Wagener: Herr Müller, die sogenannte große Steuerreform soll schon in Kreisen der SPD-Spitzen bis in Einzelheiten besprochen worden sein. Können Sie das bestätigen?
Müller: Das kann ich so nicht bestätigen, jedenfalls insofern nicht bestätigen, als dort irgend etwas schon beschlossen sei.
Wagener: Beschlossen nicht, aber es ist konkret darüber diskutiert worden und es sind fortgeschrittene Diskussionen im Gange?
Müller: Das ist richtig, weil wir ja angekündigt haben, daß wir vor der Sommerpause die Eckpunkte für die Unternehmenssteuerreform und zum Urteil in Sachen Kindergeld vorlegen werden.
Wagener: Sie können auch die von mir eben skizzierten Eckpunkte bestätigen?
Müller: Ich kann Ihnen bestätigen, daß wir bei der Unternehmenssteuerreform einen Steuersatz von 35 Prozent anstreben und schauen, inwieweit darin auch die Gewerbeertragssteuer enthalten sein kann.
Wagener: Wie steht es um die Mehrwertsteuererhöhung?
Müller: Die Mehrwertsteuererhöhung wird für die Finanzierung etwa des Kindergeldurteiles oder für die Unternehmenssteuerreform nicht verwendet.
Wagener: Das Neujustieren der Steuern in Deutschland soll dann auch das Bundesverfassungsurteil zum Familienlastenausgleich berücksichtigen. Durchschnittlich gut 100 Mark mehr fürs Kind bei gleichzeitig höherer Mehrwertsteuer, wenn sie denn so kommt wie angekündigt, und höhere Benzinpreise, wo bleibt da der Gewinn der Familien?
Müller: Ich habe ja gerade gesagt, die Mehrwertsteuererhöhung steht für diese Dinge nicht zur Verfügung. Wenn dieses Thema überhaupt diskutiert wird, dann in ganz anderem Zusammenhang. Das ist eine Umschichtung von direkten zu indirekten Steuern. Das ist die Frage, inwieweit wir bei der Unternehmenssteuerreform solche Überlegungen mit einbeziehen. Aber noch einmal: Die Unternehmenssteuerreform und die Erfüllung der Auflagen des Verfassungsgerichts zum Familienurteil haben mit dem Thema Mehrwertsteuer nichts zu tun.
Wagener: Das Kabinett wird sich wahrscheinlich dann im Juni mit dieser Steuerreform befassen. Ist das richtig?
Müller: Wir werden wahrscheinlich noch ein paarlam darüber reden müssen. Zur Zeit arbeitet beim Finanzministerium eine Kommission, und deren Ergebnisbericht liegt ja noch gar nicht vor.
Wagener: Welche wirtschaftliche Auswirkung hätte eine große und schnelle Steuerreform für das Jahr 2000 Ihrer Meinung nach auf die Konjunktur?
Müller: Uns geht es darum, daß die Wirtschaft möglichst bald, deswegen vor der Sommerpause, belastbare Rahmendaten kennt, die einen Ruck durch das Investitionsgeschehen bewirken, die das realisieren, was die Wirtschaft vor allem anregt, nämlich eine steuerliche Entlastung für unternehmerische Erträge. Das soll vor der Sommerpause vorgelegt werden, muß planbar und verläßlich sein und dann denke ich, daß die Investitionsneigung in diesem Lande wieder deutlich zunimmt.
Wagener: Sie haben vorgeschlagen, die Wirtschaft möge selbst eine Streichliste für Subventionen vorlegen. Was erwarten Sie an Reaktionen oder gibt es schon welche?
Müller: Ich habe den Brief erst letzten Mittwoch an die Spitzenverbände der Wirtschaft geschickt. Ich habe heute gehört, daß der BDI es positiv aufgreift. Im Kern geht es darum: Die Wirtschaft verlangt Steuersenkungen und sagt, finanziert das doch zum Beispiel durch Streichungen im Sozialstaat, eventuell auch bei Subventionen. Nun kann man nicht durch Streichungen im Sozialstaat, im Sozialgefüge Steuerentlastungen für die Wirtschaft finanzieren. Das geht nicht. Ein anderes Thema sind die gesamten Staatshilfen, die die Wirtschaft selber bekommt. Wenn sie dort aber irgend etwas streichen, kriegen sie regelmäßig breiten öffentlichen Ärger mit dem einzelnen Betroffenen. Insofern meine Bitte: Wenn die Wirtschaft nun schon generell fordert, Subventionen abzubauen, dann soll sie doch einmal mit allen einzelnen Mitgliedsverbänden ein abgestimmtes Konzept vorlegen, so daß wenn wir das machen hinterher nicht mit großem Presseaufwand wieder gegen diese Regierung polemisiert wird, sondern daß die Wirtschaft mit all ihren einzelnen Verbänden solche Dinge dann konstruktiv begleitet. Dann kann man es machen, dann werden wir das auch tun.
Wagener: Welches Volumen könnte dieser Subventionsabbau haben? Um wieviel Prozent des gesamten Subventionsbereiches wird es Ihrer Meinung nach gehen?
Müller: Ich habe vor allem an den Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelstages geschrieben, aber wie gesagt auch an alle anderen, weil der Deutsche Industrie- und Handelstag mich um die Jahreswende herum aufgefordert hat, 20 Prozent der Staatshilfen für die Wirtschaft - das wären etwa 25 von 130 Milliarden Mark - zu streichen. Ich kann mit so einem pauschalen Satz insofern wenig anfangen, weil ich muß ja an all diejenigen denken, die dann konkret betroffen sind. Deswegen meine Bitte, daß das aufgeschlüsselt wird, daß konkret gesagt wird, welche Zweige der Wirtschaft wieviel an Subventionen nicht brauchen und dies dann abgestimmt zurückgemeldet. Dann wird man sehen, ob man eine solche Summe zustandebringt.
Wagener: Noch einmal zurück zur geplanten Steuerreform. Ist zu diesem Zeitpunkt ausgeschlossen, daß sie auch über neue Kredite finanziert wird?
Müller: Ich kann mir kaum vorstellen, daß wir für die Steuerreform die Neuverschuldung erhöhen. Ich kann mir vorstellen, daß dort eine gewisse spekulative Lücke in der Gegenfinanzierung bleibt, weil ich sehr wohl vermute, daß die Wirtschaft eine erhebliche Belebung erfahren wird, so daß sich dies dann sozusagen selbst finanziert und die Lücke überkompensiert wird. Das ist in allen westlichen Volkswirtschaften, in Amerika und England, so gelungen. Ich wüßte nicht, warum das in der Bundesrepublik nicht gleichermaßen funktionieren sollte.
Wagener: Die geplante Steuerreform soll ja eine Nettoentlastung für den Bürger/die Bürger bringen. Ist das schon jetzt überschlägig bezifferbar, wie die Entlastung aussehen könnte?
Müller: Zunächst einmal muß ich dazu sagen, daß wir ja gerade eine Steuerreform verabschiedet haben, die am 01. 04. in Kraft tritt. Hier sind für kleine und mittlere Einkommen insgesamt, einschließlich der schon beschlossenen Kindergelderhöhungen, Nettozuwächse bis zum Jahre 2002 in der Größenordnung von 2 500 Mark pro Jahr schon Gesetz. Inwieweit eine weitere Entlastung kommt, kommen kann, das ist ein Punkt, über den wir eben im Kabinett überhaupt erst einmal diskutieren müssen. Auch vor diesem Hintergrund sage ich noch einmal: Was jetzt am Wochenende an Meldungen vorhanden war, die Steuerreform wäre schon rundherum beschlossen, ist nicht richtig.
Wagener: Die große Steuerreform 2000 und der geplante Subventionsabbau aus der Sicht des Bundeswirtschaftsministers Werner Müller. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.