Archiv


Unklare Rechtslage bei der Patientenverfügung

Der Fall um die Wachkomapatientin Terri Schiavo hat in den USA die Gemüter bewegt. Auch in Deutschland ist die Rechtslage um die Anwendung von Patientenverfügungen nicht klar. René Röspel, Vorsitzender der Enquete-Kommission Ethik und Recht der modernen Medizin, hofft aber, dass hier bald eindeutigere Regelungen gefunden werden.

Moderation: Doris Simon |
    Doris Simon: Spontan befragt ist es die eine Sache, die niemand möchte: Hilflos an Schläuchen und Sonden hängen, versorgt mit Kathetern oder Pampers. Wenn es aber passiert, sieht die Situation oft ganz anders aus, sowohl für die Betroffenen als auch für ihre Angehörigen und ganz selten gibt es eine schriftliche Erklärung, die darüber Aufschluss gibt, was der Schwerkranke denn genau wollte. Auch das macht die Diskussion um Lebensverlängerung und Sterbehilfe so unendlich schwierig. Am Telefon ist nun René Röspel, der Vorsitzende der Enquete-Kommission Ethik und Recht der modernen Medizin. Ich grüße Sie.

    René Röspel: Schönen gute Morgen, Frau Simon.

    Doris Simon: Wachkomapatienten oder Apalliker, wie es in der Medizin heißt, gibt es ja auch in Deutschland viele, aber so ein rechtliches Hin und her wie im Fall von Terri Schiavo auch?

    René Röspel: Die Rechtslage in Deutschland ist nicht klar, aber ich glaube, dass der Fall wie wir ihn in den USA erleben, in jeder Hinsicht einzigartig ist und wir müssen alles tun, dass ein solches Hin und her in Deutschland nicht möglich ist.

    Doris Simon: Was sieht denn das Gesetz in Deutschland in diesem Fall der Frau vor, die da künstlich ernährt wird? Da wird dann weiter ernährt?

    René Röspel: Ich bin kein Jurist, aber nach der letzten Rechtsprechung haben wir keine Gesetzeslage in Deutschland sondern die Rechtsprechung hat sich über Gerichtsurteile gebildet, wäre es wohl eher so, dass sie weiter ernährt würde, weil natürlich ziemlich unklar ist, wie die Frau selbst jetzt in dieser Situation entscheiden würde und weil es keine eindeutige Patientenverfügung oder Willensäußerung von ihr gibt, die vor dieser Zeit liegt.

    Doris Simon: Wie könnte eine solche künstliche Ernährung eingeschränkt werden, wenn es eine schriftliche Willenserklärung, eine Patientenverfügung gibt, hier in Deutschland?

    René Röspel: Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs von 2003 sind Patientenverfügungen grundsätzlich für Arzt und Betreuer verbindlich, allerdings für den Fall, dass lebenserhaltende Maßnahmen abgebrochen werden sollen, also sozusagen der Tod durch Unterlassen medizinischer Maßnahmen eintreten soll, sind gewisse Voraussetzungen an die Krankheit geknüpft worden, nämlich dass es um ein irreversibles Grundleiden geht, das tödlich verläuft. Das ist bei Terri Schiavo nicht der Fall. Also würde sie wahrscheinlich künstlich weiter ernährt. Das wird aber sehr diskutiert in Deutschland, dieses Gerichtsurteil.

    Doris Simon: In der Enquete-Kommission, der Sie vorsitzen, wird eben genau dieses auch diskutiert. Wieso gibt es auch da generell Bedenken, eine Patientenverfügung im Ernstfall auch wirklich ernst zu nehmen, warum muss da zum Beispiel erst noch ein Gericht vorgeschaltet werden?

    René Röspel: Wir haben gesagt, dass wir Patientenverfügungen grundsätzlich für verbindlich halten, machen aber eine Einschränkung, nämlich dann, wenn es um den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen geht. Da sagen wir ähnlich wie das BGH-Urteil, dass eben ein irreversibles Grundleiden vorliegen muss, das ohne ärztliche Behandlung und nach ärztlicher Kenntnis zum Tode führen wird. Das Problem ist schlicht und einfach, dass die Menschen in der jeweiligen Situation nicht mehr selbst entscheiden können. Jeder, der selbst entscheiden kann, kann eine ärztliche Behandlung ablehnen, wenn er die Tragweite seiner Entscheidung übersehen kann. Ich kann sagen, ich möchte als Krebspatient diese Therapie nicht mehr. Umgekehrt kann er eine Woche nach dieser Entscheidung noch mal sagen: Also, ich möchte jetzt doch noch mal diese Therapie haben. Das Problem ist eben, wenn man eine Patientenverfügung macht, ist das eine Vorausverfügung für eine Situation, in der man sich noch nicht befindet und da ist dann abzuwägen zwischen dem Willen und dem Wohl des Patienten.

    Doris Simon: Wachkomapatienten verfügen eben nicht mehr über alle ihre Sinne und habend dementsprechend rechtliche Betreuer. Welche Rechte hat denn dieser rechtliche Betreuer in Deutschland, wenn es eben um die medizinische Versorgung oder auch deren Unterlassung geht?

    René Röspel: Nach dem Betreuungsrecht hat der gesetzliche Betreuer nicht nur den Willen des Patienten umzusetzen, sondern auch zu dessen Wohl zu handeln. Das macht die Situation schwierig, spiegelt aber im Prinzip eine richtige Haltung wider. Wenn also jemand sagt, wenn ich mal dement bin, will ich keine medizinische Behandlung mehr, weil er vielleicht in der Verwandtschaft einen schlimmen Fall von Demenz gesehen hat, wenn er das als Patientenverfügung niederlegen würde und er kommt in die Situation der Demenz, lebt aber einigermaßen zufrieden in diesem Zustand und bekommt eine Lungenentzündung und der Arzt sieht die Patientenverfügung, müsste er eben getreu dem Vorschlag des Justizministeriums zum Beispiel diese Patientenverfügung umsetzen und die Lungenentzündung nicht therapieren. Für den Arzt kann das aber bedeuten, dass er diesen Menschen noch am Vortage gesehen hat, der sich eben freut, dass seine Enkelkinder am nächsten Samstag kommen, soweit er sich wieder daran erinnern kann und müsste eben eine Lungenentzündung, die binnen drei Tagen nach Antibiotikagabe austherapierbar ist, dürfte er nicht machen und er müsste diesen Menschen sterben lassen. Das wäre eigentlich aus Sicht des Arztes gegen das Wohl des Menschen und es wäre fraglich, ob dieser Mensch in dieser Situation, wenn er einsehungsfähig wäre, nicht doch so entschieden hätte, sich lieber behandeln zu lassen. Der Betreuer also muss auch das Wohl des Patienten berücksichtigen und ich glaube, es ist richtig, da so einen Kompromiss zwischen Wille und Wohl in der Tat zuzulassen.

    Doris Simon: Das heißt aber, dass es hier in Deutschland auf absehbare Zeit keine klare und eindeutige Regelung geben wird.

    René Röspel: Da sind wir gerade dran. Die Enquete-Kommission hat ihren Bericht vorgelegt und wir haben eine erste Debatte unseres Berichtes im deutschen Bundestag vor zwei Wochen gehabt und es geht jetzt darum, eben zu sehen und auch im Bundestag zu diskutieren: brauchen wir eine gesetzliche Regelung und wenn ja, wie sieht die aus? Da gibt es sehr unterschiedliche Meinungen und das ist auch gut so. Das werden wir im Parlament in den nächsten Monaten sehr intensiv diskutieren und am Ende möglicherweise einen Gesetzentwurf haben, der mehr Klarheit in dieser Frage schafft.

    Doris Simon: Im Fall von Terri Schiavo in den USA hat den US-Kongress aktiv eingegriffen, um eine Entscheidung des höchsten Gerichts von Florida zu revidieren. Können Sie sich als Politiker vorstellen, ähnlich aktiv in ein privates Schicksal einzugreifen?

    René Röspel: Ich habe das ganze Verfahren in den Medien jetzt verfolgt und muss sagen, ich habe doch große Skepsis darüber, was in den USA passiert. Dass eine Videovorführung des Gesundheitszustands gemacht wird und danach dann relativ schnell als Ferndiagnose eine Entscheidung getroffen wird. Da habe ich große Skepsis und ich bin froh, dass sich der deutsche Bundestag da sehr viel Zeit lässt, noch mal externe Expertise einholt und Erfahrung sammelt, bevor er eine Gesetzgebung macht, Wir werden sicherlich, egal, was dabei herauskommt, immer Einzelfälle haben die zu Unverständnis führen werden, weil es eben eine Frage ist, die man durch ein Gesetz nicht hundertprozentig scharf regeln kann.