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Unklares Risiko

Steigt in der Umgebung von Kernkraftwerken das Risiko für Kinder, an Krebs zu erkranken? Dieser Frage ging die französische Behörde für nukleare Sicherheit ASN nach. Das Ergebnis der Metastudie: Ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung ist nicht belegbar.

Von Suzanne Krause |
    In den vergangenen drei Jahren nahm die französische Arbeitsgruppe unzählige Studien weltweit unter die Lupe. Und sie kommt zum Schluss: Um eindeutig zu bestimmen, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen dem Auftreten von Kinderleukämie und einer benachbarten Atomanlage, mangelt es derzeit noch an Kenntnissen. Danièle Sommelet, Kinderärztin am Uni-Klinikum von Nancy und Präsidentin der Arbeitsgruppe:

    "Wir können keine klare Aussage treffen. Wir können lediglich eines festhalten: 2008 hat Dominique Laurier vom Institut für Strahlenschutz in Paris eine Metastudie der internationalen wissenschaftlichen Literatur durchgeführt zu insgesamt 198 Atomanlagen. Sie ergab: Lediglich drei Studien berichten von einer potenziellen Ansammlung gehäufter Falle von Kinderleukämie nahe Atomanlagen. Und drei weitere Arbeiten, darunter die KIKK-Studie aus Deutschland, belegen ein gehäuftes Auftreten von Kinderkrebs, ohne aber einen direkten Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung herstellen zu können."

    Der französische Bericht hält zudem fest: Die Methodik wechselt von Studie zu Studie. Und nirgendwo wird vertieft, welche Rolle andere Umweltfaktoren beim Entstehen der Krankheit spielen können. Zu den Teilnehmern der Arbeitsgruppe zählen nicht nur Vertreter der Atomaufsicht, des Instituts für Strahlenschutz, des Instituts für Gesundheitsforschung oder auch Kinderärzte, sondern beispielsweise auch Philippe Unwin. Er leitet einen Verein, der Familien krebskranker Kinder betreut. Und sagt: Es dauerte, bis die Teilnehmer der Arbeitsgruppe dieselbe Sprache sprachen.

    "Über die einfache Frage 'Gibt es einen Zusammenhang zwischen einer nuklearen Basiseinrichtung und der Leukämie?' ist es uns gelungen, die Diskussion auf die anderen eventuellen Gründe für die Entstehung von Blutkrebs ausweiten. Wir haben sehr interessante Ansätze zur Charakterisierung der unterschiedlichen Leukämie-Formen entwickelt. "

    In künftigen Studien zu den Auswirkungen der Risiken niedriger Strahlendosen sollen alle Umweltfaktoren, beispielsweise Pestizide oder auch Medikamente, besser einbezogen werden, lautet die erste Empfehlung der Arbeitsgruppe. Außerdem sollen, über Kernkraftwerke und Wiederaufarbeitungsanlagen hinaus, alle Atomanlagen, die beim Anstieg von Blutkrebs-Fällen potenziell eine Rolle spielen könnten, genauer beschrieben werden. Ein Ansinnen, bei dem sich allerdings das französische Institut für Strahlensicherheit (IRSN) querlegt. Unabdingbar erscheint den Berichtsautoren eine internationale Zusammenarbeit, sagt Jean-Luc Godet von der nationalen Atomüberwachungsbehörde ASN:

    "Wir werden die Studie im Dezember beim Dachverband HERCA vorstellen, in dem die Atomüberwachungs-Behörden in Europa zusammengeschlossen sind. Ihm gehören auch die deutschen Behörden an. Wir setzen auf Kooperation, auf eine mögliche Synergie zwischen den Ländern, die sich für das Thema interessieren."

    In Deutschland dürfte Godet auf offene Ohren stoßen: Dort hat kürzlich eine Expertengruppe beim Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) eine langfristige Forschungsagenda ausgearbeitet, um die Ursachen für die Entstehung von Kinderkrebs besser zu untersuchen. Auch beim BfS möchte man dazu ein interdisziplinäres internationales Netzwerk aufbauen.