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Uraufführung des "Katzelmacher" vor 50 Jahren
Wie Gruppenzwang sich in Brutalität entlädt

Eine Gruppe junger Erwachsener führt ein gelangweiltes Vorstadtleben - bis ein Gastarbeiter ihren monotonen Alltag aufmischt. Es folgen Neid und Fremdenhass. Mit "Katzelmacher" gelang Regisseur Rainer Werner Fassbinder 1969 der Durchbruch. Vor allem seine Bildsprache sorgte für viel Diskussion.

Von Hartmut Goege | 08.10.2019
    Schauspieler aus dem Film "Katzelmacher" von Rainer Wernder Fassbinder, Hanna Schygulla, Harry Baer, Rudolf Waldemar Brem, Lilith Ungerer und Hannes Gromball stehen nebeneinander vor einer Wand
    Schauspieler aus dem Film "Katzelmacher": Für Regisseur Rainer Werner Fassbinder (nicht im Bild) war der Film sein Durchbruch (picture alliance/Everett Collection)
    "Mehr Geld zu haben, das wäre schon schön." "Man muss sich bescheiden, mit dem was ist." "Du hast mich doch lieb, im Herzen und so." "Aber das hat mit Geld nix zu tun." "Eine Liebe und so, das hat immer mit Geld was zum tun."
    Helga und Paul gehören zu einer Gruppe junger Erwachsener, die in tristen Hinterhöfen eines Münchner Vororts ein gelangweiltes Leben führen. Die Frauen träumen von Glück und Liebe, die Männer vom großen Geld. Mehr als diese Sehnsüchte bietet der monotone Alltag nicht. Doch als der Gastarbeiter Jorgos in ihrer Nachbarschaft einzieht, gerät das Gleichgewicht der Beziehungen in dieser engen Welt durcheinander. Weil seine Schüchternheit anziehend wirkt, vor allem auf Marie, gespielt von Hanna Schygulla, schlägt Jorgos bald der aggressive Neid und Fremdenhass der Männer entgegen. In Rainer Werner Fassbinders gesellschaftskritischem Film "Katzelmacher" geht es um Ausgrenzung, Vorurteile und die Angst vor dem Fremden.
    "Schau ihn an, wie der schaut." "Ein Ausländer!" "Jetzt kommt er schon her." "Suchst du da was?" "Was bist ‘n du für einer?" "Kannst nicht reden, wenn man Dich was fragt?"
    In seinem zweiten Spielfilm experimentierte Fassbinder bewusst mit monotonen, auf wenige Worte reduzierten Dialogen, um zu zeigen, wie Sprachlosigkeit und Gruppenzwang sich schließlich in Brutalität entladen. Am Ende eskaliert die Situation. Jorgos wird zusammengeschlagen, weil er ein Verhältnis mit Marie begonnen hat.
    "Das hat mal sein müssen, weil der hier rumläuft, wie wenn er hergehört. Der muss weg." "Eine Ordnung muss wieder her!"
    "Katzelmacher", am 8. Oktober 1969 auf der Mannheimer Filmwoche uraufgeführt, galt als unumstrittener Höhepunkt des Festivals und erhielt zahlreiche Auszeichnungen. Nach seinem ersten Spielfilm "Liebe ist kälter als der Tod" bedeutete "Katzelmacher" zweifellos den Durchbruch für den gerade 23-jährigen Filmemacher. Rainer Werner Fassbinder:
    "Das Wichtige für mich ist, diese Gesellschaft zu zeigen. Weil man am Verhalten diesem Menschen gegenüber zeigen kann, wie die Gesellschaft aufgebaut ist."
    Ein Bühnenstück als Vorlage
    Fassbinder selbst spielt den Griechen Jorgos, der als "Katzelmacher" tituliert wird: in Bayern und Österreich ein Schimpfwort für einen Gastarbeiter, der angeblich heimischen Frauen nachstellt. Vorlage war ein eigenes Bühnenstück, das Fassbinder ein Jahr zuvor für das Münchner Action-Theater in der Tradition kritischer Volksstücke inszeniert hatte – in Anlehnung an die Werke der Ingolstädter Schriftstellerin Marieluise Fleißer, der der Film auch gewidmet ist. Die Dialoge sind bayrisch gefärbt, eine verquere Satzstellung und doppelte Verneinungen werden von Fassbinder bis zum Manierismus gesteigert.
    "Was ist denn des da bei Euch? Der ‘Italiener‘, was soll denn das?" "Das ist kein Italiener nicht. Das ist ein Grieche von Griechenland." "Kein Italiener nicht?" "Nein"!"
    Das öde provinzielle Dasein findet in der strengen Form der Inszenierung seine Entsprechung. Der Film ist in Schwarzweiß gedreht. Die Kamera ist unbeweglich, frontale Szenen vor kahlen Wänden oder grauen Mauern werden in einer Einstellung festgehalten. Es gibt weder Schwenks noch Zooms. Viele zeitgenössische Kritiker sahen darin eine suggestive Wirkung, wie Leo Schönecker in der Zeitschrift film-dienst:
    "Die schonungslose Beobachtung der Objekte erscheint verstärkt durch den statischen Fixierpunkt der Kamera. Auch der eintönige, wechselnde Hintergrund versinnbildlicht barbarische Kälte und Leere, Verlassenheit und verlorene Sehnsucht nach selbsttäuschender Romantik und Geborgenheit."
    Andere empfanden diese Filmsprache als Tortur, wie der gleichaltrige Wim Wenders, der ein Jahr später seinen ersten Film herausbringen sollte. In der Zeitschrift "Filmkritik" notierte er:
    "Das Grauenvolle an diesem Film ist, dass er bis ins kleinste Detail lustlos ist. Die Schnitte sind wie ein missmutiges Wechseln vom ersten aufs zweite Programm am Samstagabend. Und dass alle Darsteller so verbissen schauen, liegt an dem verbissenen Schema, das sie am liebsten nur noch als Marionetten vorführen möchte."
    Der Beginn einer manischen Produktivität
    Aufgebrochen wird die strenge Form nur durch mehrere, sich wiederholende Kamerafahrten, unterlegt mit Klängen von Schuberts "Sehnsuchtswalzer", etwa wenn einzelne Protagonisten aus der Gruppe der Einheimischen Arm in Arm durch den Garagenhof promenieren, um gegenseitig ihr Dasein zu verklären:
    "Der meinige ist lieb!" "So?" "Wenn der mich anfasst, da spürt man schon was." "Das ist bei mir und dem meinen auch so!"
    Von Anfang an probierte Fassbinder völlig unterschiedliche Methoden des Filmemachens aus. "Katzelmacher" war eines seiner ungewöhnlichsten Experimente und der Beginn einer in der Geschichte des deutschen Films einzigartigen, fast manischen Produktivität. Bis zu seinem Tod 1982 sollte Rainer Werner Fassbinder noch fast 40 abendfüllende Spielfilme drehen.