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"Unter befreundeten Staaten spioniert man nicht aus"

WikiLeaks hat neben veröffentlichten Peinlichkeiten auch die Arbeit von Geheimdiensten und Diplomaten peinlich berührt. Hansjörg Geiger sagt, die deutsche Diplomatie spioniere nicht - und erklärt den Unterschied zu Nachrichtendiensten.

01.12.2010
    Friedbert Meurer: Wer will schon alles hinausposaunt hören, was er einmal über andere gesagt hat? Die US-Diplomaten im Fall von WikiLeaks wollten durchaus, dass das, was sie nach Washington meldeten, dort auch gelesen wird. Das wiederum wussten aber die Gesprächspartner der US-Diplomaten nicht unbedingt und mancher wird sich jetzt ärgern, dass er abgeschöpft wurde. Wo endet eigentlich die Diplomatie und wann beginnt die Spionage? – Eine Depesche hat aufhorchen lassen, nämlich darin hat US-Außenministerin Hillary Clinton ihre Diplomaten bei den Vereinten Nationen in New York aufgefordert, sie sollten möglichst viele Informationen sammeln über UNO-Mitarbeiter, ihre Handy-Nummern und vielleicht sogar Kreditkarten-Nummern, alles, was in Erfahrung zu kriegen ist, und das klingt dann doch schon nach der Aufforderung der US-Außenministerin, andere auszuspionieren.
    Hansjörg Geiger ist Jurist, lehrte an der Universität Frankfurt am Main und er war Präsident sowohl des Bundesamtes für Verfassungsschutz als auch des Bundesnachrichtendienstes. Guten Morgen, Herr Geiger!

    Hansjörg Geiger: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Wenn wir das Zitat von Hillary Clinton nehmen, oder das, was in der Depesche zu lesen ist, ist das noch Diplomatie, oder wird da die Grenze zur Spionagetätigkeit eindeutig überschritten?

    Geiger: Das Zitat ist jedenfalls schon mal interessant, und um die Frage ein bisschen präziser zu beantworten, lohnt es sich, vielleicht zunächst mal die Frage zu stellen, was ist eigentlich zentrale Aufgabe der Nachrichtendienste und was des diplomatischen Dienstes? - vielleicht nähern wir uns der Antwort etwas besser an. Wir wissen alle, dass es Aufgabe der Nachrichtendienste ist, insbesondere der Auslandsnachrichtendienste, Informationen über das Ausland zu sammeln. Die Informationsgewinnung kann auch beim Nachrichtendienst nur offen erfolgen, aber sie geschieht eben auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln, man wirbt Quellen an, man führt Quellen, ...

    Meurer: Spione? Sind Quellen Spione?

    Geiger: Spione haben die anderen, Quellen hat man selber. - ... verschlüsselte Meldewege und heimliche Treffen. Das macht der Nachrichtendienst und er hat auch einen eigenen Meldeweg. Die Mitarbeiter des Nachrichtendienstes melden ihrem Präsidenten oder ihrem Chef. Die Diplomaten haben nun die Aufgabe – und das ist uns ja alles klar, das wissen wir alles -, die Pflege der Beziehungen zwischen Gastland und Herkunftsland. Dazu gehört, dass man das eigene Land gut darstellt im Gastland, es gehört aber natürlich auch zur Pflege der Beziehungen, dass man sich einen Eindruck über das Gastland verschafft, über das politische Geschehen, über die wirtschaftliche Situation. Während der Nachrichtendienstler auch nachrichtendienstlich arbeiten darf, also nicht offen, haben die Kontakte der Diplomaten grundsätzlich offen zu erfolgen. Es muss jeder Anschein vermieden werden, als würde ein Diplomat nachrichtendienstlich tätig sein, denn es gibt ja auch die wesentliche Pflicht aus dem Wiener Übereinkommen für die Diplomaten aus 1961, dass sich ein Diplomat nicht in die inneren Angelegenheiten des Gastlands, des Empfangsstaates einzumischen hat.

    Meurer: Wenn es so ist, Herr Geiger, wie gemeldet wird, dass ein junger aufstrebender FDP-Mitarbeiter während der letzten Koalitionsverhandlungen in der US-Botschaft in Berlin ein- und ausgegangen ist und erzählt hat, was da alles passiert hinter verschlossenen Türen in den Koalitionsverhandlungen, ist das noch diplomatische Pflege, oder ist das Spionage?

    Geiger: Da müssen Sie immer - wenn Sie einen Juristen fragen, gibt er einem die Antwort, es kommt darauf an. Hier bewegen wir uns jedenfalls eindeutig im Grenzbereich. Wenn es heißt, dass man eine Quelle hat, dass man wieder Kontakt zu der Quelle aufnehmen soll, dass Quellen zu schützen sind, dann ist das ein Vokabular, das mich persönlich sehr stark an das nachrichtendienstliche Vokabular erinnert.

    Meurer: Das ist das Vokabular des Botschafters Philip Murphy?

    Geiger: Das ist für mich etwas, was – unterstellt, das ist alles so richtig übersetzt; ich habe die Unterlagen nicht im Original gesehen – für mich jedenfalls zumindest überraschend ist. Deswegen: Die Tätigkeit dieses FDP-Mannes, unterstellt das war alles so, ist grenzwertig und auch von der anderen Seite, sie so entgegenzunehmen.

    Meurer: Die Geschichte mit Hillary Clinton, Ihre Anweisungen an ihre Leute, bei der UNO alles zu sammeln was sie kriegen können, ist das auch grenzwertig, oder schon eindeutig Spionage, oder Tätigkeit eines Nachrichtendienstes?

    Geiger: Jedenfalls diese Aufgaben gehören üblicherweise zu dem Aufgabenbereich eines Nachrichtendienstes. Inwieweit sich die Diplomatie jetzt auch dieser Aufgabe etwas gewidmet hat oder widmet, ist für mich eigentlich überraschend und neu. Es gehört sicher definitiv nicht zum üblichen Aufgabenbereich eines Diplomaten, während der Nachrichtendienst ja möglicherweise genau diese Informationen braucht, um eine Quelle zu gewinnen, jemand hat Kreditkarten-Schulden, jemand gibt zu viel aus, und das herauszubekommen, dann kann man möglicherweise jemanden als Quelle werben, um an Geheimnisse zu kommen, die einem wichtig sind.

    Meurer: Wenn die Amerikaner das bei der UNO machen, machen sie es auch bei uns?

    Geiger: Ich will es doch nicht hoffen! Ich will es doch nicht hoffen, denn unabhängig davon, ob das ein Diplomat macht oder ein Nachrichtendienstler, unter befreundeten Staaten spioniert man nicht aus, da sammelt man keine Informationen gegen den Staat, das gehört sich nicht.

    Meurer: Herr Geiger, mal umgekehrt die Frage. Wir wissen ja, an ausländischen deutschen Botschaften gibt es BND-Residenten, also Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes.

    Geiger: Ja.

    Meurer: Müssen wir uns da den Vorwurf gefallen lassen, wir sollten mal besser nicht mit Steinen werfen, denn wir sitzen ja selber im Glashaus?

    Geiger: Ich glaube, das ist ganz wichtig, dass Sie das Thema ansprechen. Es gibt den normalen diplomatischen Dienst und es gibt die "normale" nachrichtendienstliche Tätigkeit. Es gibt aber einen Bereich, in dem sich das etwas überschneidet, in dem nämlich Mitarbeiter von Nachrichtendiensten in die Botschaften entsandt werden. Das nennt man dann Residentur, die bilden eine Residentur. Diese Mitarbeiter des Nachrichtendienstes haben auch eine diplomatische Abdeckung, wie man das nennt, haben Diplomatenstatus, haben auch zusätzlich diplomatische Aufgaben. Aber zur Vertrauensbildung gegenüber dem Gastland werden diese Mitarbeiter auch dem Nachrichtendienst als Mitarbeiter des Nachrichtendienstes benannt und selbstverständlich haben diese nachrichtendienstlichen Mitarbeiter in der Residentur mit ihren ganz besonderen Kenntnissen auch die Spielregeln der Diplomatie zu achten.

    Meurer: Das sind welche?

    Geiger: Sie haben auch sich nicht in die inneren Angelegenheiten einzumischen, dürfen quasi nicht spionieren. – Der große Vorteil der Residenturen ist erstens, dass man einen Kontakt zu den örtlichen Nachrichtendiensten hat auf dieser Ebene. Aber was manche Länder als Vorteil empfinden: Diese Mitarbeiter genießen wie gesagt auch diplomatischen Schutz.

    Meurer: Und die sitzen dann Tür an Tür mit den Diplomaten?

    Geiger: Die sitzen Tür an Tür mit den Diplomaten. Sollten diese Residenturmitarbeiter aber gleichwohl nachrichtendienstlich tätig werden und sie sollten dabei ertappt werden, dann hat das den großen Vorteil, dass sie im Gastland nicht strafrechtlich verfolgt werden können, sondern wegen des diplomatischen Status allenfalls ausgewiesen werden können. Und wir lesen ja immer wieder einmal, dass ein Staat sagt, er hat aufgefordert, dass ein paar Diplomaten das Land verlassen, weil ihr Handeln sich nicht mit den diplomatischen Gepflogenheiten vereinbaren lässt.

    Meurer: Aber Sie sagen, jenseits der BND-Residenten, deutsche Diplomaten spionieren nicht?

    Geiger: Deutsche Diplomaten spionieren nicht. Auch BND-Residenten haben das alles zu beachten. Aber das ist ja gerade der Unterschied: Ein Diplomat benutzt offene Quellen, spricht offen, ist als Diplomat erkennbar, vermeidet alles, was ihn in die Nähe des Nachrichtendienstes bringt.

    Meurer: Das war Hansjörg Geiger, ehemaliger BND-Präsident, Jurist und er hat auch mal das Bundesamt für Verfassungsschutz geleitet. Schönen Dank, Herr Geiger, und auf Wiederhören.

    Geiger: Auf Wiederhören!