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"Unionsparteien sind für den Verfassungsvertrag"

Müller: Ob der Kanzler nun in der Europafrage tatsächlich auch substantiell unter Druck steht, weiß er wohl selbst noch nicht so genau, denn offiziell bezichtigt die Regierung die Opposition des blanken Populismus. Das ist zwar im politischen Alltagsgeschäft eine Standardformel, aber es geht im jüngsten Streit immerhin um die Zukunft der EU, um die europäische Verfassung, um die Erweiterung mit Rumänien und Bulgarien, denn zahlreiche Stimmen aus der CDU und CSU lauten: entweder nachverhandeln oder wir fahren das Projekt an die Wand.

    Am Telefon verbunden sind wir nun mit CDU-Politiker Hartmut Nassauer. Sprecher der Unionsabgeordneten im europäischen Parlament. Guten Morgen.

    Nassauer: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Haben Sie sich über ihre Parteifreunde geärgert?

    Nassauer: Ach, nein. Das sind einige Stimmen, zum Beispiel zum Verfassungsvertrag, die dort Gegnerschaft ankündigen, die aber mit Abstand nicht repräsentativ sind. Die Unionsparteien sind mit ihrer breiten Mehrheit für den Verfassungsvertrag. In Sachen Beitritt Bulgarien und Rumänien haben die Unionsgeordneten im europäischen Parlament ebenfalls nicht für die Aufnahme zum 1.1.2007 gestimmt,. Dort haben wir auch Bedenken, dass die Beitrittsbedingungen erfüllt sind. Das eint uns etwa mit der Kritik des bayerischen Ministerpräsidenten, der Nachverhandlungen gefordert hat in einem Schreiben an den Bundeskanzler. Nun werden solche Nachverhandlungen aller Wahrscheinlichkeit nach nicht stattfinden, weil der Rat das einstimmig beschließen müsste, aber das, was Herr Stoiber in der Sache sagt, ist sehr richtig und ist von uns auch so formuliert worden.

    Müller: Das heißt, Sie bleiben auch bei diesem nein der Unionsabgeordneten im europäischen Parlament, auch wenn sich die Verhältnisse ändern?

    Nassauer: Nein, das gerade nicht. Wir haben gesagt, wir sehen keinen Anlass, jetzt, 20 Monate vor dem geplanten Beitritt, schon positiv abzustimmen, zumal aus dem Bericht der Kommission selbst hervorgeht, dass die Kriterien noch nicht erfüllt sind. Deswegen war unsere ursprüngliche Forderung: Wir verschieben diese Abstimmung bis in den Herbst nach der Vorlage des nächsten Berichtes der Kommission. Mit dieser Forderung haben wir uns nicht durchsetzen können, aber immerhin enthalten die Beitrittsverträge mit diesen beiden Ländern so genannte Schutzklauseln. Diese ermöglichen, den Beitritt um ein Jahr zu verschieben, wenn die Bedingungen, die noch ausstehen, nicht erfüllt sind. Und wir werden natürlich darauf drängen, dass sie in Augenschein genommen werden.

    Müller: Haben Sie denn eine überzeugende Antwort auf die Frage in diesem Zusammenhang, Rumänien und Bulgarien, eine Frage, die sich viele stellen in Deutschland: warum diese Eile?

    Nassauer: Das ist genau der Punkt auch unserer Kritik. Es besteht kein Zweifel, dass Rumänien und Bulgarien Mitglieder der EU werden sollen, aber wir haben einmal formuliert, das müsse an die Erfüllungen dieser Beitrittsbedingungen geknüpft sein und wir halten an dieser Position fest und die sind gegenwärtig nicht erfüllt, deswegen wollen wir im Augenblick noch keine positive Entscheidung treffen. Wir wollen Bulgarien und Rumänien nicht etwa grundsätzlich aus der EU fernhalten, aber wir wollen warten, bis die Bedingungen erfüllt sind. Das wäre eigentlich auch im Interesse dieser Länder.

    Müller: Stellt sich eine andere Frage: warum diese Verfassung?

    Nassauer: Sie ist notwendig, weil sie klarer macht, wofür Europa zuständig ist, weil sie die Entscheidungsfindung in der EU demokratischer macht, zum Beispiel, das Gesetzgebungsverfahren grundsätzlich in die Hände von Parlament und Rat gemeinsam gelegt wird, weil mehr Transparenz hergestellt wird und mehr parlamentarische Kontrolle, damit die Union insgesamt auch handlungsfähiger wird. Das sind entscheidende Vorzüge dieses Verfassungsvertragsentwurfs, an dem es auch einzelne Punkte zu kritisieren gibt aus unserer Sicht, da fehlt ein Gottesbezug zum Beispiel, aber insgesamt überwiegen die Vorzüge, die gegenwärtige Situation geprägt vom Vertrag von Nizza. Deswegen sind wir uneingeschränkt für die Ratifizierung dieses Verfassungsvertrages.

    Müller: Sie sagen uneingeschränkt, meinen natürlich nicht die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, weil es dort ja offenbar mindestens 20 Abgeordnete gibt, die dagegenstimmen wollen zum jetzigen Zeitpunkt. Warum ist es so schwierig, die zu überzeugen?


    Nassauer: Das ist eine Position, die teilen wir hier im europäischen Parlament nicht und zwar weder in der CDU noch in der CSU. Es kommt gelegentlich vor, dass es in solchen Fragen unterschiedliche Positionen gibt, aber wie gesagt, das ist nicht unsere, wir glauben klar belegen zu können, dass der Verfassungsvertrag im Vergleich zum Vertrag von Nizza einen deutlichen Fortschritt bietet und deswegen treten wir dafür ein.

    Müller: Wie schädlich ist das denn auch für Ihre Partei, aber auch insgesamt, wenn 20 CDU/CSU-Abgeordnete im Bundestag Mitte Mai gegen diese Verfassung abstimmen vor dem Hintergrund dessen, dass Ende Mai das Referendum in Frankreich ansteht?

    Nassauer: Die weit überwiegende breite Mehrheit der Unionsparteien ist klar für den Verfassungsvertrag. Dann kann man ertragen oder akzeptieren, dass der ein oder andere Bedenken hat. Ich sehe diese Kritik im Zusammenhang mit Entwicklungen in Europa, die auch ich nicht für bedenkenfrei halte, zum Beispiel ist völlig ungeklärt im Augenblick, welches Ziel die Erweiterungspolitik insgesamt hat. Wir werden in absehbarer Zeit Rumänien und Bulgarien aufgenommen haben. Völlig offen ist die Frage, was mit der Türkei wird, der unsere Partei mit guten Gründen anbot, das Verhältnis EU-Türkei in Form einer privilegierten Partnerschaft zu gestalten, nicht im Rahmen einer Mitgliedschaft, aber der Rat hat bekanntlich die Aufnahme von Verhandlungen beschlossen, obwohl auf der Hand liegt, dass die Türkei weit davon entfernt ist, die Beitrittskriterien zu erfüllen, das haben wir in diesen Tagen wieder nachdrücklich erlebt. Etwa im Zusammenhang mit der Armenien-Diskussion oder den Vorhängen um diese Demonstration am Frauentag zum Beispiel. Wir haben offene Fragen im Hinblick auf die Ukraine. Da reden einige vom möglichen Beitritt; wohin soll das alles noch führen? In den Köpfen vieler Menschen ist im Augenblick völlig unklar, welches Ziel die EU nimmt und daraus erwächst Kritik und Zweifel und das schlägt sich dann gelegentlich auch in solchen Abstimmungen nieder. Dazu kommt die unselige Entwicklung im Zusammenhang mit dem Stabilitätspakt, den Schröder und Chirac Arm in Arm aufgeweicht haben. Auch das ist eine unglückliche Entwicklung und es gibt einiges weitere, was in diesem Zusammenhang aufzuzählen wäre. Ich sehe also keinen grundsätzlichen Zweifel an der Zusammenarbeit der Europäer in der EU, aber durchaus Zweifel an einzelnen Entwicklungen und das muss sich gelegentlich bahnbrechen, auch auf öffentliche Kritik.