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Unwetter-Katastrophe
Wie Sportvereine Hochwasser überleben können

Auch Sportvereine sind von der Flutkatastrophe im Westen stark betroffen. Reithallen, Tennisplätze und Stadien hat das Hochwasser zerstört. Dass ein Wiederaufbau gelingen kann, zeigen Vereine aus Hochwassergebieten an Elbe und Oder. Sie haben versucht, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen.

Von Maximilian Rieger | 25.07.2021
Abgestürzte Teile einer Reithalle in Blessem. Blessem, 16.07.2021
Hochwasser in Erftstadt-Blessem (NRW): Häuser sind massiv unterspült worden und einige eingestürzt oder in eine nahe Kiesgrube gestürzt. (picture alliance / Geisler-Fotopress / Christoph Hardt)
Sie ist eines der Symbole für die Hochwasserkatastrophe im Westen: Die Reithalle in Erftstadt-Blessem. Sie ist eingestürzt, als die Erft sich in die nahe Kiesgrube ergossen hat und dabei das Land mitreißt. Das Dach der Halle hängt jetzt gerade so über der neuentstandenen Klippe.
Die Reithalle ist eine von vielen Sportstätten, die in NRW zerstört worden sind. 49 Schäden sind dem Landessportbund bis Donnerstag gemeldet worden, 21 davon sind wahrscheinlich Totalschäden.
"Das heißt, hier es geht nicht mehr nur darum, dass Wasser aufgekommen ist und Wasser abgezogen und Schäden verursacht hat, sondern praktisch das ganze Sportgelände ist zerstört", sagt Stefan Klett, Präsident des Landessportbundes NRW. "Und das ist natürlich die Existenz für den Sportverein, ohne die er einfach nicht agieren kann."

Schäden sind noch kaum abschätzbar

Und Klett betont: Viele Schäden seien dem LSB noch gar nicht bekannt. Auch das Innenministerium Rheinland-Pfalz schreibt auf Anfrage, dass es angesichts der katastrophalen Lage noch keinen Überblick über die Schäden gibt.
Hart getroffen hat es aber zum Beispiel die Sportvereine in Bad Neuenahr. Sowohl das Apollinarisstadion als auch das Ahrstadion sind überschwemmt worden. Auf Bildern ist zu sehen, wie der Schlamm zentimeterdick auf dem Gelände verteilt ist und wie das Wasser den Kunstrasen aufgerollt hat.

Nach Corona der nächste Schlag

Dabei waren die Fußball-Mannschaften der betroffenen Vereine gerade erst wieder auf den Platz zurückgekehrt – nach eineinhalb Jahren Pandemie.
"Jetzt kommt praktisch dieser schwere Schlag noch dazu, dass jetzt nicht nur die Ausübung des Sports auf dem Sportgelände nicht geht, sondern dass einfach das Sportgelände nicht mehr da ist", berichtet Klett. "Und das wirft natürlich die Struktur eines solchen Vereins noch einmal komplett aus dem Rahmen."

Erst Vereinsfeier, dann die Flut

Einer, der schlimme Überschwemmungen schon zweimal erlebt hat, ist Andre Kricke. Er ist Präsident des SV Eintracht Sermuth, einem Verein mit rund 400 Mitgliedern – direkt dort gelegen, wo sich die Zwickauer und die Freiburger Mulde vereinigen. Die Mulde ist einer der Nebenflüsse der Elbe, die 2002 stark ansteigen.
"Wir haben an dem Wochenende davor Vereinsfest gefeiert. Und in der Nacht, glaube ich, von Montag auf Dienstag wurde unser Vereinsgelände mit circa 2,5 Metern Wasserhöhe komplett überflutet", erzählt Kricke.

Hochwassermaßnahmen reichten nicht aus

Zwei Tage versuchen Helfer, die Sportanlage zu retten. Vergebens. Die Fußballer, gerade in die Bezirksliga aufgestiegen, können ein Jahr nur Freundschaftsspiele bestreiten. Nachbar-Vereine helfen beim Trainingsbetrieb.
Der Wiederaufbau beginnt schnell. 2,4 Millionen Euro Fördergelder fließen, vor allem von der Sächsischen Aufbaubank. Aber auch der DFB hilft. Zwei Jahre nach der Flut weiht der SV Eintracht Sermuth ein neues Vereinsgebäude ein – mit dicker Bodenplatte, damit es beim nächsten Hochwasser nicht aufschwimmt.
"Und wir haben an allen Eingängen Flutschotts angebracht, die leider aber nicht von der Höhe für das Hochwasser 2013 ausgereicht haben", sagt der Vereinspräsident. "Das wurde nach statistischen Berechnungen gemacht, hat man gesagt: 'Okay, die Schotts müssen auf 1,95 Meter gebaut werden.' So wurde das gemacht. Aber leider stieg das Wasser zehn Zentimeter höher, als es hätte sein dürfen."

Der größte Gegner: Schlamm

Und so läuft das Vereinsheim auch bei der Flut 2013 wieder voll, das Wasser zerstört vor allem die Technik im Erdgeschoss. Auch der Rasenplatz wird wieder überschwemmt. Einen Teil können Helfer retten. Der größte Gegner dabei: Nicht das Wasser, sondern der Schlamm.
Der Schlamm trocknet aus, wird knüppelhart und reißt dann wie Schollen auf", erklärt Kricke. "Und hakt sich natürlich, wenn die Grasnarbe unten drunter ist, richtig in die Grasnarbe rein, so dass, wenn er ausgehärtet ist, alles, was darunter ist, eigentlich kaputt ist."

Neues Hochwasserkonzept für den Ernstfall

Paradoxerweise dauert die Sanierung nach der zweiten Flut länger. Erst nach sechs Jahren in einem Provisorium ist die Sanierung 2019 abgeschlossen. Die Technik befindet sich jetzt im zweiten Stock, die Fußbodenheizung ist so gebaut, dass sie nach einem Hochwasser leichter zu säubern ist. Außerdem hat der Verein ein Hochwasserkonzept.
"Was passiert bei welchem Hochwasserstand? Was räumen wir aus? Welches Inventar ist als erstes zu retten? Welche Leute informieren wir?" - das sind Fragen, die nun geklärt sind.
Praktisches Beispiel: Im Konzept steht explizit drin, die bis zu 400 Euro teuren Innentüren auszuhängen. 2013 hatte während der sehr kurzen Evakuierungsphase niemand daran gedacht.

Vereine müssen möglicherweise umsiedeln

Dass die Sanierung so lange gedauert habe, habe an den komplexer werdenden Vorschriften gelegen, so der Vereinspräsident. Es sei aber auch überlegt worden, den Verein umzusiedeln. Dies hätte aber deutlich mehr Geld gekostet, als die Sanierung. Trotzdem hält es auch Stefan Klett vom Landessportbund NRW nicht für ausgeschlossen, dass manche Sportvereine umziehen müssen.
"Man muss halt tatsächlich sowohl mit Gebäuden, mit Sportanlagen, mit Industrie darüber nachdenken, ob bestimmte Orte in Kommunen noch geeignet sind, um dort wirklich Befestigungen durchzuführen oder entsprechende Bauten hinzusetzen. Das ist aber ein Grundsatzproblem, das ist eine Diskussion, an der muss sich der Sport gesellschaftlich beteiligen."

Der Sport bittet um finanzielle Hilfen

Kurzfristig sei für die Vereine aber vor allem wichtig, dass sie schnell entsprechende Hilfen erhielten, so Klett. Der DOSB und die Landessportbünde haben erste Soforthilfe-Fonds aufgesetzt. Die sind aber zu klein, um die immensen Schäden aufzufangen.
Denn die können dreistellige Millionensummen erreichen. Bei der Flut-Katastrophe 2013 sind zum Beispiel in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt mehr als 150 Millionen Euro Schaden an der Sport-Infrastruktur entstanden.
Die nun betroffenen Landessportbünde haben deswegen in einem Brief an die Bundesregierung appelliert, dass auch der Sport bei den millionenschweren Soforthilfe-Programmen des Bundes bedacht wird – und wollen sich bei den ostdeutschen Landessportbünden Rat holen. Damit der Wiederaufbau schnell voran geht.