Donnerstag, 25. April 2024

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Uraufführung "Der Weltverbesserer" vor 40 Jahren
Wutausbrüche, Hasstiraden, Lamentationen

Thomas Bernhards "Weltverbesserer" ist eigentlich ein schreckliches Stück über einen unverbesserlichen Misanthropen. Bei seiner Uraufführung am 6. September 1980, vor 40 Jahren, wird es dennoch zu einem tragisch-komischen Genus: Dank des großen Schauspielkünstlers Bernhard Minetti.

Von Cornelie Ueding | 06.09.2020
    Bernhard Minetti / Rollenbild 1973 in "Das letzte Band" von Samuel Beckett im Berliner Schiller- theater
    Dem Schauspieler Bernhard Minetti war "Der Weltverbesserer" auf den Leib geschrieben (picture-alliance / akg-images / Binder)
    Um es gleich vorweg zu sagen: Über den Inhalt des Traktats, für das dem "Weltverbesserer" die Ehrendoktorwürde verliehen wird, erfahren wir gar nichts. Dafür umso mehr über den Backstage-Bereich einer Geistesgröße internationalen Formats. Über zwei Stunden lang Welt- und Selbstbeschimpfung, tieftraurig, schreiend komisch.
    "Ich verdränge und verschweige nichts. Eine gute Verdauung und ein klarer Kopf. Es ist widerwärtig, sich produzieren zu müssen, aber wir brauchen das Echo, sonst verhungern wir."
    Trotz oder vielleicht gerade wegen dieser Schonungslosigkeit war die Bochumer Uraufführung des "Weltverbesserers" am 6. September 1980 in der Regie von Claus Peymann ein überwältigender Theaterabend. Und der alte Mann, der da von einem Sessel auf der Bühne herab wetterte, nörgelte, Befehle erteilte oder lamentierte, füllte den ganzen Raum aus. "Für Minetti – wen sonst" hatte Thomas Bernhard als Widmung dem Stück vorangestellt. Minetti sei ein "Geistestheaterkopf" und "Kopfclown", ein "Schauspielkünstler", der in allen Tonlagen "bis zur Brutalität genau" sei, von greinend-wehleidig über kalt fordernd. Bis hin zur Beleidigung der Zuschauer:
    "Wer sind denn diese Leute. Eine Ungeheuerlichkeit! Habe ich dir nicht gesagt, dass ich keine fremden Menschen sehen kann! Mein ganzes Konzept ist vernichtet. Eine Tortur. Diese Leute verderben mir alles. Ich kann nicht mehr schlucken, ich will schlucken und kann nicht."
    Win-Win-Situation auf höchstem Niveau
    Strategisch gesehen war es eine Win-Win-Situation auf höchsten Niveau. Bernhard profitierte vom charismatischen Nimbus der Legende Minetti, der dazu verhalf, die oft sperrigen Stücke populär zu machen. Minetti konnte als Spezialist für unbequeme Texte seine Virtuosität ausspielen. Und Peymann als begeisterungsfähiger Machtmensch profitierte von beiden und half beiden, was auch der Kritiker Benjamin Henrichs hervorhob:
    "Was sie verbindet, ist ihr Extremismus, ihre Abneigung gegen alle Mittellagen, Privatheiten, Versöhnlichkeit."
    Minettis außergewöhnliche Präsenz
    Wie kam es, dass aus einer kargen Bühne - zwei Stühle, eine Wanduhr, eine Tür - ein magischer Raum werden konnte? Und aus dem gut zweistündigen Monolog eines durch und durch verbitterten und launenhaften alten Nörglers weder ein fürchterlicher noch ein feierlicher, sondern ein erhellender und faszinierender Abend? Das Geheimnis: Minettis außergewöhnliche körperliche und mentale Präsenz, wie Benjamin Henrichs in der "Zeit" schrieb:
    "Minettis Behendigkeit ist nicht nur Artistik, nicht nur ein absolut zuverlässiger Schutz gegen Sentimentalität. Minetti spielt keine Entwicklungen, keine Begründungen, keine Überhänge. Er setzt schroff und dabei mit größter Leichtigkeit. Hauptsache an Hauptsache, Höhepunkt neben Höhepunkt – er interpretiert nicht, er "musiziert"."
    Er klärt auf, er macht durchsichtig. Sein Geheimnis besteht aus Klarheiten, Entschiedenheiten und immer neuen Anläufen, den Rätseln, Ambivalenzen, dem Aberwitz des Lebens, seines Lebens, auf die Spur zu kommen. In aller Schonungslosigkeit.
    Das Alt-, Ängstlich- und Hässlich-Werden, die Todesangst gehört ebenso dazu wie die erbarmungslose Macht der Gewohnheit, dieser zermürbende, sinnlose und lächerliche Kampf um Anerkennung, Wichtigkeit, Bedeutung. Das ständige Oszillieren zwischen Höhenflug und Banalität – der ganze Mann ein Bühnengewitter:
    "Ich ersticke hier, ich ersticke. Aufmachen, aufmachen. Wir müssen weg von hier. Ich halte es in dieser Umgebung nicht mehr aus!"
    Minettis Traumrolle
    Der Rest ist Können. Können und Konsequenz. Minetti bekommt eine, seine Traumrolle. Minetti spielt Minetti. Allein, fast allein. Die Frau, die in 70 Vorstellungen des "Weltverbesserers" mit ihm auf der Bühne steht, Edith Heerdegen, bleibt auf beredte Art stumm. Er hat es nicht nötig, die anderen an die Wand zu spielen - die anderen gibt es nicht.
    Dialog, Zwiegespräch, Streit: Der Schauspielkünstler/Kunstschauspieler Minetti macht alles mit sich allein aus, ist selbst sein intimster Feind. Weltmachtpläne und panische Angst vor Zugluft. Heulend fordernd und weinerlich verzagt. Rebellierend, pathetisch aufgipfelnd und im nächsten Moment jämmerlich in sich zusammenfallend: Er durchläuft, wir durchlaufen, alle Stadien einer gleichermaßen elenden wie grandiosen Existenz.
    "Ich habe diese Leute immer gehasst. Ich weiß schon, warum ich die Universität schon nach einem halben Jahr verlassen habe. Jetzt rächen sie sich und zeichnen mich aus."
    Am Ende will er nur noch - seine Nudeln.