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Unterrichtsausfall
Jetzt wird nachgezählt

In Thüringen fallen im Schnitt nur 3,6 Prozent aller Schulstunden aus, sagt das Kultusministerium. Besonders Eltern haben aber oft das Gefühl, dass es viel mehr sind. Die Landesschülervertretung erhebt nun eigene Zahlen.

Von Henry Bernhard | 05.02.2014
    Große Pause in der Kooperativen Gesamtschule in Erfurt. Der Schülersprecher Paul Muschiol steht vor dem Vertretungsplan. Früher hat er sich wie jeder Schüler über Ausfall gefreut, aber je näher das Abi rückt, umso wichtiger erscheint ihm jede Stunde.
    "Also, gerade in der Oberstufe ist es so: Es bringt uns herzlich wenig, mit einem anderen Lehrer Unterricht zu machen. Man hat halt entweder seinen Fachlehrer oder der Fachlehrer gibt einem halt Aufgaben, die man dann bewerkstelligen muss. In den jüngeren Klassen ist es meistens so, dass die Stunden noch vertreten werden; und man versucht zumindest, die Klasse nicht unbeaufsichtigt zu lassen."
    Und Felix Schuster, Schülersprecher in der 11., ergänzt: "Ich bin der Meinung, dass zu viel ausfällt. Wir haben zu wenig fachgerechte Vertretung. Und somit ist der Ausfall im Moment schwierig für uns."
    Der Schulleiter, Peter Grigo, sagt, er habe zwar genügend Lehrer an der Schule, für einen länger kranken Kollegen habe er sogar einen Ersatzlehrer vom Kultusministerium bekommen. "Aber, wir haben natürlich keine Reserven. Das ist ein Problem. Im Moment, diese Woche, sind es sechs bis sieben kranke Lehrer, die wir haben. Und zwei Lehrer kommen dazu, die mit Schülern im Skilager unterwegs sind. Also können sie sich vorstellen: Unsere Vertretungspläne diese Woche, die sehen wirklich zum Haareraufen aus."
    Insgesamt aber liege seine Schule mit den Ausfallstunden im Schnitt. 3,6 Prozent aller Schulstunden fallen in Thüringen aus, sagt das Kultusministerium. Es erhebt die Daten landesweit.
    Die subjektive Wahrnehmung ist oft eine andere: Gerade Eltern finden, dass sehr viel Unterricht ausfällt. Und auch die Landesschülervertretung hegt Zweifel an den offiziellen Zahlen. Paul Muschiol ist auch Landesschülersprecher. "Also, uns bewegt diese Diskussion, die jeden Tag irgendwo stattfindet: 'Bei uns fällt was aus', 'Bei uns fällt gerade Mathe aus.' Okay: Fällt wirklich in Thüringen so viel aus oder erzählen immer alle nur so viel? Das ist halt unser Punkt gewesen, wo wir uns gesagt haben: Okay, diese Prozent, die das Ministerium vorgibt: Stimmt das Ganze für uns oder überprüfen wir das einfach mal selber?"
    Alle Klassensprecher ab der 5. Klasse führen genau Buch
    Und so hat die Landesschülervertretung eine thüringenweite Erhebung initiiert: Zwei Wochen lang - bis zum kommenden Montag - sollen alle Klassensprecher ab der 5. Klasse genau Buch führen, wie und ob ein ausgefallener Lehrer vertreten wird. Es geht dabei auch darum, ob die Vertretung fachgerecht ist oder die Schüler nur beschäftigt werden. Felix Schuster erklärt, wie er die Statistik führt. "Die füllen wir jeden Tag aus. Also, wir führen eine Liste, damit wir einen kompletten Kurs abdecken können mit allen Fächern. Und dann, wenn die Liste fertig ist, wird das ausgefüllt und im Internet eingetragen, damit wir das auswerten können."
    Thüringens Kultusminister Christoph Matschie unterstützt das Projekt nach einem Gespräch mit der Landesschülervertretung - wenn auch ohne Begeisterung. Denn er vertraut seiner eigenen Statistik.
    Die Schüler aber sind hoch motiviert. Paul Muschiol: "Und das eigentlich Interessante für uns war, dass sich damit Klassensprecher selber auseinandersetzen, dass sie sich selber damit beschäftigen: Wie viele Stunden fallen denn wirklich aus? Die kriegen ja am Ende auch die Rückinfo: Okay, wie seid ihr im Vergleich; wie viel ist bei euch ausgefallen? Damit halt Schüler auch mal reflektieren: Sind Ausfallstunden nur schön oder schaden sie mir doch irgendwann über die Schullaufbahn?"
    Die Bildungspolitik ist momentan ohnehin das Lieblingsstreitthema in der Erfurter Großen Koalition. Der SPD-Kultusminister will mehr Lehrer, die CDU forderte das auf ihrem Parteitag auch, der CDU-Finanzminister jedoch verweigert das Geld. Der Landesschülersprecher möchte das Thema nicht allein der Politik überlassen. "Wir möchten das auch in den Diskurs reintragen. Und gerade im Hinblick auf die Landtagswahl ist das noch mal ein interessantes Thema. Vielleicht kann man da der einen oder anderen Partei gerade zur Landtagswahl noch das eine oder andere Versprechen abringen!" Und sein Schulleiter findet: "Ja, genau das ist Einmischen - und das sehe ich äußerst positiv."