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"UNO-Sanktionen kommen zu spät"

Engels: Kurz vor der Sendung haben wir mit dem früheren Innenminister und ehemaligen UNO-Sonderbeauftragten für den Sudan, Gerhard-Rudolf Baum, gesprochen. Die Frage an ihn: Sind die angedrohten UNO-Sanktionen gegen die Regierung des Sudan der richtige Schritt?

Moderation: Silvia Engels |
    Baum: Im Prinzip ja. Sie kommen nur viel zu spät. Die Katastrophe ist schon vorhergesehen worden vor einem Jahr. Sie ist eingetreten im Januar, und sie wäre vermeidbar gewesen, hätte man rechtzeitig Druck auf die Regierung gemacht. Die Regierung ist mit Schuld. Sie ist mit verantwortlich. Sie verfolgt eine Politik der ethnischen Säuberungen aus politischen Gründen, und sie versteht nur die Sprache der Sanktionen. Ich verstehe nicht, dass noch ein Aufschub gegeben wird. Der Waffenstillstand besteht seit dem 8. April, und die Regierung hatte Zeit und auch die Verpflichtung, den Waffenstillstand umzusetzen, also das zu tun, wozu sie heute aufgefordert wird. Sie hat es nicht getan. Ich würde ihr keine Frist mehr geben, sondern würde die Sanktionen aussprechen.

    Engels: Sie sagen, Sanktionen ist das einzige, was die Regierung in Khartum versteht. Andrerseits ist ja der Staat Isolierung gewohnt. Kann man überhaupt etwas tun?

    Baum: Der Staat ist keine Isolierung mehr gewohnt. Er hat sich in den letzten Jahren bemüht, wieder Anschluss zu bekommen, Kontakt zu bekommen und Ansehen zu gewinnen in der Völkergemeinschaft. Wenn man zum Beispiel ein Öl- oder Waffenembargo, wenn man seine Finanzbeziehungen mit Sanktionen belegt und vor allen Dingen wenn man jetzt eine Untersuchungskommission arbeiten lässt, die die Europäische Union gefordert hat, um die Täter zur Verantwortung zu ziehen, so ist das durchaus ein Druckmittel, und es ist nicht das einzige. Ich bin der Meinung, es müssen die Menschen jetzt wirklich geschützt werden. Sie sind noch nicht geschützt. Die humanitäre Hilfe ist noch nicht ausreichend möglich, und deshalb habe ich in dieser Situation, wo der amerikanische Kongress und ich auch von Völkermord reden, eine internationale Schutztruppe für nötig gehalten. Die Afrikaner übernehmen diese Aufgabe, aber sie übernehmen sie nicht zufriedenstellend genug. Sie sind überfordert. Wir müssen ihnen helfen. Wir müssen jetzt die Menschen schützen, und wir müssen dann anschließend auch helfen, eine politische Lösung für diesen Konflikt zu finden.

    Engels: Sie haben eine Friedenstruppe gefordert. Washington hat dagegen bereits deutlich gemacht, dass die Vereinigten Staaten zu diesem Zeitpunkt genau das nicht entsenden wollen. Also ein weiteres Versagen der Völkergemeinschaft aus Ihrer Perspektive?

    Baum: Ja. Ich sage das so hart. Eine Friedenstruppe gibt es bereits. Sie ist im Waffenstillstandsabkommen eingesetzt worden. Darfur ist riesengroß - größer als Frankreich -, und die Afrikanische Union, der man diese Aufgabe übertragen hat, ist überfordert. Es gibt zwar auch westliche Beobachter, aber alles dauert viel zu lange. Man gibt sich mit einer Serie von Versprechungen der sudanesischen Regierung zufrieden, anstatt den Menschen zu helfen. Also jetzt muss sich wirklich die Situation für die Menschen verändern. Resolutionen, Zusicherungen, Vereinbarungen haben wir genug gesehen. Es müssen jetzt Taten folgen.

    Engels: Wie sollen diese Taten Ihrer Ansicht nach aussehen?

    Baum: Also die Taten bestehen darin, dass die Regierungen sie durchsetzen. Auch die deutsche Regierung bemüht sich ja seit Monaten um Sanktionen und Druck. Sanktionen müssen durch die UN ausgesprochen werden. Es muss eine Untersuchungskommission durch die UN eingesetzt werden. Es müssen die Leute durch eine humanitäre Einsatztruppe wirksamer geschützt werden, und es muss wirklich der sudanesischen Regierung vor Augen geführt werden, dass sie nicht davonkommt. Wir dürfen nicht noch einmal versagen wie schon so oft in den letzten Jahrzehnten. Wir haben es gewusst. Wir haben weggesehen, und wir müssen jetzt wirklich handeln.

    Engels: Sollte die internationale Gemeinschaft auch über eine Militärintervention im Sudan nachdenken?

    Baum: Die gibt es ja schon durch die Afrikanische Union. Sie muss nur verstärkt werden. Kofi Annan hat schon vor Monaten ins Gespräch gebracht, dass Blauhelme hier wichtig sind, nicht um einen Konflikt zu entscheiden - das muss auf politischer Basis geschehen -, sondern um die Flüchtlinge zu schützen, die nach wie vor bedroht sind, und um auch die Hilfslieferungen sicher an die Menschen heranzubringen. Die Menschen sind nicht in der Lage gewesen, ihre Saat auszubringen. Es ist also ein Hilfsprogramm notwendig, auch über die nächste Erntezeit hinweg. Die Menschen leben in Angst und Schrecken, und die Epidemien breiten sich aus. Es ist schrecklich.

    Engels: Wie erklären Sie sich, dass die internationale Gemeinschaft bislang so zurückhaltend war? Möglicherweise auch, weil es im ölreichen Sudan viel Geld zu verdienen gibt?

    Baum: Ja, das ist auch ein Grund. Es gibt ja im Sicherheitsrat Staaten, die sich mitschuldig machen an der Verzögerung und auch an dem Leiden der Menschen. Das ist beispielsweise China, das Ölinteressen hat. Es gibt Staaten, die kein Interesse haben, eine Menschenrechtsaktion in der UNO zu stützen, weil sie Angst haben, selber Ziel von Kritik zu werden. Das sind die Widerstände, mit denen sich die Europäer und auch die Deutschen in New York auseinandersetzen müssen. Ich finde, wenn es schon nicht gelingt, dann sollte man eine ganz klare Sprache sprechen und diese zögernden Staaten, die den Sudan schonen wollen, jetzt wirklich öffentlich an den Pranger stellen, wenn sie nicht bereit sind, diesen Weg mitzugehen.

    Engels: Sie sprechen von Völkermord in der Region. Wie viel Zeit bleibt noch, um das jetzt zu stoppen, oder ist die Katastrophe sowieso schon nicht mehr zu verhindern?

    Baum: Es bleibt eigentlich keine Zeit. Wir sind abgelenkt gewesen. Vor Monaten hat die Katastrophe begonnen. Wir haben unser Augenmerk auf den Irak beispielsweise gerichtet, auf andere Brennpunkte in der Welt. Es ist nicht rechtzeitig gehandelt worden. Das können wir nur gutmachen dadurch, dass wir jetzt wirklich tätig werden. Die Europäische Union hat diese Woche eine sehr starke Sprache gewählt, und das wäre eine wirklich gute Grundlage jetzt auch zum Handeln. Die Europäische Union hat ja auch zum Handeln aufgerufen.

    Engels: Das war Gerhard-Rudolf Baum, ehemaliger UNO-Sonderbeauftragter für den Sudan. Wir haben das Gespräch kurz vor der Sendung aufgezeichnet.