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Unruhe an Finanzmärkten
"Eine Summe von vielen chronischen Krankheiten"

Nach der Finanzkrise 2008 sollte alles besser werden. Jetzt schwächeln die Börsen wieder und das liegt aus Sicht des Finanzexperten Max Otte daran, dass die Ursachen der Krise 2008 nicht behoben wurden. Deswegen sei die Lage jetzt viel gefährlicher, sagte er im DLF. Die Mittelschicht in Deutschland werde langsam enteignet.

Max Otte im Gespräch mit Dirk Müller | 12.02.2016
    Der Ökonom Max Otte
    Viele Ursachen für die Finanzkrise 2008 seien nicht behoben worden, sagte der Finanzexperte Max Otte im DLF. (dpa / picture-alliance / Erwin Elsner)
    Derzeit sieht man an den Börsen vor allem eines: fallende Kurse. Eine Folge versäumter Reformen nach der Finanzkrise, meint der Finanzexperte Max Otte, der 2006 in seinem Buch "Der Crash kommt" vor dem Finanzkollaps zwei Jahre später gewarnt hatte. Man habe die Probleme nur symptomatisch behandelt mit einer Niedrigzinspolitik. Das habe die Ursachen aber nicht behoben.
    Jetzt kämen weitere Probleme hinzu, was zu einer "schwierigen Gemengelange" führe: In China verlangsame sich die Wirtschaft, in den USA, Europa und wirtschaftlich aufstrebenden Ländern wie Brasilien gebe es Probleme genauso wie durch den niedrigen Ölpreis. "Deswegen ist das, was wir jetzt haben eigentlich viel gefährlicher", so Otte mit Blick auf die Krise 2008.
    Konsequenzen habe die aktuelle Situation vor allem für die Mittelschicht. Durch die Niedrigzinspolitik müsse sie mit ihren schmelzenden Sparguthaben die Krise ausbaden. Aus Ottes Sicht wird die Mittelschicht langsam enteignet: "Dass es Deutschland gut geht, möchte ich nicht sagen."

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Die Eilmeldungen kamen gestern Schlag auf Schlag so um die Mittagszeit. Die Börse in Athen rauscht ungebremst in den Keller. Ein dickes Minus auch in Paris, in Rom, auch in London und auch wieder in Frankfurt. Die Bankenwerte rutschen weiter ab, ebenso zahlreiche Finanzwerte. Hinzu kommt die Wirtschaftsentwicklung. Die Konjunktur kommt weltweit ins Rutschen, in China sowieso, aber auch in den Vereinigten Staaten und vielleicht von Europa ganz zu schweigen. Es gibt sie also wieder, die Sorgen und die Ängste vor der nächsten Finanzkrise, knapp acht Jahre nach dem letzten Zusammenbruch. Der Kölner Finanz- und Wirtschaftswissenschaftler Professor Max Otte, der weit vor der letzten Krise in seinem Buch "Der Crash kommt" eindringlich vor dieser Krise gewarnt hat - wir reden von der Krise 2008, also vor gut acht Jahren. Guten Morgen, Herr Otte!
    Max Otte: Guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Schreiben Sie gerade an der Fortsetzung?
    Otte: Nein. Ich bin genug beschäftigt mit meinen Wirtschaftsaktivitäten. Da bleibt im Moment nicht viel Zeit. Außerdem ist in dem Buch "Der Crash kommt" eigentlich alles gesagt. Wir haben eine Fortsetzung jetzt, eine Episode 2.0, aber da schreibe ich kein zweites Buch zu.
    Müller: Und warum kommt das jetzt wieder?
    Otte: Ja! Das was wir damals hatten, war eine drohende Finanzpanik, beziehungsweise kurzzeitig war es eine Finanzpanik, also ein vielleicht Nervenzusammenbruch oder Herzinfarkt des Finanzsystems aufgrund von Finanzblasen. Das haben wir mit sehr, sehr viel billigem Geld bekämpft und haben da auch eine Weile das System ruhig stellen können. Aber wir haben die Ursachen nicht behoben und jetzt kommen viele, viele Einzelfaktoren aufeinander zu und bescheren uns diese unschöne Gemengelage.
    Müller: Jetzt ist das eine Summe von vielen, vielen Krankheiten?
    Otte: Ja genau. Jetzt ist es eine Summe von vielen, vielen chronischen Krankheiten, die wir eigentlich immer nur palliativ, also symptomlindernd bekämpft haben, nie an die Ursachen gegangen sind. Deswegen ist das, was wir jetzt haben, wenn es auch keine Panik im engeren Sinne ist, eigentlich viel gefährlicher, denn es ist all das, was wir 2008 nicht gelöst haben und in die Zukunft verschoben haben.
    "Frankfurt ist als Finanzplatz weit nach hinten abgeschoben"
    Müller: Dann müssen wir wie zwei Ärzte jetzt versuchen, die Diagnose zu klarifizieren. Welches Krankheitsbild ist denn besonders problematisch?
    Otte: Sie haben ja schon in Ihrer Anmoderation einiges genannt. In China verlangsamt sich die Wirtschaft. Das ist ganz normal, wenn eine aufstrebende Wirtschaft von einem starken Wachstumspfad langsam auf Normalität umschaltet. Aber das ist mit einem Börsencrash oder zumindest einer starken Korrektur gekoppelt und auch einer Rezession. Das ist alles nicht so schön. In den USA brechen auch einige Unternehmen weg. Der Energiesektor schwächelt, weil die Energiepreise eben so unten sind, die ersten Insolvenzen. Südeuropa ist nicht gelöst, die Sanktionen gegen Russland. Europa hat da natürlich noch einen Problemherd. Dann sind die BRICS insgesamt nicht so gut dran, auch Brasilien und anderen aufstrebenden Staaten geht es nicht gut. Der Bankensektor ist zwar sicherer als 2007/2008, aber ganz sicher ist das auch nicht.
    Müller: Und die Banken in Europa sollen wenig Geld verdienen oder kaum Möglichkeiten haben, Geld zu verdienen. Woran liegt das?
    Otte: Wir haben - und das ist eines der Probleme - in den letzten acht Jahren immer mehr eine Monostruktur, eine zentralistische Struktur im Finanzsystem gefördert, im Gegensatz zu einer dezentralen Struktur, die auch stabiler wäre, und die großen Deals laufen oftmals in Amerika, sie laufen vielleicht noch in London. Frankfurt ist als Finanzplatz weit nach hinten abgeschoben. Die Mittelstandsförderung, die Mittelstandskredite durch Volks- und Raiffeisenbanken, durch Sparkassen werden systematisch durch die Finanzmarktordnung behindert, während die Spekulationsgeschäfte weiterlaufen. Da ist vieles schief gelaufen.
    Müller: Ist das auch das Problem der Deutschen Bank?
    Otte: Die Deutsche Bank, da kommt vieles zusammen. Die haben Fehler gemacht. Sie haben sicherlich hier und da auch Gesetze gebrochen. Aber wir haben doch ein leicht unfaires oder asymmetrisches Spielfeld. Wenn die Deutsche Bank in den USA zigfach verklagt wird, dann geht es auch einem solch großen Institut irgendwann an den Kragen. Diese Bank ist ein Schatten ihrer selbst. Die Aktie ist jetzt bei 13, vor wenigen Jahren stand sie noch bei 50, kurz vor der Finanzkrise bei 100. Wir sind auf einem Niveau von 1992 angelangt. Die Deutsche Bank stand für das deutsche Wirtschaftssystem, für die Stärke des deutschen Wirtschaftssystems, und Deutschland darf anscheinend keine starken, großen Unternehmen mehr haben. Dann wird die ausländische Konkurrenz neidisch.
    "Die Deutsche Bank ist ein Schatten ihrer selbst"
    Müller: Ich muss noch mal mit einem Attribut von damals operieren, was wir viele Jahre benutzt haben. Ist das relevant, ist das systemrelevant, wenn die Deutsche Bank abschmiert?
    Otte: Das wäre sicherlich systemrelevant, genauso wie wenn einige andere großen Banken ausfallen. Ich kann mir das nicht vorstellen. Zur Not würde sie gerettet. Das Problem ist, dass sie quasi systematisch durch Druck zusammengeschrumpft wird. Sie ist schon jetzt kein wirklicher Global Player mehr bei den top ten. Sie ist irgendwo, glaube ich, bei Rang 40, sie ist ein Schatten ihrer selbst. Es ist einfach eine Schwächung der deutschen Wirtschaft insgesamt. Das Hausbankensystem, wo die großen drei, vier internationalen deutschen Banken die Konzerne begleitet haben international, ist ja quasi abgeschafft, und jetzt haben diese Banken ihre Rolle etwas zu suchen, weil sie die alte Rolle nicht mehr ausfüllen können.
    Müller: Jetzt werden das viele in Deutschland ja nicht ganz nachvollziehen können, Herr Otte, wenn wir darüber reden und klagen, über Wirtschaftsentwicklung, in China, wo alles eingebremst wird, wo Sie ja auch sagen, es ist normalerweise nicht ganz so schlimm, aber immerhin das hat auch Auswirkungen. Aus den Vereinigten Staaten kommen auch erste Signale, dass die Konjunktur schwächelt. Sie haben Indien genannt, Sie haben Brasilien genannt, eine ganze Reihe. In Europa sieht es auch nicht so gut aus mit Ausnahme Deutschlands. Jetzt haben wir, wenn ich das richtig notiert habe, einen Exportrekord feiern können in dieser Woche. Das heißt, der deutschen Wirtschaft, gerade auch der Außenwirtschaft geht es richtig gut. Ist das so ein bisschen ein Pyrrhuserfolg?
    Otte: Pyrrhus könnte man schon fast sagen. Man muss sich das auch strukturell anschauen. Unser Mittelstand funktioniert. Die Zulieferer funktionieren. Deutschland wird ein bisschen auch zur Werkbank des Westens. Aber unsere Großunternehmen werden systematisch auf Normalmaß oder auf Zwergenmaß reduziert. Wo sind denn die stolzen deutschen Großunternehmen, die global mitgespielt haben, Thyssen-Krupp, die Deutsche Bank, Siemens? Da hört man nicht ganz so viel. Das ist zweischichtig. Ja, die Wirtschaft läuft, ja, es wird produziert, aber was machen wir mit den Überschüssen. Wir verschenken sie wieder im Rahmen der EU. Die Mittelschicht verarmt auch beziehungsweise wird stark eingeschränkt in ihren Sparmöglichkeiten. Die schleichende Enteignung greift um sich. Das ist sehr, sehr vielschichtig. Dass es Deutschland gut geht in dem Sinne, möchte ich nicht sagen. Ja, wir haben relativ wenig Arbeitslose, aber um welchen Preis haben wir das erkauft.
    "Die deutsche Mittelschicht wird langsam enteignet"
    Müller: Schleichende Enteignung, Niedrigzinspolitik deshalb, oder warum sagen Sie das?
    Otte: Ja, die Niedrigzinspolitik. Wenn Sie Zinsen haben, die unter der tatsächlichen Inflation liegen, dann sind die Sparguthaben natürlich gefährdet. Sie schmelzen langsam oder auch schneller ab. Die Deutschen sind nach wie vor große Sparer. Fünf Billionen Euro lagern auf Festgeldkonten oder Sparkonten. Das ist mehr als das Bruttoinlandsprodukt. Das schmilzt ab und so wird tatsächlich die deutsche Mittelschicht langsam enteignet, denn die Reichen besitzen nicht so viel Sparvermögen. Die haben Aktien, die haben Immobilien, die haben Private Equity, die haben alles Mögliche. Aber die Besitzer von Sparvermögen werden weltweit herangezogen zur Finanzierung der Krise, und da spielt auch diese Diskussion über die Abschaffung des Bargeldes oder eine Obergrenze für Bargeldtransfers eine Rolle.
    Müller: Vielleicht noch ein Satz zum Schluss zu dieser Frage. Export, Exportweltmeister, neue Rekordzahlen - ist das eine Kunst, wenn der Euro nichts kostet, zu exportieren?
    Otte: Ich würde sagen, es ist keine Kunst. Wir haben das auch geschafft in der alten Bundesrepublik, als es noch die D-Mark gab und die D-Mark regelmäßig aufwertete. Das war eine Kunst und ich glaube, das System insgesamt war besser für Europa. Aber jetzt haben wir den Euro, jetzt müssen wir zumindest in irgendeiner Form damit leben.
    Müller: Bei uns heute Morgen live im Deutschlandfunk der Kölner Finanz- und Wirtschaftswissenschaftler Professor Max Otte. Danke für das Gespräch, Ihnen noch einen schönen Tag.
    Otte: Guten Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.