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Ursprünge der Umweltbewegung
Das rechte Grün

Naturschutz hat auch christlich-restaurative Wurzeln. Im 19. Jahrhundert wandten sich fromme Denker gegen die Ausbeutung von "Mutter Natur", gegen Fortschritt und Wirtschaftsliberalismus. Die Übergänge zum Völkischen sind fließend - bis heute.

Von Carsten Dippel | 02.08.2019
Mächtige Buchen stehen im Nationalpark Kellerwald-Edersee.
Der Wald - ein frühes Narrativ für die Verbindung von Umwelt - und Heimatschutz (picture-alliance / dpa / Nationalpark Kellerwald / Edersee)
"Eine Verwüstungsorgie ohnegleichen hat die Menschheit ergriffen, die 'Zivilisation' trägt die Züge entfesselter Mordsucht, und die Fülle der Erde verdorrt vor ihrem giftigen Anhauch."
Das sind Worte nicht aus der gegenwärtigen, vom drohenden Klimakollaps, dem Artensterben oder der Vermüllung der Meere geprägten Debatte – nein, diese Mahnung stammt vom Lebensphilosoph Ludwig Klages aus dem Jahr 1913.
Was Klages damals umtrieb, war die Sorge um eine Welt, die sich in den Jahrzehnten zuvor dramatisch verändert hatte. Die Schlote glühten, die Eisenbahn nahm Fahrt auf, Kanäle wurden angelegt, die Industrialisierung katapultierte eine über Jahrhunderte gleichförmig dahinfließende Welt in atemberaubender Geschwindigkeit in die Moderne. Mit allen Folgeerscheinungen.
Für viele Menschen des 19. Jahrhunderts war das eine Herausforderung, vergleichbar mit der Globalisierung heute. Und nicht wenige sahen, dass sich der Mensch immer mehr in die Natur einmischte, ihre Kräfte zu bändigen suchte, ja, Gottes Plan der Schöpfung torpedierte. Aus all dem speiste sich gegen Ende des 19., zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Gedanke, die Natur zu schützen und es formierten sich allerlei Vereine zum Schutz der Natur, der Heimat, der Vögel sowie die Lebensreformbewegung.
Über den "Umweltschutz", befand schon die 1862 verstorbene Schriftstellerin Henriette Hanke treffend:
"Bisher wussten wir nicht, was wir taten. Jetzt tun wir nicht, was wir wissen."
Ihre Protagonisten waren Förster, Naturwissenschaftler, Völkerkundler, Philosophen. Überwiegend Akademiker und zutiefst bürgerlich. Ihre Anliegen waren vielschichtig: Ökologie verband sich mit einer allgemeinen Kulturkritik, die sich etwa auch an neuer Architektur entzündete.
Doch die Quellen reichen viel weiter zurück. Peter Hersche ist Historiker an der Universität Bern. Er verortet die frühen Bestrebungen vor allem in einem katholisch restaurativen Milieu des frühen 19. Jahrhunderts. Zu ihnen zählten Leute wie Adam Müller, Friedrich Schlegel und Franz von Baader, allesamt Konvertiten. Sie wandten sich gegen die Ausbeutung der "Mutter Erde", gegen den Wirtschaftsliberalismus, der überhaupt erst Umweltzerstörung größeren Ausmaßes verursachte, so Hersche. Das Engagement der Katholiken war dabei vor allem sozialpolitisch gedacht, als Konsequenz aus den Herausforderungen des Wandels.
"Macht euch die Erde Untertan!", heißt es in der Genesis.
Peter Hersche sagt dazu: "Das war ja für viele ein Freibrief zur schrankenlosen Naturausbeutung. Ein Beispiel ist, dass man in vielen Regionen die Wälder zum Abholzen freigegeben hat. Schrankenloser Wirtschaftsliberalismus. Und dagegen haben sich diese restaurativen Katholiken gewandt. "
Christliche Agrarwirtschaft
In diese Kritik am technischen Fortschritt mischte sich ein Gedanke, der einen bemerkenswerten Gegensatz aufmachte.
Peter Herrsche erklärt ihn so: "Die haben die Agrarwirtschaft in den Vordergrund gestellt. Es gibt Aussagen: Das Gewerbe, den Handel, das wollen wir eigentlich nicht, das sei nicht christlich. Die einzig ehrliche Beschäftigung für Christen sei das Agrarische."
Hier schlägt sich eine Brücke in die Gegenwart. Uwe Puschner, Historiker an der FU Berlin, ist ein Spezialist für völkische Bewegungen.
Der alte Gegensatz von Stadt und Land erlebe im neo-völkischen Diskurs derzeit eine erstaunliche Renaissance. Ein Paradebeispiel dafür sei der thüringische AfD-Fraktionschef Björn Höcke. Höcke äußert in einem Interviewband:
"Dann haben wir immer noch die strategische Option der 'gallischen Dörfer'. Wenn alle Stricke reißen, ziehen wir uns, wie einst die tapfer-fröhlichen Gallier, in unsere ländlichen Refugien zurück. Und die neuen Römer, die in den verwahrlosten Städten residieren, können sich an den teutonischen Asterixen und Obelixen die Zähne ausbeißen."
Uwe Puschner: "Da wird eben auffallend, genau dieser Stadt-Land-Gegensatz und der Rückzug aufs Land und von dort aus die Erneuerung vorzunehmen bzw. von da aus in die Gesellschaft einzuwirken."
Deutschchristlicher und neuheidnischer Zweig
So sehr die Ursprünge des Naturschutzgedankens religiös konnotiert waren: Die spätere Natur- und Heimatschutzbewegung, mehrheitlich aus dem protestantischen Milieu kommend, bezog mit neuheidnischen Elementen auch dezidierte Gegenpositionen. Ludwig Klages ist hier ein prominentes Beispiel. Auch Sozialdemokraten engagierten sich ab 1905 bei den sogenannten "Naturfreunden". Sie zogen aus den Städten, gründeten Naturfreundehäuser, verbunden mit einer vehementen Kapitalismuskritik.
Der Gedanke, Natur und Heimat zu schützen, ein vom Komponisten Ernst Rudorff 1897 geprägter Begriff in einem reaktionär-romantischen Sinne, fand nicht zufällig in der aufkommenden völkischen Bewegung starken Widerhall. Rudorff selbst steht sinnbildlich dafür. Sein 1904 gegründeter "Bund Heimatschutz" verwehrte Frauen ebenso den Zutritt wie Juden.
Uwe Puschner sagt: "Ausgangspunkt sind die Vorstellungen von Heimat. Heimat ist durch Rasse, Blut und Boden bestimmt und deswegen gilt es, die Heimat zu schützen und damit auch die Natur zu schützen, die die Lebensgrundlage, das Fundament in diesen völkischen Vorstellungen war. "
Teile der völkischen Bewegung spalteten sich in einen deutschchristlichen und neuheidnischen Zweig auf, so Uwe Puschner. Im Neuheidentum sind die Naturvorstellungen besonders stark ausgeprägt, der Rückgriff auf eine für ursprünglich und rein gehaltene Natur, noch unbeeinflusst vom Menschen in seinem Raubau betreibenden Fortschrittsidealismus. So sehr ihre Protagonisten einst im Protestantismus verhaftet waren, den Rekurs auf die Bibel haben sie nicht mehr nötig. Ihre Naturvorstellung gleicht schon eher einer Naturreligion und es nimmt kein Wunder, dass sie gern im Freien rituelle Feiern zelebrierten. Die Übergänge zum Nationalismus waren fließend. Als grundsätzlich antimodern will Puschner diese Strömungen jedoch nicht verstanden wissen:
"Naturschützer und Heimatschützer reagieren auf die Entwicklungen der Moderne. Das heißt jedoch nicht, dass sie in die Vormoderne zurückwollten. Aber sie appellieren, sorgsam mit der Natur umzugehen. Bei dieser völkischen Klientel natürlich mit ideologischem Hintergrund."
Überhaupt, der Wald!
Viele dieser völkischen Vorstellungen von Natur-, Heimat- und Tierschutz werden schließlich vom Nationalsozialismus aufgegriffen. Nicht wenige ihrer Protagonisten hoffen auf die Verwirklichung ihrer Ideen. Im Reichsnaturschutzgesetz von 1935 etwa finden sich viele Elemente des Naturschutzgedankens aus den Frühphasen der Ökologiebewegung. Viele dieser Dinge seien jedoch kaum mehr als Feigenblätter gewesen, sagt Uwe Puschner: "Es ist eben eine Ideologie. Man muss sich immer die Realität ansehen. Der Wald wird verherrlicht. Gleichzeitig wird er als Nutzwald intensiv bearbeitet, weil man eben das Holz auch braucht. Also das muss immer unterschieden werden, was hier Inszenierung ist und wie Realität aussah."
Überhaupt, der Wald! Der von den Deutschen so geliebte Wald und - etwas allgemeiner - die Landschaft als Grundlage nationalen Selbstverständnisses, sei ein sehr erfolgreiches, im 19. Jahrhundert geprägtes Narrativ.
Uwe Puschner erklärt: "Das wird dann von diesen Völkischen rassisch aufgeladen und bekommt dadurch eine ganz besondere Sprengkraft. Es geht hier um einen inszenierten Wald als Heimat, als Ursprung der Deutschen, die sich auch als Waldvolk verstehen gegen die sogenannten Steppenvölker oder Wüstenvölker. Und da steckt dann automatisch der Antisemitismus drin und das machte es eben für die Völkischen so wichtig, eben diese Natur zu schützen als elementaren Grundbestandteil ihres Raumes. "
An die konservativen und teils religiös geprägten Ursprünge des Naturschutzgedankens erinnert in der heutigen Ökologiebewegung kaum noch etwas. Durch die personellen und ideologischen Verflechtungen mit dem Nationalsozialismus waren viele dieser Ideen zunächst diskreditiert. Zumal es nach dem Zweiten Weltkrieg – quer durch alle Parteien – um den Wiederaufbau eines zerstörten Landes ging.
Und doch wurde noch bis in die späten 70er Jahre Umweltschutz auch weiterhin vom bürgerlich-konservativen Milieu getragen. Der katholische Philosoph Robert Spaemann etwa steht dafür oder Herbert Gruhl, der mir seinem Bestseller "Ein Planet wird geplündert" für Aufsehen sorgte und Ökologie mit Bevölkerungspolitik verband.
Auf der anderen Seite war das linke Projekt immer ein Fortschrittsprojekt. Zwar fielen auch bei Karl Marx und August Bebel ein paar Sätze auf den Umweltschutzgedanken, doch die Linke habe das überhaupt nicht rezipiert, so Peter Hersche. Erst die Zäsur von 1968, die beginnende Antiatomkraftbewegung, die 70er Jahre mit ihren Ölkrisen verhalfen dem Gedanken des Umweltschutzes zu neuer Konjunktur. Das einst vorwiegend bürgerliche Anliegen wurde zum Thema einer bunten, linken, gesellschaftskritischen Strömung. Konservative Geister wie Spaemann oder Gruhl wurden zur Seite gedrängt.
Peter Hersche vermutet: "Ich glaube bei der Linken wird das unter den Tisch gewischt. Man möchte das nicht wahrhaben. Das würde ja die eigene Position bedrohen, wenn das ganze Gedankengut gar keine linker Ursprung ist, da fällt ja die Basis ihres Engagements dahin."