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Ursprung moderner Alphabetschrift
Von Hieroglyphen zu Buchstaben

Vor etwa 4.000 Jahren trafen Ägypter und beduinische Kanaanäer friedlich aufeinander. Die Beduinen eigneten sich die ägyptischen Hieroglyphen an, veränderten aber deren Bedeutung. Damit haben sie den Ursprung des heutigen westlichen und des arabischen Alphabets entwickelt.

Von Barbara Weber | 18.07.2019
Viele Buchstaben purzeln aus einem Umschlag.
Unser westliches Alphabet hat seinen Ursprung in der kulturellen Peripherie des Sinai (b-fruchten | photocase.de)
Ägyptisches Museum der Universität Bonn. In einem 300 Quadratmeter großen Saal im barocken Koblenzer Tor können die Besucher rund 3.000 ägyptische Objekte bewundern:
"In der einen Vitrine sehen wir drei Objekte. Ein Original: Das ist ein Ring, der gold eingefasst ist und der drei alphabetische Buchstaben enthält."
Und den Namen des Besitzers preisgibt: Isched oder Jaaschiid, meint Ludwig Morenz, Professor für Ägyptologie an der Universität Bonn und Direktor des Museums.
"Und dann haben wir zwei 3-D-Ausdrucke von Objekten, die im Tempel von Serabit el Chadim aufgestellt waren."
Die ebenfalls mit Buchstaben versehen sind:
"Eine Sphinx, die sowohl ägyptische Hieroglyphen-Schrift als auch kanaanäische Alphabetschrift enthält und die Büste eines Kanaanäers, der bildlich wie ein Ägypter dargestellt ist aber der durch diese alphabetische Inschrift von nur drei Zeichen: TNT, eben durch den Eigennamen auf einer ägyptischen Plastik seine eigene kulturelle kanaanäische Identität aufgeprägt bekommt."
Ägypter und Kanaanäer in Zusammenarbeit
Seit etwa 1920 vor Christus war das Hochplateau im Sinai eine wichtige Abbaustätte für Kupfer und Türkis - ein Grund, warum Ägypter aus dem Niltal die beschwerliche Anreise auf sich nahmen. Sie stießen auf die Kanaanäer, eine Gruppe von Beduinenvölkern:
"Wir gehen davon aus, dass die Kanaanäer, wenn sie auf die ägyptischen Expeditionen trafen, angeheuert wurden, um die Versorgung zu gewährleisten einerseits."
So David Sabel, wissenschaftlicher Mitarbeiter, in der Abteilung für Ägyptologie an der Universität Bonn:
"Aber auch eben als Minenarbeiter, das können wir in den Minen selber nachweisen, die viele die alphabetischen Inschriften der Kanaanäer auch tragen."
"Und da sehen wir auch, dass in dem Rahmen Ökonomie eine gewisse Rolle gespielt hat, weil für die Beduinen die Arbeit für die Ägypter im Bergbau und diese Zusammenarbeit auch eine ökonomische Ressource waren", ergänzt Ludwig Morenz.
Beduiner entwickelten eigene Schrift
Und noch ein Aspekt ist den Wissenschaftlern wichtig: Abbildungen zeigen, dass die Beduinen von den Ägyptern mit Respekt behandelt wurden. Zu der Zeit hatten die Ägypter längst ihre eigene Hieroglyphenschrift entwickelt – vielleicht ein Ansporn für die Kanaanäer, ihre eigene Schrift zu kreieren. Die sollte nicht so kompliziert sein, wie die ägyptische Bilder- und Zeichenschrift. Zwar nutzten die Kanaanäer zunächst auch die ägyptischen Zeichen, aber sie bedeuteten etwas anderes, als die Zeichen zunächst suggerierten: Ein stilisierter Rinderkopf und ein Haus "bedeutet eben nicht Kuhstall", so Ludwig Morenz.
"Weil der Rinderkopf wirklich nur für den Lautwert Alef steht und das Haus nicht für Haus, sondern wirklich für B. Das ist dieser große Unterschied zwischen Bildern, Bildzeichen und reinen Buchstaben."
Und David Sabel ergänzt:
"Wenn man sich die komplette Entwicklung der Alphabetschrift ansieht, dann erkennen wir noch heute in unserem A den Kuhkopf. Wir nehmen ein normales großgeschriebenes A, drehen es um 180 Grad, da haben wir noch die spitze Schnauze und die zwei Hörner."
Über die genauen Gründe der Beduinen, eine eigene Schrift zu entwickeln, lässt sich nur spekulieren. Vielleicht wollten sie ihre Namen selber schreiben können, vielleicht den ihrer Götter. David Sabel:
"Diese Entwicklung zeigt, dass sich Kanaanäer und Ägypter auf Augenhöhe getroffen haben in einem friedlichen Kulturaustausch, der der Motor war für diese sehr wichtige, wenn nicht wichtigste kulturelle Entwicklung überhaupt aus der Mittelbronzezeit."
Ihre Forschungsergebnisse über diese bahnbrechende Entwicklung haben Ludwig Morenz und David Sabel in dem aktuell erschienen Buch "Sinai und die Alphabetschrift" veröffentlicht. Ein Lehrstück für Modernität sei diese Erfindung der Bronzezeit, sagt Professor Morenz und führt vier Gründe an:
"Erster Grund wäre der: Einfachheit kann besser sein als Komplexität. Zweiter Grund: Kulturkontakt kann ausgesprochen produktiv und gut sein. Dritter Grund ist der, dass die kulturelle Peripherie ausgesprochen kulturproduktiv wirken kann und bestimmte Entwicklungen nicht nur aus dem Zentrum kommen. Vierter Punkt ist dieses offene Spiel mit Möglichkeiten."
Ursprung moderner Alphabetschriften
Haben sich unsere modernen Schriften also aus der kanaanäischen herausgebildet?
"Klares ja, klares nein!"
Meint Prof. Ludwig Morenz.
"Weil wir ja heute noch Kulturen haben wie die Chinesische, wo dezidiert nicht alphabetisch geschrieben wird."
Aber klares ja:
"Weil wir tatsächlich zeigen können, eine lineare Kette, die tatsächlich in der kulturellen Peripherie des Sinai anfangend, die erste reine Alphabetschrift gebracht hat, die dann um 1500 vor Christus in die levantinische Stadtstaaten geschwappt ist, von dort aus weiter nach Byblos. Da ist eben das entstanden, was wir heute die phönizische Schrift nennen. Von der phönizischen Schrift aus geht es dann weiter in einer Gablung, dass nach Westen hin die griechische Schrift entstanden ist, und von der hängen alle unsere westlich modernen Schriften ab. Das geht über das Latein und dann eben deutsch, englisch, französisch, italienisch und so weiter und die östliche Kette ist über das aramäische. Und daran hängt zum Beispiel heute auch die arabische Alphabetschrift. Also insofern ein klares Ja, dass all unsere Alphabetschriften vor 4.000 Jahren in dieser kulturellen Peripherie im Südwest-Sinai ihren Ursprung genommen haben."