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UNO-Generalversammlung
"Das Vetorecht ist ein überholtes Privileg"

Der UNO-Sicherheitsrat müsse reformiert werden, sagte der ehemalige beigeordnete Generalsekretär der Vereinten Nationen Manfred Eisele im Deutschlandfunk. Es sei dringend notwendig, dass das Gremium zunächst einmal um nichtständige Mitglieder erweitert werde.

Manfred Eisele im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Die Generalversammlung der UNO in New York, aufgenommen am 07.06.2012
    Die Generalversammlung der UNO in New York (afp / Timothy A. Clary)
    Der Sicherheitsrat sei geschaffen worden, als es 51 UNO-Mitglieder gegeben habe, heute seien es fast vier Mal so viele. Eisele betonte, Deutschlands Bemühungen für einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat seien nicht aussichtslos. Eine Prognose, ob es dazu kommt, wollte er aber nicht abgeben.
    Seiner Ansicht nach verliert die UNO nicht an Bedeutung bei internationalen Konflikten. "Die Vereinten Nationen und der Sicherheitsrat haben ein Autorisierungsmonopol für jegliche Art von Interventionen." Wenn ein Mitglied sein Vetorecht einlege, sei es aber legitim, auf eine regionale Organisation wie die OSZE auszuweichen.
    Mit Blick auf die Ausbreitung von Ebola in Westafrika sagte der frühere beigeordnete UNO-Generalsekretär: "Mit der Ebola-Epidemie sind die Vereinten Nationen ganz unmittelbar mit der Grenze ihrer Handlungsmöglichkeiten konfrontiert worden."

    Das Interview in voller Länge:
    Friedbert Meurer: Die UNO-Generalversammlung repräsentiert fast 200 Staaten. Heute geht die 69. Versammlung in ihre wichtige Phase. US-Präsident Barack Obama spricht, die Präsidentin Liberias, Ellen Johnson-Sirleaf, dürfte einen flammenden Appell an die Weltgemeinschaft halten, ihrem Land angesichts der Ebola-Epidemie zu helfen. Und in dieser Woche ans Rednerpult werden noch treten der Präsident der Ukraine, Petro Poroschenko, und auch der russische Außenminister Sergei Lawrow. Ein "Who is Who" der internationalen Politik also.
    Manfred Eisele war von 1994 bis 1998 beigeordneter Generalsekretär der Vereinten Nationen, war für die Friedensmission der UNO zuständig, und deswegen hat man ihn auch immer tituliert als den obersten Blauhelm der UNO. Guten Morgen, Herr Eisele.
    Manfred Eisele: Grüß Gott, Herr Meurer.
    Meurer: All dieses Stelldichein der internationalen Politstars jetzt in New York, täuscht das darüber hinweg, dass die UNO nur noch wenig zu sagen hat?
    Eisele: Nun, es hat sich ja nichts geändert an der Zuständigkeit der Vereinten Nationen, die mit ihrem Sicherheitsrat auch die Hauptverantwortung für die Wahrung des Friedens und der internationalen Sicherheit übernommen haben. Aber mit der Ebola-Epidemie sind die Vereinten Nationen ganz unmittelbar mit der Grenze ihrer Handlungsmöglichkeiten konfrontiert worden.
    Meurer: Was ist die Grenze der Handlungsmöglichkeit der UNO bei Ebola?
    Eisele: Na ja, die Vereinten Nationen, der Sicherheitsrat hat Artikel 39 der Charta angezogen, und dieser Artikel stellt fest, dass der Sicherheitsrat bestimmen kann, wenn die Lage in einem Land - in diesem Falle sind es mehrere Länder - eine Gefährdung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit darstelle. Das könnte den Eindruck erwecken, als ob der Sicherheitsrat tatsächlich mit Bezug auf diesen Artikel etwas über seine Handlungsmöglichkeiten erkannt hat. Davon kann aber nicht die Rede sein.
    Meurer: Sie sagen, so habe ich Sie verstanden, das war schon immer so, da hat sich nichts verändert. Ist das wirklich so? Früher gab es mal spannende Sicherheitsratssitzungen. Wo sind die geblieben?
    Eisele: Nun, gegenüber dieser Gefährdung, die Ebola in einer Reihe mit früheren Menschheitserfahrungen, mit Pest und Cholera rückt, hat der Sicherheitsrat feststellen müssen, dass abermals eine Gegebenheit menschlichen Handelns oder vielleicht auch irdischen Geschehens eben nicht mit den Bestimmungen des Völkerrechts bekämpft werden kann, und da ist die Ohnmacht der Menschheit im Grunde genommen dokumentiert worden.
    Meurer: Verpasst der Sicherheitsrat eine Chance oder ist er wirklich ohnmächtig?
    Eisele: Eine Vielzahl, wahrscheinlich die Mehrzahl der nahezu 200 UN-Mitglieder stellen angesichts der Lage in Sierra Leone, Liberia und Guinea fest, dass ihre eigene staatliche medizinische Versorgung, wenn die Ebola an ihre Grenzen stieße, genauso hilflos wäre wie in den eben genannten Ländern, und das lähmt natürlich die Staatengemeinschaft gemeinsam.
    Meurer: Reden wir, Herr Eisele, über die anderen Krisen. In der Ukraine operiert die OSZE, in Syrien jetzt gibt es eine Koalition der Willigen, USA, Frankreich, vielleicht auch Türkei, Großbritannien, fünf arabische Staaten. Spielt die UNO bei der Lösung internationaler Konflikte doch eine immer kleinere Rolle?
    "Russland blockiert jegliches Handeln"
    Eisele: Das glaube ich nicht, denn es bleibt die Tatsache, dass die Vereinten Nationen und ihr Sicherheitsrat das Autorisierungsmonopol für jegliche Art von Interventionen haben. Im Falle der Ukraine wird deutlich, dass der Sicherheitsrat immer dann blockiert ist, wenn eines der ständigen fünf Mitglieder sein Vetorecht entweder wahrnimmt oder androht, in diesem Falle also die Russische Föderation, und dann ist das Ausweichen nach Kapitel acht auf eine Regionalorganisation wie die OSZE der einzige Ausweg, der dieser Weltorganisation bleibt. Und das Vergleichbare ist natürlich auch im Falle Syriens oder des Irak gegeben, wo nur eine Koalition der Willigen an die Stelle der eigentlich zum Handeln aufgerufenen Vereinten Nationen treten kann.
    Meurer: Werfen Sie das Barack Obama vor, dass er jetzt für Syrien kein Mandat des UNO-Sicherheitsrats hat
    Eisele: Nein. Das ist ja nicht vorwerfbar, weil hier Ursache und Wirkung eindeutig identifizierbar sind. Es ist die Russische Föderation, die viermal nacheinander ein Veto eingelegt hat, als es um die mögliche Intervention auf syrischem Gebiet gegangen ist, und hinsichtlich der Lage in der Ukraine ist sie ja nun unmittelbar als Täter identifiziert und blockiert sicher mit dem Vetorecht ausgestattet, mit diesem überholten Privileg aus der Gründungszeit der Vereinten Nationen, jegliches Handeln. Also Obama kann nur versuchen, quasi eine Umleitung, einen Umweg zu gehen, und da ist das, was er gemacht hat, das einzige, was ihm eigentlich zu Gebote steht: eine Koalition der Willigen.
    Meurer: Deutschland bleibt dabei und versucht, ständiges Mitglied im Sicherheitsrat zu werden, also die Zusammensetzung des Sicherheitsrates soll reformiert werden. Herr Eisele, Thema seit 20 Jahren: Können wir das vergessen, solange fünf ein Veto haben und alles blockieren?
    Eisele: Vergessen sicher nicht, denn die Reform des Sicherheitsrates ist seit Jahrzehnten ein Gebot. Der Sicherheitsrat ist geschaffen worden, als es 51 UN-Mitglieder gab. Heute mit fast viermal so vielen wäre es dringend notwendig, dass die Repräsentativität des Sicherheitsrates durch eine Vergrößerung der Zahl seiner zunächst nicht ständigen Mitglieder auf die Tagesordnung gesetzt wird.
    Meurer: Also sollte die Bundesregierung darauf verzichten, nach einem ständigen Sitz zu rufen, sondern lieber dafür sorgen, mehr nicht ständige Sitze zu schaffen?
    Eisele: Das eine schließt das andere nicht aus. Die Reform des Sicherheitsrates kann man sozusagen mit bescheidenen Zielsetzungen - das wäre lediglich eine Erhöhung der Zahl der nicht ständigen Mitglieder -, aber auch etwas ehrgeiziger mit einer Zahl der ständigen Mitglieder, die um einige erhöht werden könnte, sodass es eine ständige Repräsentanz etwa Lateinamerikas, Afrikas auch unter den nicht ständigen Mitgliedern geben könnte, und in dem Zusammenhang wäre Deutschland auch ein Kandidat.
    Meurer: Ganz knapp: Wie stehen die Chancen dafür?
    Eisele: Na ja, fragen Sie mich was Leichteres, Herr Meurer.
    Meurer: Auch eine Antwort von Manfred Eisele. Seit 20 Jahren versucht Deutschland, ständiges Mitglied zu werden. Bisher ist nichts daraus geworden. Jetzt wieder Thema auch am Rand der UNO-Vollversammlung. - Manfred Eisele war beigeordneter Generalsekretär der Vereinten Nationen in den 90er-Jahren. Danke, Herr Eisele, für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Eisele: Gerne, Herr Meurer.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.