Müller: Herr Rasch, sind Napster und Co. tatsächlich die Totengräber für die traditionelle Musikindustrie?
Rasch: Napster und Co. sind tatsächlich eine existentielle Herausforderung für die gesamte Musikindustrie. Da haben Sie recht.
Müller: Was kann man aus Ihrer Sicht dagegen tun?
Rasch: Gegen Napster wird zur Zeit ein Rechtsstreit in den USA geführt und wir sind zuversichtlich, dass unsere amerikanischen Kollegen dort letzten Endes obsiegen werden. Aber gegen andere Anbieter muss man eben auch mit vielfältigen verschiedenen Ansätzen vorgehen. Wir haben beispielsweise in Deutschland einen eigenen Ermittlungsdienst, der derartige rechtsverletzende Angebote aufspürt und dann bei den Providern dafür sorgt, dass diese Angebote gesperrt werden.
Müller: Wie groß ist denn die wirtschaftliche Dimension aus Ihren Berechnungen heraus?
Rasch: Das ist sehr schwer einzuschätzen, wie hoch die wirtschaftliche Dimension zur Zeit ist. Wir haben eine grobe Schätzung für das vergangene Jahr, dass wir in Deutschland einen Umsatzverlust - eigentlich Lizenzverlust - in Höhe von 140 Millionen Mark hatten. Aber viel größer ist im Grunde der strukturelle Schaden, der dort angerichtet wird. Es ist ja neben den aktuellen Verlusten, die dort gemacht werden, so, dass diese illegalen Angebote verhindern, dass legale Angebote erfolgreich sich etablieren können. In Ihrer Anmoderation war die Rede davon, dass jetzt die Industrie dazu übergehen würde - geregelt gegen Geld -, Angebote zum Download anzubieten. Das ist nicht ganz richtig, denn in Deutschland haben wir schon beispielsweise seit über drei Jahren ein derartiges Angebot. Das ist nur in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen worden, weil die Konkurrenz von kostenlosen Angeboten, die illegal sind - die Konkurrenz kann kein legales Angebot aufnehmen.
Müller: Hat denn die Musikindustrie diese Internetwelle verschlafen?
Rasch: Nein. Ich sagte ja, dass wir bereits vor drei Jahren mit der Deutschen Telekom ein Modell aufgesetzt haben. Vor drei Jahren hat in den Medien noch kein Mensch gewusst, was MP 3 ist. Ich weiß, dass wir damals mit Journalisten gesprochen haben, denen wir erklären mussten, was denn komprimierte Musikdateien sind. Also, unsere Industrie ist sehr früh dabeigewesen, das Internet zu nutzen als Plattform.
Müller: Wir hatten eben im Beitrag auch angesprochen, dass es einen laufenden Prozess gegen das Napster-Unternehmen in den USA gibt. Da gab es zunächst einmal ein Verbot, dann ist die Entscheidung wieder aufgehoben worden. Man weiß letztendlich ja nicht, wie diese Entscheidung ausgehen wird. Wäre es sinnvoll aus Ihrer Sicht, mit diesen Unternehmen, die diese Raubkopiensoftware anbieten, zu kooperieren?
Rasch: Mit Unternehmen wie Napster ist es aus meiner Sicht vollkommen ausgeschlossen, zu kooperieren. Das wäre so, als wenn man Selbstmord beginge aus Angst vor dem Tod, denn Napster ist ein System, das es nicht ermöglicht, dass die Berechtigten irgendwelche Erlöse erzielen können. Und es hängen ja schließlich eine ganze Reihe Personen da dran. Also, man stelle sich jetzt mal so anonym vor - das sind ja Urheberrechte: Da sind der Komponist, der Textdichter, die ausübenden Künstler, aber auch die ganzen Mitarbeiter der Plattenfirmen, letzten Endes ich selbst auch, die persönlich mit ihrem Verdienst davon abhängen, dass Musikaufnahmen auch bezahlt werden.
Müller: Nun sagen die Experten, die Beobachter Ihrer Branche, dass die Musikgiganten - ganz gleich, ob in Europa oder in den Vereinigten Staaten - diese Verluste bzw. Probleme hinnehmen können, verkraften können. Stimmt das?
Rasch: Zur Zeit ist es so, dass die Firmen das tatsächlich hinnehmen können. Das besagt aber nicht, dass das auf Dauer so ist. Wir sind ja erst am Anfang einer Entwicklung, die gesamte Onlinediskussion von Musik ist ja noch in den Kinderschuhen. Und da ist es natürlich ganz, ganz wichtig, dass dort die Weichen richtig gestellt werden. Im Internet werden wir demnächst auch ganz andere Bandbreiten zur Verfügung haben. Das ist aus technischer Sicht natürlich positiv auch für unsere Firmen, die ja sehr viel Plattformen etablieren wollen. Für die Piraten ist es natürlich auch positiv, weil dann die illegalen Angebote auch heruntergeladen werden können und weiterverbreitet werden können.
Müller: Herr Rasch, der prominente und renommierte Popmusiker David Bowie zum Beispiel sagt, dass diese Raubkopien letztendlich zur ,Demokratisierung des Musikgeschäfts' beitragen. Hat er da recht?
Rasch: Das weiß ich nicht, ob das so ist. David Bowie bietet ja selbst Downloads im Internet an und nimmt ja Geld dafür. Also, er selbst verhält sich ja anders. Im übrigen ist es immer so ein Schlagwort, dass das Internet selber zur Demokratisierung beitragen wird, zur Unabhängigkeit der Künstler von den Plattenfirmen. Daran glaube ich überhaupt nicht, denn eine Plattenfirma macht ja etwas anderes, als Platten zu pressen oder CD zu brennen, sondern da werden Aufnahmen produziert, Künstler aufgebaut und vor allem wird Marketing gemacht für die Künstler. Und wenn das alles ein Künstler selbst machen wollte - das brauchte er auch alles im Internet -, dann hätte er viel zu tun und könnte keine Musik mehr machen. Insofern glaube ich, dass es eine beratende Dienstleistungsfunktion - etwas, was wir jetzt 'Plattenfirmen' nennen, das nennt man später vielleicht 'Online-Musikfirmen' -, dass es die immer geben wird.
Müller: Nun gibt es ja, Herr Rasch - wir haben es eben auch berichtet -, viele Tauschbörsen im Internet - in Südamerika beispielsweise, in Osteuropa, freilich auch in den Vereinigten Staaten. Man wird nicht alle verbieten können; es wird sich weiter ausbreiten im Internet, dass Illegale raubkopieren. Welche Alternative haben Sie denn, wenn das so weitergeht?
Rasch: Wir brauchen tatsächlich neben den rechtlichen Behelfen auch technische Schutzmaßnahmen, denn - Sie haben vollkommen recht - wir haben viele Staaten, die da beteiligt sind. Soweit es Staaten wie die USA und europäische Staaten sind, da können wir rechtlich erfolgreich vorgehen. Aber in dem Moment, wo wir zum Beispiel Entwicklungsländer haben, die beteiligt sind, da wird es schon schwierig werden, dort auf rechtlichem Wege vorzugehen, weil einfach die rechtlichen Strukturen dort nicht so ausgeprägt sind. Aus diesem Grunde haben wir in Deutschland das so genannte Rights Protection System ins Gespräch gebracht, ein technisches System, das es ermöglicht, von Deutschland aus den Zugang zu ausländischen rechtsverletzenden Seiten im Internet sperren zu lassen.
Müller: Müssen Sie die CD-Preise senken?
Rasch: Wissen Sie, die Frage der Piraterie lässt sich niemals über eine Preiskampf lösen, denn die Konkurrenz mit einem kostenlosen Angebot kann man nicht durch Preiskämpfe gewinnen.
Müller: Was sagen Sie den jungen Rock- und Popbands - und von welcher Musikrichtung sie auch immer stammen -, die nur über das Internet und nur über diese illegalen Tauschbörsen groß geworden sind?
Rasch: Es gibt einige wenige Beispiele, die sind über das Internet groß geworden; übrigens nicht über die sogenannten ,Tauschbörsen', nicht über Napster und ähnlich Geschichten, sondern über die Plattform, indem sie freie Downloads angeboten haben. Das ist ein legitimer Weg, den jeder versuchen kann. Es gibt viele legale Angebote von unbekannten Künstlern im Netz, aber dadurch wird nicht ersetzt, dass diese Künstler auch irgendwann irgendwie leben müssen. Und Sie sehen ja auch - Sie haben es in Ihrem Beitrag erwähnt -, dass diese Künstler jetzt inzwischen Plattenverträge haben. Diese Verträge benötigen alle, um ihren Erlös zu bekommen.
Müller: Klemens Rasch war das vom Bundesverband der phonographischen Wirtschaft. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Hamburg.
Rasch: Auf Wiederhören.
Link: popkomm
Link: Interview als RealAudio