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Ursprüngliche Motivation des Zuwanderungsrechts verwässert

Doris Simon: Nächste Woche will der Bundeskanzler mit den Parteivorsitzenden von Koalition und Opposition über die strittigen Punkte beim Zuwanderungsrecht sprechen. Das wird nicht einfach. Auch nach dem Rückzug der Grünen aus den Verhandlungen hatte die jüngste Runde im Vermittlungsverfahren keine Einigung gebracht. Das 15-Punkte-Papier, das die Unionsverhandlungsführer vor den Verhandlungen beim Kanzler aufstellten, machte die Unterschiede eher noch deutlicher. Die Union hat sich darauf festgelegt, dass das Gesetz vor allem der Terrorbekämpfung dienen soll.

Moderation: Interview mit Marie-Luise Beck, Migrationsbeauftragte der Bundesregierung |
    Vier Jahre Debatte und jetzt? - Marie-Luise Beck ist die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung. Sie ist jetzt am Telefon. Ich grüße Sie!

    Marie-Luise Beck: Guten Morgen Frau Simon.

    Simon: Frau Beck, was bedeutet es denn für die Bundesrepublik, wenn es nun kein Zuwanderungsgesetz gibt?

    Beck: Wir werden damit die Möglichkeit, dass wir uns öffnen gegenüber einer Ökonomie, die inzwischen so globalisiert ist, dass sie ohne den Austausch von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen gar nicht leben kann, diesen Weg werden wir verstellt halten. Das war ja das eigentliche Motiv für dieses Gesetz. Man muss daran immer mal wieder erinnern, weil inzwischen ja das, was dieses Gesetz nun leisten soll, vollkommen ein anderes Gesicht bekommen hat.

    Simon: Sind Sie traurig, wenn dieses Gesetz nicht kommt?

    Beck: Ich bin traurig; das ist zu irrational. Ich ärgere mich darüber, dass wir drei oder vier Jahre Zeit verloren haben. Wir hatten ja nicht nur im Bereich Anwerbungsstopp eine Modernisierung vornehmen wollen. Wir waren ja auch dabei, zumindest Teile einer Integrationspolitik neu zu gestalten, in diesem Fall die Sprachkurse, wo wir die überholte Trennung zwischen Spätaussiedlern und anderen Migranten aufheben wollten. Das ist wichtig, weil in der Spätaussiedlerzuwanderung über 80% inzwischen russische mitwandernde Familienmitglieder sind. Also es wäre wirklich vernünftig gewesen, A diese Trennung aufzuheben und B jeden Neuzuwandernden gleich mit einem Sprachkurs zu begrüßen. All das ist jetzt dem Rotstift zum Opfer gefallen. Wir müssen neue Wege suchen. Wir sollten nicht einfach mehr Zeit verlieren.

    Simon: Das heißt Sie sagen dieses Gesetz, so wie es ist, das kann man auch vergessen, oder wie soll ich das interpretieren?

    Beck: Zumindest ist gegenüber der ursprünglichen Motivation nicht mehr sehr viel übrig geblieben. Die Arbeitsmigration habe ich eben genannt. Dort ist der Anwerbestopp geblieben und es gibt eine ganz minimale Öffnung gegenüber Höchstqualifizierten, die wir aber jetzt über die Anwerbestopp-Ausnahmeverordnung, die wir haben, auch so hätten hinkriegen können. Im Bereich Integration, also Sprachkurse, ist die ganze vorherige Intention faktisch in sich zusammengefallen. Jetzt soll es nicht mehr den Anspruch auf Kurse geben, sondern nur Sanktionen auch für die, die gar keinen Kurs erreichen konnten. Das ist schon relativ bitter. Im Bereich der Flüchtlinge ist noch offen, was es wirklich gegeben hätte. Es hat zeitweise Bereitschaft zu gegebenen Möglichkeiten von Seiten der Union gegeben. In Richtung Anerkennung nichtstaatlicher Verfolgung bei der geschlechtsspezifischen Anwendung gab es noch keine Einigung. Also es ist sehr dürftig, was wir im Augenblick im Netz haben.

    Simon: Wie beurteilen Sie denn, Frau Beck, die Chancen, dass sich Union und SPD kommende Woche doch noch einig werden, allein um nach vier Jahren Debatte nicht ganz ohne Ergebnis dazustehen?

    Beck: Ich bin da sehr skeptisch. Ich bin allerdings auch keine Hellseherin. Wir haben folgendes Problem: Anders als bei der Gesundheits- und bei Steuerreformen hat die Union nicht wirklich einen gesellschaftlichen Druck, Blockade aufzuheben, sondern sie kann mutwillig - und ich denke so ist es ja auch gewesen - uns an die Leine nehmen und durch die Republik ziehen, kommt das Gesetz, kommt es nicht. Es gibt immer eine "hidden Agenda", wollen wir weiterhin durch unsere Blockade auch diese Regierung an Erfolgen hindern. Also das Feld ist sehr unübersichtlich und es geht eben wirklich nur teilweise um die Sache und sehr stark um diese versteckte Agenda.

    Simon: Der Streit zuletzt geht ja vor allem über Sicherheitsfragen. Unter anderem gab es dort den Vorschlag der Koalition, die dann nachgegeben hatte, eine verschärfte Abschiebeanordnung für gefährliche Ausländer vorzulegen. Der Union wie gesagt geht das nicht weit genug. Hätte da die Koalition vielleicht noch zugeben sollen, um doch noch etwas zu retten?

    Beck: Auch das ist eine Diskussion, die zu großen Teilen vorgeschoben ist. Entweder die Union kennt das Ausländerrecht nicht, oder sie will es nicht kennen. Wir haben im September, also nach dem 11. September bei dem ersten Durchgang des Zuwanderungsgesetzes ein großes Terrorpaket geschnürt. Es ist alles da was man braucht. Es gibt die Möglichkeiten, diese Hassprediger auszuweisen nach dem §8 des Ausländerrechtes, diejenigen, die zu Gewalt aufrufen, diejenigen, die terroristische Vereinigungen unterstützen. Wieder einmal haben wir das Problem, dass ein vorhandenes Instrumentarium nicht genutzt wird, aber großes Geschrei gemacht wird, man müsse jetzt etwas Neues haben. Das schiebt nur Tätigkeit und Aktivität vor, hilft aber in der Sicherheit nicht weiter. Es gibt überhaupt keine Frage, dass unter den veränderten Bedingungen mit dieser terroristischen Bedrohung wir ein gutes Instrumentarium brauchen, um uns optimal zu schützen, aber das was da ist darf dann nicht noch einmal getoppt werden, so als wäre es gar nicht da.

    Simon: Frau Beck, Sie sagten eingangs, wir hätten das Gesetz gebraucht wegen der Zuwanderung, die wir auch in der derzeitigen wirtschaftlichen Krise brauchen. Falls das Gesetz jetzt nicht kommt, was passiert dann?

    Beck: Ja, es wird sich irgendwann die Realität ihren Weg suchen. Man konnte ja verfolgen, dass insbesondere die Wirtschaftsverbände und die Unternehmer die Union immer und immer wieder aufgefordert haben, in diesem Punkt Arbeitsmigration sich den modernen Gegebenheiten zu stellen. Es wird diese Kreise um Unternehmen und Institutionen nicht besonders erfreuen, dass die Union in diesen Bereichen blockiert. Ich sehe dann schon, dass irgendwann der Druck kommen wird, diese Frage wieder aufzunehmen. Realitäten bahnen sich immer ihren Weg.

    Simon: Ganz herzlichen Dank! - Das war Marie-Luise Beck, die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung. Auf Wiederhören!