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Universität 2.0

Der Google-Entwickler und Stanford-Professor Sebastian Thrun hat die Bildungsplattform Udacity ins Leben gerufen. Er sieht die Zukunft Lehrens im Netz, will Bildung demokratisieren und bietet nun Seminare im Internet an.

Von Thomas Reintjes |
    "I can't teach at Stanford again.”"

    Sebastian Thrun hat seine Professorenstelle in Stanford aufgegeben. Nach 20 Jahren Lehre an Universitäten sieht er plötzlich keinen Sinn mehr darin. Das vergangene Semester hat das Leben des gebürtigen Deutschen bedeutend verändert. Der Einschnitt war seine eigene Entscheidung, seine Stanford-Vorlesung über künstliche Intelligenz ins Netz zu stellen. 160.000 Studenten hatten sich bei dem kostenlosen, weltweit frei verfügbaren Kurs eingeschrieben – einer davon war ich. Woche für Woche konnte ich mir neue Vorlesungen als Youtube-Video ansehen. Im Hörsaal in Stanford saßen dagegen nur die üblichen 200 Elitestudenten. Anfangs. Später seien es nur noch 30 gewesen, erzählt Thrun in seinem Vortrag auf dem internationalen Zukunftskongress DLD in München:

    ""Alle haben gesagt, sie wollen mich lieber auf Video. Da können sie mich zurückspulen. Sie können mich unterwegs sehen. Das sind Studenten, die jedes Jahr 30.000 Dollar an die Universität Stanford zahlen, um die besten und berühmtesten Professoren zu sehen und dann schauen sie sich uns lieber auf Video an? Das war ein großer Schock!"

    Das ist auch meine Erfahrung. Statt zu einem Lehrbuch zu greifen, startete ich einfach das Video noch einmal, wenn ich etwas nicht verstanden hatte. Manchmal frage ich mich allerdings, ob ich den Stoff nicht noch besser verstanden hätte, hätte ich ihn mir selbst erarbeitet.

    Doch Thrun geht es nicht nur darum, welches das bessere Medium für den Einzelnen ist. Er habe eine E-Mail aus Afghanistan bekommen, von einem Studenten, der seine Hausaufgaben erledigte, nachdem er vor Angriffen geflüchtet war. Thrun glaubt, dass er mit dem Onlinekurs Menschen eine nie da gewesene Bildungschance eröffnet und Lebensläufe verändert hat - schließlich auch seinen eigenen.

    "Ich habe begriffen, dass wir unsere Studenten nicht zum Erfolg, sondern zum Versagen treiben. Noten sind der Fehler im Bildungssystem. Jemandem ein 'Ausreichend' oder 'Mangelhaft' zu geben, bedeutet nur, dass wir, die Ausbilder, versagt haben."

    Im Internet bestehe kein Grund zum Aussieben von Studenten, sagt Thrun. Jetzt gibt es für ihn keinen Weg mehr zurück in die Offlinelehre, die er 20 Jahre lang praktiziert hat.

    "Ich komme mir vor, als hätte ich die Wahl zwischen einer roten und einer blauen Pille. Man kann die blaue schlucken und zurück in den Hörsaal gehen und vor 20 Studenten eine Vorlesung halten. Aber ich habe die rote Pille genommen und landete im Wunderland. Ich glaube, wir können die Welt mit Bildung verändern."

    Dafür hat er zusammen mit zwei anderen Robotik-Forschern ein Unternehmen gegründet. Ihre Website Udacity.com ist seit wenigen Tagen online. Die Seite unterscheidet sich kaum von anderen Webinar-Plattformen. Der Unterschied wird erst deutlich, wenn man Thrun in seiner amerikanisch-visionären Weise als potenzieller Weltverbesserer reden hört. Ob er dem Anspruch gerecht werden wird, lässt sich nicht absehen. Und auch über das Geschäftsmodell von Udacity ist noch nichts bekannt. Für die ersten Kurse kann man sich kostenlos anmelden. Noch allerdings ist die Fächerauswahl der Universität 2.0 beschränkt: Studenten haben die Wahl zwischen einem Kurs in Suchmaschinenprogrammierung oder einem über die Programmierung eines Roboterautos.