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UNO-Nachhaltigkeitsziele
"Deutschland wirtschaftet nicht nachhaltig"

Die von der UNO-Vollversammlung beschlossenen Nachhaltigkeitsziele müssten von allen Staaten der Welt umgesetzt werden, sagte die Vorsitzende des Umweltausschusses im Bundestag, Bärbel Höhn, im DLF. Vor allem die Industrienationen wie Deutschland seien nun gefragt. Denn hierzulande gibt es in Sachen nachhaltiges Wirtschaften erheblichen Nachholbedarf.

Bärbel Höhn im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Bärbel Höhn auf dem Bundesparteitag der Grünen 2014
    Die Grünen-Politikerin Bärbel Höhn (Imago / Rainer Weisflog)
    Der Beschluss der UNO-Vollversammlung zur nachhaltigen Entwicklung wird nach Ansicht der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden von Bündnis90/Die Grünen, Bärbel Höhn, auch für die Bundesrepublik Folgen haben. Nicht nur die Entwicklungs- und Schwellenländer seien nun gefragt, sondern auch die Industriestaaten. Deutschland wirtschafte keineswegs nachhaltig, sagte Höhn im Deutschlandfunk. Vor allem beim Schutz der Umwelt gebe es erheblichen Nachholbedarf. Wasserverschmutzung, Feinstaubbelastung und Müllaufkommen seien in Deutschland hoch.
    Vertreter aller 193 UNO-Staaten hatten gestern abend in New York eine globale Agenda für nachhaltige Entwicklung beschlossen. Schweden kündigte an, dass eine Gruppe aus neun Regierungschefs auf die Umsetzung dieser Ziele hinarbeiten werde.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Wie können wir so mit unserem Planeten umgehen, dass auch künftige Generationen etwas davon haben? Es geht um nachhaltige Politik, und die Vereinten Nationen haben dazu gestern Abend einen Katalog mit umfangreichen Zielen verabschiedet, unter anderem in den Bereich Umweltschutz und Entwicklungshilfe. Diese Ziele sollen weltweit gelten und deshalb sind knapp 200 Regierungschefs zurzeit in New York, auch Angela Merkel hatte dort gestern Abend ihren Auftritt. Mit dabei in New York ist auch die Grüne-Bundestagsabgeordnete Bärbel Höhn, die Vorsitzende im Umweltausschuss des Deutschen Bundestags, und ich habe vor einer Stunde mit ihr gesprochen. Schönen guten Morgen, Frau Höhn!
    Bärbel Höhn: Guten Morgen, Herr Armbrüster!
    Armbrüster: Frau Höhn, die Mitglieder der Vereinten Nationen wollen also nachhaltiger werden, das haben sie jetzt in New York mit diesen Zielen beschlossen. Sind Sie damit zufrieden?
    Höhn: Ich glaube, es ist schon ein wichtiger Schritt, der da jetzt geleistet worden ist, aber der entscheidende Punkt ist, dass diese Ziele jetzt auch in allen Ländern umgesetzt werden, das ist ja das Neue – früher bezogen mit diesen Millennium-Zielen auf die armen Länder, die Entwicklungsländer und die Schwellenländer, jetzt sind aber auch die Industrieländer gefragt und auch sie müssen klären: Wirtschaften sie wirklich nachhaltig? Also auch Deutschland muss das umsetzen, und da ist, glaube ich, ein neuer Schritt zu tun, denn wir stellen fest, dass wir an vielen Punkten eben keineswegs nachhaltig sind und diesen Zielen entsprechen.
    Armbrüster: Wo hinkt denn Deutschland besonders hinterher?
    Höhn: Interessanterweise hinkt Deutschland besonders im Umweltbereich hinterher – die Bertelsmann-Stiftung hat die OECD-Länder untersucht, und da ist Deutschland bei der Wasserverschmutzung mit Nitrat, bei der Artenvielfalt, die eben viel zu sehr in Gefahr ist, beim Feinstaub, bei der Müllvermeidung, also bei Punkten, die die Landwirtschaft, aber auch den Autoverkehr betrifft, da steht Deutschland keineswegs gut da.
    Festlegung der 17 Ziele - "ein Schritt, den wir jetzt einfach nutzen müssen"
    Armbrüster: Und jetzt können wir ja jetzt schon voraussehen, dass das wahrscheinlich sehr schwierig wird, da neue Ziele umzusetzen, weil die Vereinten Nationen überhaupt keine Möglichkeit haben, irgendwelche Sanktionen zu verhängen gegen Mitgliedsländer, die das eben nicht tun, die sich nicht dran halten.
    Höhn: Das ist in der Tat so, diese 17 Ziele sind sozusagen Softziele, aber wir sehen natürlich bei den Klimakonferenzen, dass wir auch mit einem Vertrag wie Kyoto die Länder haben auch nicht zwingen können, ihre CO2-Reduktion durchzusetzen, weil wir letzten Endes auch keine Sanktionen hatten. Insofern ist immer die Frage, wie geht man in diesen großen, internationalen Vertragstexten, wie geht man da miteinander um, aber dass überhaupt diese 17 Ziele festgelegt worden sind mit 169 Unterzielen, ist vielleicht schon ein Schritt, den wir jetzt einfach nutzen müssen.
    Armbrüster: Aber ist es nicht ein bisschen blauäugig, sich da einfach auf den guten Willen zu verlassen?
    Höhn: Ja, natürlich ist es blauäugig, und ich glaube, viele hätten da auch gerne etwas Verbindlicheres gehabt, aber es soll ja auch überprüft werden, es gibt einen gewissen Druck, auch durch die Öffentlichkeit, und wir werden natürlich in den Ausschüssen, auch im Umweltausschuss oder dem parlamentarischen Beirat die Nachhaltigkeit gucken, dass diese Ziele in Einzelländern auch umgesetzt werden. Bei uns wäre dann die Aufgabe, das in Deutschland umzusetzen. Also insofern wird schon auch Druck entstehen, aber mehr kann man wahrscheinlich auf internationaler Ebene auch nicht erreichen.
    Armbrüster: Frau Höhn, zentrales Element in vielen dieser Ziele ist, dass das Wirtschaftswachstum weltweit gestärkt werden soll. Dazu gibt es auch einen ganz eigens formuliertes Ziel zum Wirtschaftswachstum, da fragen sich jetzt bestimmt auch viele in Ihrer Partei, bei den Grünen, ob es nicht nachhaltiger wäre, wenn wir zur Abwechslung mal weniger wachsen, sondern eher mal verzichten würden.
    Höhn: Ja, Sie meinen das Ziel 8, das ist das vom Wirtschaftswachstum, hier wird gesagt, die ärmsten Länder der Welt sollten einen Wirtschaftswachstum von jährlich sieben Prozent erreichen. Da muss man natürlich sehen, dass in unseren Industrieländern da leicht Reden ist, auch mit einem sehr geringen Wirtschaftswachstum, was natürlich auch weit unter den sieben Prozent liegt, aber die Länder, wo wirklich die Leute nicht mehr als einen Dollar pro Tag haben, die werden schon auch noch ein bisschen wachsen müssen. Insofern haben Sie Recht – weltweit ist immer die Frage: Wie können wir einer begrenzten Erde ein immer stärkeres Wirtschaftswachstum zumuten? Aber es geht eben darum, dieses Wirtschaftswachstum dann nachhaltig zu machen, also nicht zulasten der Umwelt, zum Beispiel.
    Armbrüster: Und sind wir da nicht beim eigentlichen Problem – wir versuchen mit diesen Zielen sozusagen etwas festzulegen, was für die ganze Welt gelten soll, aber eigentlich müssten wir es doch viel differenzierter sehen, dass bestimmte Ziele für bestimmte Länder oder Regionen sinnvoll sind, aber für andere nicht.
    Höhn: Ja, aber ein Stück wird das ja auch gemacht. Ich sage ja noch mal, dass wirklich die einzelnen Länder jetzt unter die Lupe genommen werden und wir feststellen, dass auch Industrieländer, wie zum Beispiel Deutschland, in einigen Fragen eben auch Entwicklungsländer sind, wir sind keineswegs da, wo diese Ziele uns sehen, und wir müssen gerade an diesen Umweltbereich – ich war wirklich erstaunt, weil Deutschland galt ja immer als so ein Umweltmeister –, aber wir müssen daran arbeiten. Umgesetzt auf Deutschland heißt das, unsere Landwirtschaftspolitik, die damit existiert, dass wir Soja importieren aus anderen Ländern, dass wir Fleisch exportieren in andere Länder und dass wir unser eigenes Wasser damit verschmutzen und die Artenvielfalt immer mehr zurückgeht, das ist keineswegs nachhaltig, und das müssen wir ändern.
    "Immerhin sind hier fast 200 Staaten beieinander"
    Armbrüster: Und wenn daran jetzt etwas grundlegend geändert werden soll, meinen Sie, die deutsche Landwirtschaft macht dabei mit?
    Höhn: Auf jeden Fall werden wir das Ziel stärker diskutieren müssen mit der Verabschiedung dieser Ziele, die Deutschland ja auch mit verabschiedet hat, denn man sieht einfach, dass in diesem Bereich sehr große Defizite sind, die man angehen muss.
    Armbrüster: Frau Höhn, sind solche Gipfel wie der jetzt in New York nicht eigentlich ein Widerspruch in sich – da wird über Umweltschutz, Klimaschutz und über sinnvollen Umgang mit Ressourcen gesprochen und gleichzeitig werden Hunderte von Delegationen aus der ganzen Welt eingeflogen, da werden wahnsinnig viele Flugzeugmeilen verbraucht, nur um dann Vereinbarungen zu verabschieden, die sowieso schon längst von den Diplomaten ausgehandelt worden sind.
    Höhn: Ja, das habe ich mich auch schon oft gefragt, ob das wirklich sich lohnt, aber ich glaube schon, denn die Öffentlichkeit, die damit hergestellt worden ist, die Diskussion, die damit beginnt und das Nachdenken auch in den eigenen Ländern – Was heißt das eigentlich für uns? Was machen wir da falsch? –, das hat schon eine Wirkung, und diese Wirkung, glaube ich, erzielt man nur, wenn man auch eine sehr große internationale Konferenz macht und alle darauf einschwört. Immerhin sind hier fast 200 Staaten beieinander und es sind über 150 Staatschefs selber gekommen, die verpflichten sich damit ja auch, diese Ziele einzuhalten.
    Armbrüster: Wir sollten zum Schluss noch über ein Thema reden : Ich weiß, Sie sind in New York, aber noch ein Thema, was natürlich uns hier in Deutschland an diesem Wochenende beschäftigt – VW, Volkswagen. Knapp drei Millionen Dieselfahrzeuge, haben wir gestern gehört, sind auch in Deutschland betroffen von diesen manipulierten Abgaswerten. Was erwarten Sie in dieser Angelegenheit jetzt vom neuen VW-Chef Matthias Müller?
    Höhn: Der muss viele Sachen machen – erst mal muss er den Konzern wieder auf neue Füße stellen und wirklich diskutieren innerhalb seines Ladens, wie konnte das passieren, und das abstellen. Auf der anderen Seite, glaube ich, müssen wir aber auch in Deutschland diskutieren: Was ist mit den Schadstoffen, die von diesen Autos weiter rausgepustet werden? Denn es darf nicht dabei bleiben, dass wir einfach nur unter labortechnischen Bedingungen testen, was dann absolut unrealistische Voraussetzungen bedeutet: Da werden extra Reifen aufgezogen, da werden die Kühler abgeklebt, da werden die Spiegel abmontiert, da wird extra Öl in den Motor genommen, der Wagen darf nur ganz langsam beschleunigt werden, der darf nicht über 120 fahren – das sind absolut unrealistische Bedingungen in so einem Prüflabor, und deshalb ist es ganz wichtig, dass wir wirklich praktisch auf der Straße, im Straßenverkehr prüfen, denn die Menschen, die an diesen viel befahrenen Straßen wohnen, die haben die Emissionen eines Autos im Straßenverkehr und nicht eines Autos im Labor.
    Armbrüster: Hat sich die Politik damit schuldig gemacht, mit solchen schludrigen Tests?
    Höhn: Ich finde schon, dass wir den Einfluss der Automobillobby – auch auf diese Tests, die mit der Realität nichts zu tun haben, das hat die Politik ja umgesetzt, weil sie auch gedrückt worden ist von der Automobillobby, speziell auch von Deutschland, da hat ja die Automobillobby eine sehr große politische Kraft –, dass wir das in dieser Form nicht mehr hinnehmen können, denn letzten Endes geht es zulasten der Gesundheit unserer Menschen.
    Armbrüster: Hier bei uns im Deutschlandfunk war das Bärbel Höhn, die Vorsitzende des Umweltausschusses im Deutschen Bundestag, und wir haben sie in New York erreicht. Vielen Dank, Frau Höhn, für Ihre Zeit heute Morgen!
    Höhn: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.