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Unseriöses Verhalten in der Versicherungsbranche

Lange: Es ist ein Novum in der Geschichte des deutschen Versicherungswesens: Erstmals muss eine von der gesamten Branche getragene Auffanggesellschaft einspringen, um eine zusammengebrochene Versicherung zu übernehmen. Wir sprechen von der Mannheimer Leben. Es geht um 340.000 Verträge. Das Unternehmen hat sich mit Aktien verspekuliert und Millionenverluste gemacht. Frisches Kapital war nötig. Das aber wollten potente Konkurrenten nicht locker machen, so dass der Ausweg jetzt "Protektor" heißt. Das ist der Name dieser Auffanggesellschaft. Welche Folgen hat das für die Kunden? Wie wackelig oder wie solide steht die Versicherungsbranche überhaupt da? Darüber sprechen wir nun mit Wolfgang Scholl, Versicherungsexperte beim Bundesverband der Verbraucherzentralen. Guten Morgen, Herr Scholl.

    Scholl: Schönen guten Morgen.

    Lange: Herr Scholl, müssen die Versicherten der Mannheimer Leben jetzt um ihre Verträge fürchten?

    Scholl: Eine hundertprozentige Entwarnung kann man natürlich nicht geben, aber es gibt eine Auffanggesellschaft "Protektor" - Sie erwähnten das - die allerdings nur für die Lebensversicherten besteht. Der Gang wird jetzt so aussehen, dass zunächst einmal die Aufsichtsbehörde einen Sonderbeauftragten einsetzen wird, der dann Herr im Unternehmen werden wird. Der muss versuchen, die einigermaßen lukrativen Sparten in einer Bündellösung an ein anderes Unternehmen zu verkaufen. Für die Lebensversicherten, wo ja auch die Hauptverluste angefallen sind, besteht insoweit keine Gefahr, als Protektor, die Auffanggesellschaft, sämtliche Verträge Eins zu Eins übernimmt.

    Lange: Das heißt, die Versicherten brauchen von sich aus jetzt gar nichts zu machen.

    Scholl: Die Versicherten gerade in der Lebensversicherung brauchen eigentlich nichts zu machen. Für die Zukunft muss man natürlich beobachten, wie die Überschussbeteiligung ausfällt. Sie ist im Moment heruntergefahren auf jetzt schon Null. Das heißt, man bekommt bei der Mannheimer nur die garantierte Verzinsung. Das werden sich die Kunden auf Dauer nicht gefallen lassen.

    Lange: Lohnt sich das denn für die Kunden, da jetzt auszusteigen?

    Scholl: Nein, das ist die Krux bei Lebensversicherungen, also die kapitalbildenden Versicherungen: die Rentenversicherungen und Kapitallebensversicherungen im allgemeinen, dass in den ersten Jahren sehr hohe Abschlusskosten anfallen, die dem Versicherten meistens vor Vertragsabschluss auch nicht ausreichend offengelegt werden. Das führt letztlich dazu, dass man, wenn man einen Vertrag abschließt, zunächst einmal Verluste macht. Diese Verluste werden erst durch die nächsten Beitragszahlungen aufgefangen und dann erst in den nächsten Jahren abgebaut. Man kann eigentlich damit rechnen, dass zirka die Hälfte des Versicherungsvertrages gebraucht wird, um - mit der Überschussbeteiligung zusammen - die Beiträge wieder aufzuholen, die man eingezahlt hat. Da hat man noch überhaupt keine Verzinsung. Erst am Schluss des Vertrages kommt man in eine ausreichende Verzinsung hinein. Das führt letztlich dazu, dass, wenn man einen Vertrag vorzeitig kündigt, man in der Regel Verlust macht, weswegen hier ein Wechsel nicht angezeigt ist.

    Lange: Wie geht es denn dann weiter? Bleiben jetzt die Versicherten immer Kunden von "Protektor", oder ist das nur eine Übergangszeit, bis sich ein anderer Versicherer für diese Verträge interessiert?

    Scholl: Das wüsste ich auch gerne. "Protektor" ist von der Branche als Auffanglösung gedacht und versteht sich auch selbst lediglich als Zwischenlösung. Man wird also wahrscheinlich bei "Protektor" versuchen, nach der Sanierung einen neuen Partner zu finden, auf den das dann übertragen wird.

    Lange: Ist denn jetzt die Mannheimer Leben ein Einzelfall, oder stehen noch mehr Gesellschaften auf der Kippe?

    Scholl: Die ganze Branche oder relativ viele Gesellschaften in der Branche haben sich in der Kapitalanlage verhalten wie Klein-Erna auch: Viele haben Verluste gemacht und haben vor allen Dingen Ihre Aktienquoten noch zu einem Dax-Stand von 5.000 oder 5.500 aufgefüllt und sehr stark ausgeweitet. Von daher besteht natürlich in der ganzen Branche ein starker Wertberichtungsbedarf. Das hat sich ja zum Beispiel beim Branchenprimus, bei der Allianz, auch gezeigt, wo die Kapitalerhöhung durchgeführt werden musste. Das ist sozusagen lediglich ein Symptom. Der Kapitalmarkt hat den Unternehmen sehr stark zu schaffen gemacht.

    Lange: Das wird ja für viele Versicherte am Ende der Laufzeit für Lebensversicherungen die Folge haben, dass sie weniger rausbekommen als das mal zu Beginn prognostiziert worden ist. Für Bauherren kann das Schwierigkeiten bringen, wenn sie ihre Finanzierung auf eine Lebensversicherung aufgebaut haben. Was können, was sollten sie tun?

    Scholl: Da kann man kein Patentrezept geben. Das hängt auch ein bisschen von der persönlichen Mentalität des Anlegers beziehungsweise desjenigen, der zur Tilgung gezwungen ist, ab. Man kann natürlich auf die Tilgung umsteigen, das heißt, dass man mit der Rate gleich den Kredit zurückführt, also den Schuldenstand jedes Jahr reduziert. Das ist eigentlich die sicherste Methode, die man machen kann. Man sollte sie, wenn man die Liquidität hat, zusätzlich erhöhen. Ansonsten wird das einfach länger dauern, bis man eine Hypothek weg hat.

    Lange: Leute aus der Branche sprechen nun von einem Image-Schaden für das Produkt Lebensversicherung. Ist das wirklich nur noch ein Image-Schaden, oder ist das nicht schon mehr?

    Scholl: Der Image-Schaden ist nicht erst durch den Konkurs eingetreten, sondern er ist eigentlich in der Vergangenheit durch das relativ unseriöse Verhalten der Branche verursacht worden. Man hat seit 1994 und eigentlich auch schon in den Jahren davor zu hohe Überschussversprechungen gemacht. Man hat, um das auch belegen zu können, dass man das halten kann, den Altkunden auch zu viele Überschüsse gut geschrieben. Man ist also zu unvorsichtig gewesen. Vor allen Dingen hat man geglaubt, dass Dellen in der Kapitalmarktentwicklung - wie in der Vergangenheit auch - nur ein, zwei, drei Jahre lang dauern, dass man also nicht besonders vorsichtig sein muss. Genau darauf hat man ja sehr viel Wert gelegt in der Werbung, dass man noch keinen Konkurs gehabt hat, dass man immer schön eine konstante Überschussbeteiligung halten konnte und es für den Kunden eine ausreichende Verzinsung gab, und dass man alles ausgleichen kann, was der Kapitalmarkt bringt. Das war falsch. Die Unternehmen haben das eigentlich auch gewusst. Sie haben eigentlich nach außen nur etwas falsch kommuniziert. Deswegen ist der Schaden eingetreten. Sie haben sich selbst in diese Situation gebracht.

    Lange: Zur Mannheimer-Holding gehören ja auch, Herr Scholl, die Sparten Kranken-, Sach- und Unfallversicherung. Die ist auch in der Schieflage. Das sind insgesamt 770.000 Verträge. Was passiert denn mit denen?

    Scholl: Das wird jetzt sehr stark an der Aufsichtsbehörde liegen und an dem Sonderbeauftragten. Der Krankenversicherer ist eigentlich ein ganz kleines Unternehmen, der Sachversicherer ist schon ein bisschen größer. Der ist aber auch gar nicht unattraktiv. Insofern, wenn man eine Bündellösung findet, wenn man einen Konzern findet, der die Verträge insgesamt übernimmt, wird die Gefahr abgewendet werden können. Allerdings kann man hier noch nicht allzu viel sagen. Das wird sich erst in der Zukunft zeigen.

    Lange: Wolfgang Scholl war das, vom Bundesverband der Verbraucherzentralen. Herzlichen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Scholl: Bitte schön.

    Link: Interview als RealAudio