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Unterwegs in Katalonien
Wie gespalten ist die katalanische Gesellschaft?

Die Menschen in Katalonien erwarten endlich eine Lösung des Konflikts mit der spanischen Zentralregierung, auch wenn der unlösbar erscheint. Derweil steht eine klare Position des katalanischen Regierungschefs Puigdemont, ob er die Unabhängigkeit ausgerufen hat, noch aus.

Von Burkhard Birke | 16.10.2017
    "Democracia" - Demokratie wird auf einem Plakat in der spanischen Küstenstadt Sitges gefordert; Sitges liegt in der Comarca Garraf etwa 35 Kilometer südwestlich von Barcelona.
    "Democracia" - Demokratie wird auf einem Plakat in der spanischen Küstenstadt Sitges gefordert; Sitges liegt in der Comarca Garraf etwa 35 Kilometer südwestlich von Barcelona. (Deutschlandradio / Burkhard Birke)
    "Democracia": Demokratie wird gleich auf mehreren Banderolen über den malerischen Gassen von Sitges gefordert.
    Gemeint ist der Respekt für die Unabhängigkeitsentscheidung des Regionalparlaments, wie mir Unabhängigkeitsbefürworter erläutern. Ab und an taucht eine katalanische Fahne im Straßenbild auf. Der 30.000-Einwohner-Ort an der Küste ist aber alles andere als eine Hochburg des 'Katalanismus'.
    Im Seebad Sitges mit seinen 17 Stränden hört man alle erdenklichen Sprachen, am wenigsten jedoch Katalanisch, zumal wenn – wie in den letzten Tagen – das Fantasy-Filmfestival abgehalten wird. Von Wirtschaftseinbruch und Touristenschwund – wie angeblich in Barcelona – ist hier wenig zu spüren, meint Ladenbesitzerin Antonia:
    "Noch kommen die Besucher und wir müssen alles tun, damit das so bleibt. Wir sind doch offene Leute."
    Weniger, wenn es um die Unabhängigkeitsfrage geht.
    "Lassen wir das."
    Immer mehr Menschen meiden das Thema, das mittlerweile Familien und Freunde entzweit.
    "Unter Umständen könnte die Unabhängigkeit gut sein, aber es kommt auf die Umstände an. So wie die Dinge liefen, habe ich mit Nein gestimmt",
    bekennt sich indes Andenkenhändler Alberto Sala.
    "Die Unabhängigkeit ausrufen? Damit wir allein bleiben?",
    fragt der in Navarra geborene 85-jährige Jesus. Seine vier Kinder sind hier geboren und Katalanen:
    "Es gibt keine Lösung, aber das Problem muss irgendwie gelöst werden."
    Abstimmung für Unabhängigkeit aus Trotz und Verzweiflung
    Aus den Worten von Jesus spricht das Dilemma, vor dem Kataloniens Regierungschef Puigdemont steht. Bis 10 Uhr heute soll er erklären, ob er nun die Unabhängigkeit ausgerufen hat ja oder nein.
    "Er sollte ja sagen. Das schuldet er den Wählern, die beim Referendum abgestimmt haben",
    glaubt die für ihre 40 Jahre sehr jugendlich wirkende Mar Santacana. Mehr als zwei Millionen Wähler haben trotz der vom Verfassungsgericht für illegal erklärten Abstimmung für Unabhängigkeit gestimmt, viele aus Trotz und Verzweiflung.
    "Irgendetwas muss passieren, viele Leute befürworten mittlerweile die Unabhängigkeit, weil keine andere Lösung angeboten wird",
    argumentiert Xana. Die meisten ihrer Kommilitonen seien pro Unabhängigkeit, sagt die im Tourismus in Sitges arbeitende Studentin.
    Sie ist und fühlt sich als Katalanin, spricht Katalanisch zu Hause. Entscheidend ist ganz offensichtlich die Abstammung, wie ich auch bei einer Gruppe Jugendlichen am Dorfplatz in San Pere de Ribes, ein paar Kilometer landeinwärts von Sitges feststellen konnte.
    "Wir sind radikal: Entweder bist du Spanier oder Katalane – deshalb können wir nicht miteinander diskutieren, ich bin Katalane, aber nicht für Unabhängigkeit, ich bin Spanier und Katalane",
    sagt Joel. Seine Eltern und die seiner Freunde sind aus Andalusien eingewandert.
    "Es lebe der König, Spanien, das Gesetz und die Ordnung!", ruft er, zieht noch einmal an seinem Joint und braust mit dem Moped davon.
    Jugendliche in der katalonischen Stadt Sitges: Sie fühlen sich als Katalanen und Spanier, ihre Eltern sind aus Andalusien eingewandert.
    Jugendliche in der katalonischen Stadt Sitges: Sie fühlen sich als Katalanen und Spanier, ihre Eltern sind aus Andalusien eingewandert. (Deutschlandradio / Burkhard Birke)