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Untersuchungsausschuss Wahlbetrug nimmt Arbeit auf

Zagatta: In Berlin nimmt heute der Untersuchungsausschuss seine Arbeit auf. Er soll der Frage nachgehen, ob die Bundesregierung die Öffentlichkeit im Wahlkampf falsch informiert hat. Die SPD macht keinen Hehl daraus, dass sie diesen Ausschuss für überflüssig hält. Vom Gegenteil wird uns jetzt Peter Altmaier überzeugen wollen. Guten Morgen, Herr Altmaier!

    Altmaier: Guten Morgen, Herr Zagatta!

    Zagatta: Sie sind der Obmann der CDU/CSU in diesem Ausschuss. Wie wollen Sie diesen eigentlich nennen, Wahlbetrugsausschuss oder Lügenausschuss?

    Altmaier: Also es geht um die Frage, ob die Regierung die Bevölkerung bewusst falsch informiert hat. Es geht dabei um die Informationen über die Lage der Staatsfinanzen und der Sozialkassen im letzten Sommer. Das müssen wir klären, und dann überlasse ich es gerne der Öffentlichkeit, welchen Namen sie diesem Ausschuss gibt. Ich habe den Eindruck, dass immer mehr Bürger und Medien vom Lügenausschuss sprechen. Das zeigt ja eigentlich auch, wie sehr die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung in den letzten Monaten gelitten hat.

    Zagatta: Aber Lügenausschuss ist ja ein gewagter Ausdruck, denn Sie suchen ja jetzt die Wahrheit.

    Altmaier: Der Umstand, dass Herr Eichel, Frau Schmidt und Herr Riester die Menschen vor den Wahlen falsch informiert haben, ist unumstritten. Die Frage ist jetzt, ob sie dieses bewusst und vorsätzlich getan haben. Haben sie also die Menschen belogen? Ich halte es für eine schlimme Missachtung des Parlamentes und der Öffentlichkeit, dass weder Herr Eichel noch Herr Schröder sich in den letzten drei Monaten, seit dieser Vorwurf im Raum steht, auch nur ansatzweise in der Sache dazu geäußert haben.

    Zagatta: Beide haben diese Vorwürfe zurückgewiesen.

    Altmaier: Sie haben sie zurückgewiesen. Aber die Öffentlichkeit hat ja auch einen Anspruch darauf zu erfahren, was Herr Eichel zum Beispiel von der desaströsen Lage der öffentlichen Kassen wusste. Es stellt sich auch die Frage, warum er es nicht rechtzeitig vor der Wahl gesagt, sondern bis zum Schluss Optimismus verbreitet hat. Es gab ja auch das Angebot der SPD, von Herrn Schmidt, ihrem parlamentarischen Geschäftsführer, Herrn Schröder und Herrn Eichel noch vor Weihachten im Untersuchungsausschuss zu vernehmen. Davon will die SPD jetzt nichts mehr wissen, weil sie offensichtlich glaubt, dass Herr Eichel den Entlastungsbeweis nicht führen kann. Nun versuchen sie, mit allen möglichen und unmöglichen Mitteln, über den Termin der Landtagswahlen am 2. Februar zu kommen, um zu verhindern, dass Herr Eichel vor diesem Termin im Untersuchungsausschuss mit den Vorwürfen konfrontiert wird.

    Zagatta: Aber Herr Altmaier, dass im Wahlkampf nicht gerade die volle Wahrheit gesagt wird, das kennen wir ja eigentlich auch vielen Wahlkämpfen. Der Regierung jetzt tatsächlich Wahlbetrug nachzuweisen, ist das nicht von vorne herein ein aussichtsloses Unterfangen?

    Altmaier: Es gibt zwei wesentliche Unterschiede. Einmal gibt es die politischen Wahlversprechen von Parteien und Regierungsmitgliedern. Denken Sie an die dreieinhalb Millionen Arbeitslosen von Schröder. Auch wir haben in der Vergangenheit bisweilen vielleicht Dinge versprochen, die nicht allzu realistisch waren. Es ist schon schlimm genug, dass die Menschen uns im Grunde nicht mehr zutrauen, dass wir ehrliche Wahlprogramme vorlegen. Aber noch bedenklicher und völlig unzulässig ist es, wenn Regierungsmitglieder, Minister und Staatssekretäre, die nach dem Grundgesetz zur umfassenden und wahrheitsgemäßen Information der Bevölkerung verpflichtet sind, Zahlen beschönigen und bewusst falsch darlegen. Dann wird das Vertrauen in die Politik in Deutschland ja endgültig Schaden nehmen. Das können wir uns in der gegenwärtigen Situation nicht leisten. Es ist ja auch so, dass sich jetzt im Augenblick die Anzeichen verdichten, dass es vor den Landtagswahlen am 2. Februar einen erneuten Wahlbetrug geben wird. Sie haben vielleicht auch mitbekommen, dass Herr Clement in einem sehr anerkennenswerten Anflug von Ehrlichkeit bereit war zuzugeben, dass die bisherigen Prognosen der Bundesregierung nicht haltbar sind, dass auch die Neuverschuldung höher ausfallen wird als ursprünglich geplant. Das hat Herr Schröder dann sofort wieder unterbunden. Er hält gemeinsam mit Eichel an den alten, längst überholten Zahlen fest. Sie werden sehen, nach den Wahlen ist dann plötzlich wieder alles ganz anders.

    Zagatta: Aber dass die Haushaltslage im Sommer schon angespannt war, war ja im Wahlkampf eigentlich jedem klar. In dieser Situation ist doch die Union noch mit einem Familiengeld von 600 Euro hausieren gegangen. Wo ist denn da der Unterschied? Das ist doch auch nicht ehrlich.

    Altmaier: Wir waren in einer ganz schwierigen Situation, weil unsere Warnungen vor dem Finanzloch im Bundeshaushalt als Miesmacherei und Schwarzmalerei denunziert wurden, sowohl von Eichel als auch von Schröder. Wir mussten uns dann natürlich mit den offiziellen Zahlen der Regierung in unserem Programm auseinandersetzen. Wenn man sieht, dass Herr Eichel beispielsweise noch wenige Tage vor der Wahl erklärt hat, dass es ganz sicher keinen blauen Brief aus Brüssel geben werde, obwohl zu diesem Zeitpunkt nach Ansicht fast aller Experten feststand, dass wir dieses Drei-Prozent-Kriterium vom Maastricht nicht mehr erreichen konnten, dann stellt sich die Frage, warum haben Herr Eichel und Herr Schröder das nicht bereits im Juli oder August thematisiert. Dann hätte man in einer großen Kraftanstrengung auch parteiübergreifend einiges verändern können. Dann hätten wir vielleicht einige der Steuererhöhungen, die jetzt auf die Bürger zugekommen sind, verhindern können. Deshalb glaube ich, dass es notwendig ist, diesen Ausschuss auch für die Zukunft zu sehen, weil es uns allen darum gehen muss, ein Exempel zu statuieren. Wir müssen auch dazu beitragen, dass den Wählern auch in Zukunft realistische Zahlen auf dem Tisch liegen. Kassensturz vor der Wahl, heißt die Devise. Ich will heute der SPD im Ausschuss einen Fairness-Pakt anbieten. Ich will anbieten, dass wir uns auf eine Strukturierung der Arbeit verständigen. Das soll so aussehen, dass wir in kurzer Zeit die notwendigen Akten von der Bundesregierung bekommen und dass Herr Eichel bereit ist, zeitnah im Ausschuss auszusagen. Wir werden uns selbstverständlich im Rahmen des uns Möglichen nach seinem Terminkalender richten. Dann müssen wir auch über die Frage reden, was sich für die Zukunft ändern muss, dass die Bürger dem vertrauen können, was die Regierung ihnen vor den Wahlen sagt.

    Zagatta: Nun zeigt ja auch die Erfahrung mit Untersuchungsausschüssen, zuletzt ja auch beim Thema Parteispenden, dass bei diesen Ausschüssen kaum etwas herauskommt. Warum soll das dieses Mal anders sein?

    Altmaier: Sie haben recht. Der Parteispendenausschuss war ein Ausschuss zum Abgewöhnen und hat sicherlich keinen Beitrag zur politischen Kultur geleistet. Das lag aber auch an der Art und Weise, wie er von denen, die ihn beantragt hatten, geführt worden ist. Es liegt jetzt an uns, ob wir einen Beitrag zur politischen Kultur leisten oder ob die Politikverdrossenheit weiter ansteigen wird. Mir ist aufgefallen, dass gerade bei den jüngeren 68 Prozent der 19- bis 29-Jährigen die Meinung vorherrscht, dass dieser Ausschuss richtig und wichtig sei. Wenn sich im Laufe der Arbeit dieses Ausschusses der Eindruck durchsetzt, dass man Gegensätze zwischen Regierung und Opposition auch in einer fairen und vernünftigen Art und Weise austragen kann, dass der Ausschuss vielleicht sogar dazu führt, dass wir eine öffentliche Debatte darüber bekommen, wie realistisch nicht nur Wahlprogramme sind, sondern was man tun kann, damit die Regierungen auf Bundes- und Länderebene ihren Verpflichtungen aus dem Grundgesetz und den Landesverfassungen besser nachkommen, dann hätte er sein Ziel erreicht. Ich halte das für möglich. Allerdings sind wir auf die Kooperation von der Regierungskoalition angewiesen, die in diesem Ausschuss die Mehrheit hat.

    Zagatta: Ist das denn zu erwarten? Beim Parteispendenuntersuchungsausschuss hat man ja die Erfahrung gemacht, dass die Union doch gewaltig gemauert hat. Da haben Sie es doch als Union hingenommen und sogar noch verteidigt, dass Altkanzler Helmut Kohl bei den wichtigsten Fragen die Auskunft verweigert hat. Warum sollte sich da jetzt das Regierungslager auskunftsfreudiger zeigen?

    Altmaier: Ich glaube, es liegt im Interesse von Gerhard Schröder und der Regierung, dass die Glaubwürdigkeit dieser Bundesregierung wieder hergestellt wird. Es ist jetzt schon so, dass das Vertrauen in die Prognosen von Herrn Eichel sowohl in Brüssel bei der Kommission wie auch hier bei uns in Deutschland auf den Nullpunkt gesunken ist. Sie können auf Dauer nicht erfolgreich regieren, wenn Sie ständig mit dem Makel leben müssen, dass Sie versuchen, die Zahlen zu verschönen und mit der Wahrheit hinter dem Berg zu halten. Das heißt, dieser Untersuchungsausschuss beschäftigt sich mit einem abgeschlossenen Vorgang, aber er hat eine große Bedeutung auch für die laufende Arbeit der Bundesregierung und für die Arbeit künftiger Bundesregierungen. Deshalb ist es aus meiner Sicht im Interesse von Herrn Eichel und von Herrn Schröder, diese Vorwürfe aufzuklären. Deshalb kann ich nicht verstehen, dass Herr Eichel sich nach wie vor weigert, vor den Landtagswahlen am 2. Februar im Ausschuss auszusagen. Wenn er wirklich eine weiße Weste hätte, dann würde er die Vorwürfe gegen ihn widerlegen und dann zu den wirklichen Problemen zurückkehren.

    Zagatta: Aber würde das Sinn machen? Wenn er nämlich vor den Landtagswahlen noch aussagen wollte, müsste man ihn ja jetzt schon zu der ersten Beweisaufnahmesitzung laden. Wäre das nicht wirklich verfrüht und verschenkt?

    Altmaier: Wir haben angeboten, dass Herr Eichel und Herr Schröder zunächst ihre Version der Dinge im Ausschuss zu Protokoll geben. Das müsste dann zu Beginn der Beweisaufnahme geschehen.

    Zagatta: Aber Sie haben die Akten doch noch gar nicht. Sie kennen doch die Fakten noch gar nicht.

    Altmaier: Wir kennen sie deshalb nicht, weil die Bundesregierung auch hier verzögert und blockiert hat. Wir haben bereits am 20. Dezember unsere Beweisanträge auf Akteneinsehung gestellt. Die werden heute beschlossen. Das heißt, die Regierung hat sie seit dem 20. Dezember gekannt. Ich bin gespannt, ob wir vor der Landtagswahl auch nur eine Akten von der Regierung sehen. Aber es macht auch ohne Akten Sinn, Herrn Eichel zu vernehmen. Denn es geht ja darum, seine Version zu Protokoll zu nehmen. Diese Version soll dann anhand der erhaltenen Akten und Zeugenaussagen aus dem Finanzministerium und Bundeskanzleramt überprüft werden. Wir haben also eine Liste von rund 60 Zeugen vorbereitet. Je nach dem, wie Herr Eichel sich in der Sache äußert, ist es unter Umständen möglich, auf eine Reihe von Zeugenaussagen zu verzichten. Es ist nach wie vor unser Ziel, diesen Untersuchungsausschuss zügig durchzuführen. Das heißt, wir könnten die Beweisaufnahme bis etwas Jahresmitte zum Abschluss bringen. Wir könnten dann in einem zweiten Schritt über die Konsequenzen für die Zukunft reden und würden dann gegen Ende des Jahres diesen Ausschuss zu einem erfolgreichen Abschluss bringen.

    Zagatta: Vielen Dank, Herr Altmaier.

    Link: Interview als RealAudio