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Union schon im Wahlkampf?

Zagatta: Dass Kanzler Schröder morgen im Bundestag die Vertrauensfrage stellt, bringt nicht nur die rot/grüne Koalition in Turbolenzen. Das nun mögliche ganz schnelle Aus für das Regierungsbündnis setzt auch die Union unter Druck, denn die muss sich nun vielleicht doch viel, viel schneller als eigentlich geplant auf ihren Kanzlerkandidaten einigen. Gestern Abend haben die Parteivorsitzenden Angela Merkel von der CDU und Edmund Stoiber von der CSU beraten. Mit dabei war auch Michael Glos, der Landesgruppenchef der CSU im Bundestag, und ihn kann ich nun am Telefon begrüßen. Guten Morgen Herr Glos!

    Glos: Guten Morgen!

    Zagatta: Herr Glos, war das gestern Abend eine Art Krisensitzung?

    Glos: Nein, überhaupt nicht. Vor allen Dingen war erfreulich, dass Deutschland 4 : 1 gewonnen hat und wir haben das natürlich mitverfolgt.

    Zagatta: Die Zeit haben Sie noch gefunden?

    Glos: Es gibt auch andere Dinge neben der Politik, die wichtig sind, und ich finde es ungeheuer erfreulich, dass wir jetzt bei der WM dabei sind. Es war aber keine Krisensitzung; es war ein routinemäßig anberaumtes Treffen der Spitzen von CDU und CSU und es ist natürlich selbstverständlich, dass die aktuellen Ereignisse eine Rolle gespielt haben. Es wäre ja auch sehr seltsam gewesen nach dem Motto "alle reden vom Wetter, wir nicht".

    Zagatta: Die Nationalmannschaft hat ja mit Rudi Völler eine unumstrittene Führungsfigur. Wie sieht das denn jetzt in der Union aus?

    Glos: Wir haben verschiedene unumstrittene Führungsfiguren und wir wären in der Lage, wenn es nötig ist, innerhalb von Stunden einen Kanzlerkandidaten zu benennen. Aber nach unserer Einschätzung ist das nicht so. Wir haben das Gefühl, es läuft ein großes rot/grünes Schmierentheater. Es läuft auch eine Erpressungsaktion ab für die Abgeordneten, die bisher so getan haben, als ob sie nicht hinter Schröder stünden. Wir gehen ein ganzes Stück davon aus, dass das am Freitag zwar mit großer Dramatik, mit großem Bohai, vielleicht sogar mit Champagner oder Sekt, wie der Herr Müntefering gesagt hat, abläuft. Dann feiert man einen Sieg über eine Geschichte, die man selber inszeniert hat. Ich glaube also, das wird ein großer Sturm im Wasserglas.

    Zagatta: Aber es könnte auch eng werden. Immerhin fünf Abgeordnete aus dem Koalitionslager haben sich jetzt wohl schon festgelegt, auch mit Vertrauensfrage mit Nein zu stimmen. Kommen zwei weitere dazu, wäre das Regierungsbündnis vor dem Ende. Welches Verfahren haben Sie denn gestern Abend festgelegt für diesen Fall? Wie wollen Sie dann in welcher Form, wie schnell wollen Sie dann über Ihren Kanzlerkandidaten entscheiden?

    Glos: Also noch einmal: Ich gehe davon aus, dass Schröder die Vertrauensabstimmung gewinnen wird. Im Grunde ist es schon gar keine echte Vertrauensabstimmung mehr, weil die Kolleginnen und Kollegen von der anderen Seite haben ja gar keine Gelegenheit, wirklich zu sagen was sie über Schröder, seine Politik und seine Regierung denken, weil sie werden ganz kalt erpresst. Wenn ich die Dramatik der Töne höre, die da angeschlagen werden, dann ist es schon schlimm. Insofern wird eine Frage hier hochstilisiert, die eigentlich anders hätte entschieden werden müssen. Falls es dazu käme, könnten wir in einer Fraktionssitzung hinterher und in einer anschließenden Sitzung von Gremien diese Frage, wenn es nötig wäre, wie ich meine blitzschnell klären. Die Union wäre sehr viel schneller und sehr viel rascher im Wahlkampf als viele sich das vorstellen können.

    Zagatta: In einer kurzen Agenturmeldung über Ihr Treffen vom gestrigen Abend ist jetzt davon die Rede, für den Fall der Fälle würden sich Herr Stoiber und Frau Merkel kurz zusammensetzen und eine Entscheidung treffen. Ist das richtig so?

    Glos: Zum Beispiel.

    Zagatta: Hieße das auch, Wolfgang Schäuble wäre damit aus dem Rennen?

    Glos: Es macht ja keinen Sinn, über eine Situation zu spekulieren, die niemand, die ich zumindest nicht sehe.

    Zagatta: Wolfgang Schäuble haben Sie ja auch mit ins Spiel gebracht?

    Glos: Ich habe gesagt, Wolfgang Schäuble ist einer der denkbaren Kandidaten. Es gibt ja kein offizielles Bewerbungsverfahren und wir sind froh, dass Wolfgang Schäuble wieder in der ersten Reihe der deutschen Politik ist. Wir spekulieren jetzt aber darüber, wie eine Vertrauensfrage, die der Kanzler gestellt hat, beantwortet wird und man muss nicht über alle Eventualitäten sprechen. Das ist ja wie wenn jemand zum Arzt geht, um sich untersuchen zu lassen, und es wird gleich darüber spekuliert, wie denn bei einem negativen Ergebnis am Schluss die Bestattungsform aussieht. Ich glaube man sollte erst den ersten Schritt tun und dann ein Stück weiter gehen. Es sieht nicht so aus - ich sage es noch einmal -, als ob Schröder hier ernsthaft in Zweifel gezogen werden würde. Ich meine rot/grün kann nur von den Wählerinnen und Wählern beendet werden. Die Grünen werden nicht freiwillig den Sessel der Macht räumen. Joschka Fischer hat nicht umsonst umgeschaltet vom ehemaligen Straßenkämpfer zum Außenminister. Er hat sich an die Nadelstreifenanzüge gewöhnt und er wird alles tun, um weiterhin dieses Amt ausüben zu können. Dabei wird er von seinen eigenen Leuten unterstützt werden, letztlich von den Parlamentarierinnen und Parlamentariern. Etwas anderes ist, dass die Basis wegläuft. Das wird das eigentliche Problem. Dieser Erosionsprozess, der ganz stark begonnen hat. Wenn man sich die ganzen E-Mails und Zuschriften anschaut, die kommen, dann sind es gerade diese linken Gruppen, all diese Gruppen, die die Grünen getragen haben, die jetzt die Gefolgschaft verweigern.

    Zagatta: Herr Glos, dazu werden wir gleich mit der Grünen-Fraktionsvorsitzenden Kerstin Müller sprechen. Da bieten sich ja einige Fragen an. Aber an Sie doch als Vertreter der CSU die Frage: Wissen Sie denn persönlich, was Edmund Stoiber vor hat, ob er dann antreten würde, oder hat er Sie da auch noch im Unklaren gelassen?

    Glos: Ich persönlich weiß ganz genau, was er vor hat und was dann geschehen wird. Ich bitte aber herzlich um Verständnis, wenn ich das nicht sage.

    Zagatta: Auch nicht unter uns heute?

    Glos: Nein, nicht unter uns und nicht mal, wenn nicht die Hörer noch zugeschaltet wären.

    Zagatta: Na gut! Dann müssen wir uns da noch eine Weile gedulden. - Danke schön für das Gespräch. - Das war Michael Glos, der Landesgruppenchef der CSU im Bundestag.

    Link: Interview als RealAudio