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"Unsere Form der Familie wird ausgeschlossen"

Karriere und Familie ohne Partner - für viele Deutsche immer noch ein Problem. Vorteile, etwa durch das Ehegattensplitting, fallen weg. Dabei ist mittlerweile jede fünfte deutsche Familie eine Einelternfamilie.

Von Susanne Arlt |
    Dagmar Schwarz schaut hoch zu ihrer Tochter. Gerne würde Lilli noch ein bisschen mit ihrer besten Freundin weiterspielen. Ihre Mutter schüttelt den Kopf, der Grundschulhort schließt pünktlich um 16 Uhr. Die Neunjährige hangelt sich vom Klettergerüst, lässt sich auf den Sandboden plumpsen, gibt der Mutter einen zärtlichen Kuss. Jeden Nachmittag holt die 42-Jährige ihr Kind von der Schule ab. Ihre Aufgaben als Projektleiterin bei einer Berliner NGO müssen dann längst erledigt sein.

    "Die schwarzen Schlappen hast du in der Schule. Geht das als Hausschlappen? ... Ja … Die anderen sind ja bei Papa."

    Seit acht Jahren erzieht sie ihre Tochter allein. Nach Lillis Geburt hat sich viel im Leben von Dagmar Schwarz geändert. Zuerst die Trennung von Lillis Vater, dann die Trennung von ihrem Traumjob.

    "Management und Führungsjob und Kind alleine, das ließ sich nicht kombinieren."

    Ihre Mutterpflichten und die Präsenspflichten einer Managerin bei einem großen deutschen Konzern ließen sich nicht vereinbaren. Nach ein paar Monaten hängte sie ihren Job schweren Herzens an den Nagel.

    "Heute gibt es die Diskussion da drüber. Und ich habe mich erst gefragt, was machst du denn verkehrt? Aber ich habe gar nichts verkehrt gemacht. Ich stand da komplett alleine mit einer Struktur, die das nicht abgebildet hat."
    Zumindest nicht in Deutschland. Teilzeitmodelle sollten von der Politik viel stärker gefördert werden, findet Dagmar Schwarz und hievt mit einem Ruck den Rucksack ihrer Tochter auf den Fahrrad-Gepäckträger. Flexible Arbeitszeitmodelle wie in Skandinavien wären doch ein Traum. Von der schwarz-gelben Regierung fühlt sich die 42-jährige Mutter im Stich gelassen. Für ihr Familienmodell haben es keine Wahlgeschenke gegeben. In den vergangenen vier Jahren sei sie weder finanziell noch berufliche entlastet worden, sagt sie.

    "Also, ich muss sagen, da haben wir selber für gesorgt! Auch mein Kind muss ich sagen, hat mitgeholfen, dass es für uns jetzt gut funktioniert. Ich bin ja ganz froh, ich habe eine qualifizierte gute Stelle, vollzeitnahe Teilzeit. Aber nein, ich habe da keine Maßnahmen mitbekommen, die mich unterstützen. Ganz im Gegenteil."

    Bevor die beiden losradeln, hält Dagmar Schwarz noch einen kurzen Plausch mit einer anderen Mutter. Weil sie am Samstag arbeiten muss, sucht sie jetzt nach einer Übernachtungsgelegenheit für Lilli.

    "Also eigentlich braucht man immer so ein Netz und doppelten Boden. So viel Organisation steckt dahinter. Aber jetzt bin ich mal froh, jetzt hat es auf den ersten Anhieb hingehauen."

    Eine halbe Stunde später laufen Mutter und Tochter hinauf in den vierten Stock. In ihrer Mietwohnung werden sie schon sehnsüchtig erwartet. Parsifal, ein zweijähriger rot-weiß getigerter Kater, streicht ihnen um die Beine. Lilli schnappt sich das Tier, wirft sich auf den Boden, krault Parsifal am Bauch. Der lässt die Liebesbezeugungen willig über sich ergehen.

    Dagmar Schwarz zeigt auf das separate Zimmer am Ende des Flurs. Normalerweise leben wir hier zu dritt, erzählt die 42-Jährige. Aber an den Wochenenden fährt ihre junge Mitbewohnerin heim zu den Eltern.

    "… wir haben ja hier eine Mitbewohnerin, eine WG, da wohnt noch die Astrid, weil ich mir die Wohnung sonst alleine auch gar nicht leisten könnte."

    Geld ist im Leben einer Einelternfamilie immer knapp. Umso mehr ärgert sich die Mutter darüber, dass sie steuerlich benachteiligt wird. Als Alleinerziehende kann sie zwar einen sogenannten Entlastungsbetrag geltend machen. Im Jahr seien das aber höchstens 600 Euro, rechnet sie vor. Kein Vergleich zum Ehegattensplitting, das die schwarz-gelbe Regierung propagiert. Kinderlose Ehepaare können dort bis zu 15.000 Euro steuerlich anrechnen lassen. Dagmar Schwarz findet das ungerecht.

    "Unsere Form der Familie wird ausgeschlossen, damit kann ich mich natürlich nicht einverstanden erklären und es macht mich mittlerweile wütend, natürlich sind wir eine Familie. Also wenn wir uns jetzt mal das "First Couple" angucken, Angela Merkel und Joachim Sauer, die könnten das Ehegattensplitting für sich in Anspruch nehmen, haben keinen Nachwuchs, die könnten davon profitieren. Ob sie das tun, weiß ich nicht, aber ich kann das nicht. Mein steuerlicher Entlastungsbetrag ist gering und aber absolut notwendig und ich halte das für eine steuerliche Diskriminierung."

    Unterdessen bereitet sie das Abendessen zu. Tochter Lilli hilft mit, schnippelt eine frische Gurke klein, legt die gewaschene Cocktailtomaten in eine Schüssel. Für eine Neunjährige wirkt sie ziemlich erwachsen. Von der neuen Regierung wünscht sich Dagmar Schwarz vor allem eins: Dass sie den Begriff "Familien" erweitert und tradierte Rollenbilder endlich abschafft.

    "Wir haben so ein massives technologisches Tempo. Da sprechen wir von Modernisierung und immer ganz vorne mit dabei sein und gesellschaftlich und sozial kommen wir nicht hinterher. Da ist eine Kluft dazwischen. Also diese tradierten Rollenbilder, die sind nicht mehr zeitgemäß. Auch wirtschaftlich ist das nicht mehr zeitgemäß. Wir brauchen jede Fachkraft, ja."

    Die Politik sollte auf sie hören. Jede fünfte Familie in Deutschland ist inzwischen eine Einelternfamilie. Sie haben eine Wahlmacht, die sie nutzen sollten, sagt die Mutter selbstbewusst.