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Union plädiert für Mindestlohn

Ist die Abwanderung der Produktion aus Deutschland mit einem Mindestlohn im eigenen Land zu stoppen? Der Tarifexperte Hagen Lesch hält dies entgegen einem Vorschlag der Union nicht für möglich. Generell aber sieht er für einen Mindestlohn keine Probleme - solange er gut ausbalanciert ist.

Von Gerd Breker |
    DLR: Welchen Wert haben Erkenntnisse, die im Wahlkampf reifen? Das wird man dann daran erkennen, mit welchem Einsatz an ihrer Umsetzung gearbeitet wird. Kaum zufällig reift bei der Union die Erkenntnis, dass Deutschland in der globalisierten Welt bei den Löhnen nicht mit den Staaten Osteuropas konkurrieren kann. Also muss eine Lösung her und die wird auch gleich andeutungsweise mitgeliefert: Die Lösung könnte "Mindestlöhne" heißen. Neue Töne von der Union, doch was kann Mindestlohn helfen? Am Telefon begrüße ich nun Hagen Lesch, er ist der Tarifexperte des Instituts der deutschen Wirtschaft hier in Köln. Herr Lesch, dass die Bundesrepublik bei den Löhnen nicht konkurrenzfähig mit den osteuropäischen Ländern ist, das ist doch eine Erkenntnis, die banal ist. Das weiß man doch schon lange.

    Lesch: Ja selbstverständlich weiß man das lange. Das Problem ist nur, dass wir in der Regel dieses Problem unter dem Aspekt der Produktionsverlagerung diskutieren. Das heißt, eine Direktinvestition wird eben nicht hier getätigt, sondern in Polen beispielsweise, weil die Löhne dort billiger sind - denken Sie an die Automobilindustrie, die viel nach Osteuropa investiert hat. Wir kennen das Problem aber auch im Rahmen der Entsendeproblematik des Baus, weil wir schon Mitte der 90er Jahre damals die Diskussion hatten, dass nicht nur aus Osteuropa, sondern auch aus der damaligen EU Arbeitskräfte nach Deutschland kamen, temporär entsandt wurden, zur Erbringung von Baudienstleistungen und auch zu erheblich billigeren Löhnen arbeiteten, nämlich zu denen ihres Heimatlandes. Und der Portugiese, der damals da war, war halt auch billiger. Man hat ja dann am Bau entsprechend reagiert durch das Entsendegesetz und versucht, hier diese Konkurrenz eben zu eliminieren.

    DLR: Diese beiden Ebenen, Herr Lesch, sollten wir durchaus noch mal festhalten: Also auch bei Mindestlöhnen bei uns würde das bedeuten, dass die Abwanderung der Industrie nach Osteuropa durchaus weitergehen würde. Die Abwanderung von Arbeitsplätzen aus der Bundesrepublik nach Osteuropa, das wäre davon unbehelligt?

    Lesch: Ja, der Mindestlohn hilft im Prinzip, so wie wir im Moment darüber diskutieren, nur eben bei dem Fall, wo eben im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit Arbeitskräfte zu uns strömen und sich hier eben zu Arbeitskosten anbieten, die ja deutlich unter den bestehenden Tarifniveaus liegen. Andere Effekte - also gerade Produktionsverlagerung der Industrie - tangiert man eigentlich überhaupt nicht. Man muss aber auch sehen, dass, wenn wir beispielsweise jetzt im Fleischerhandwerk einen Mindestlohn einführen würden, die einfache Konsequenz wäre, dass dann nicht mehr die ungarischen Fleischer hierher kommen, sondern die Fleischindustrie nach Ungarn abwandert und das Fleisch anschließend mit dem Lkw wieder hierher kommt. Das heißt also, das Problem der niedrigeren Arbeitskosten eines ungarischen Fleischers lösen wir mit dem Mindestlohn natürlich überhaupt nicht.

    DLR: Was allerdings bedeutet - ich habe Sie eben doch richtig verstanden - der Mindestlohn hilft auf dem heimischen Markt. Was dann bedeuten würde, wer soll denn diesen Mindestlohn festlegen?

    Lesch: Nein, da haben Sie mich nicht richtig verstanden: Der Mindestlohn hilft nur dort, wo Sie die Produktion nicht verlagern können. Das Beispiel des Fleischerhandwerks zeigt: Klar, Sie können jetzt einen Mindestlohn festsetzen und dann kann es sinnvoll sein für einen ungarischen Anbieter eben von Ungarn aus uns zu beliefern. Das heißt, der kommt dann gar nicht zu dem Mindestlohn nach Deutschland. Der Mindestlohn hilft lediglich da, wo wir wirklich ortsgebundene Dienstleistungen erbringen, dazu gehört der Bau - ob er da jetzt beschäftigungspolitisch hilft, ist die große Frage. Denn wenn man sich mal anschaut, wie die Bauwirtschaft aussieht, dann wird mir ja keiner sofort sagen können, er hat Arbeitsplätze gerettet, denn die Bauindustrie befindet sich ja in einem Strukturwandel und hat massiven Arbeitsplatzabbau. Und die Höhe der Mindestlöhne gerade am Bau - die wurden ja eingangs erwähnt, für einfache Arbeiter etwas über zehn Euro im Westen, für qualifiziertere über zwölf Euro -, die sind natürlich extrem hoch und verteuern Bauleistungen in unnötiger Weise. Eine Mindestlohnfestsetzung - um dann auf Ihre Frage einzugehen - können letztlich im System der Tarifautonomie nur die Tarifparteien selbst, es sei denn die Tarifparteien sind sich einig und fordern den Gesetzgeber auf, jetzt eine einheitliche Lösung über alle Branchen hinweg zu suchen. Aber im Moment zeichnet sich da überhaupt keine Einigkeit ab bei den Tarifparteien.

    DLR: Würden Sie als Tarifexperte denn empfehlen, Mindestlöhne einzusetzen?

    Lesch: Also Mindestlöhne sind ökonomisch gesehen unschädlich, wenn sie niedrig festgelegt werden, wenn sie sich in der Höhe des markträumenden Niveaus bewegen, wo Angebot und Nachfrage letztlich aufeinander treffen, dann ist ein Mindestlohn überhaupt kein Problem - siehe USA beispielsweise, dort beträgt der Mindestlohn gerade mal 35 Prozent des Durchschnittslohns und ist relativ unschädlich beschäftigungspolitisch. Wenn der Mindestlohn aber zu hoch festgelegt wird und wenn ich mal den Vorschlag der Nahrung und Genuss-Gewerkschaft nehme, einen Monatsmindestlohn von 1.500 Euro, dann kommt ein Stundenlohn von fast neun Euro raus. Das ist natürlich sehr hoch und da muss man sich natürlich fragen, ob der Mindestlohn - der schützt zwar Leute, die quasi im Job sind -, aber die andere Frage ist, wie stark verhindert der Mindestlohn die Entstehung einfacher Tätigkeiten? Gerade im Dienstleistungssektor, in der Gastronomie, da fallen sicherlich viele Tätigkeiten weg, weil sie sich zu dem Mindestlohn schlichtweg nicht mehr rentieren und das muss man immer auseinander halten. Und ein zweites Problem ist, dass der Mindestlohn natürlich verteilungspolitisch nicht unbedingt ein sehr effizientes Instrument ist, weil der Mindestlohn niemals gezielt ist. Nehmen Sie eine Familie mit zwei Kindern und zwei Eltern, wo nur einer verdient und der arbeitet halt zum Mindestlohn: Der Mindestlohn sichert natürlich nicht, dass die Familie ein ausreichendes Haushaltseinkommen hat. Umgekehrt gibt es Leute, Hinzuverdiener beispielsweise, die einen guten Erstverdiener haben, wo der Mindestlohn eigentlich gar nicht notwendig ist, weil das Haushaltseinkommen ohnehin hoch ist. Das sind alles Dinge, die man bei der Mindestlohndiskussion auch berücksichtigen sollte.