbesondere Helmut Kohl vorangetrieben worden ist, dass die eben auch ihre Folgekonsequenzen hat, dass jeder, der objektiv an die Problemlage rangeht, jetzt wissen wird, dass die Dinge soweit es irgendwie geht im Griff sind und die außenpolitisch Interessierten werden wirklich darauf achten, dass man jetzt nicht die Ukraine hier schlechtredet, indem man so tut, als ob da nur Kriminelle kämen, wobei sich ja herausgestellt hat, dass die Haupttäter in dem Falle Deutsche waren, die eben versucht haben, auf die Weise Geschäfte zu machen. Ich denke, auch dieser Aspekt ist deutlich geworden, dass da kein Porzellan zerschlagen wird und dass die Union nicht weiterhin antiislamische Vorurteile hier pflegen darf.

    Müller: Wie antworten Sie denn auf die Frage derjenigen, die sagen, SPD und Grüne haben vermutlich schon im Vorfeld gewusst, dass Joschka Fischer zwar Verantwortung trägt, aber es doch nicht so schlimm ist?

    Stiegler: Das kann ich für mich so nicht sagen. Das einzige, was ich lieber gehabt hätte, wenn man diese Veranstaltung schon zwei, drei Monate früher gemacht hätte, dann wäre die ganze Spekulationswelle nicht ins Kraut geschossen und dann hätte diese Verleumdungskampagne der Union nicht so viel Boden gewonnen. Aber immerhin, jetzt sind die Fakten klar und jetzt hat sozusagen das Theaterstück seinen Höhepunkt erreicht und die Einschaltquote wird sinken.