Dienstag, 30. April 2024

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Urteil des Bundesverfassungsgerichts im "Kopftuchstreit"

Engels: Die Karlsruher Verfassungsrichter urteilen heute im so genannten Kopftuchstreit. Es geht um die Klage der muslimischen Lehrerein Fereshta Ludin, die im Unterricht aus religiösen Gründen ein Kopftuch tragen will. Das hatten die baden-württembergischen Schulbehörden mit Verweis auf das Neutralitätsgebot in Schulen vor nunmehr fünf Jahren untersagt. Der Fall ging vor Gericht und er wuchs sich aus. Unterdessen liegt er beim Bundesverfassungsgericht und von den Karlsruher Richtern wird heute nichts weniger erwartet als ein Grundsatzurteil über den Umgang mit fremder Religiosität in Deutschland. Vor dem Urteil heute Vormittag wollen wir über die Wirkungen sprechen, die allein der Rechtsstreit schon jetzt in Deutschland entfaltet hat. Am Telefon dazu Nadeem Elyas, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland. Herr Elyas, sind Sie froh, dass heute wenigstens der Streit endlich zu Ende geht?

24.09.2003
    Elyas: Ja, da werden wir erleichtert sein, egal, wie es ausgeht. Die Debatte muss ein Ende nehmen, und das hat schon jetzt Auswirkungen auf das Zusammenleben zwischen Muslimen und Nichtmuslimen. Eine solch emotional geladene Debatte ist nicht im Sinne des sozialen Friedens.

    Engels: Welche Folgen hat denn konkret dieser Streit in den muslimischen Gemeinden gehabt?

    Elyas: Die Folge war besonders für Schulamtsanwärterinnen, die verunsichert waren und nicht wussten, ob sie weitermachen dürfen, können oder nicht, ob sie dann mit Kopftuch unterrichten dürfen oder nicht. Es hat aber auch andere Auswirkungen und zwar nutzen manchen das Ganze in dem Sinne aus: wir werden hier sowieso nicht akzeptiert, wir gehören nicht zu dieser Gesellschaft, wir werden abgelehnt. Sie sehen sich darin bestärkt, dem wir die ganze Zeit entgegenzuwirken versuchen.

    Engels: Das heißt, das Kopftuch ist auch aufgrund des Prozesses innerhalb der islamischen Gemeinden nun auch ein stärkeres politisches Symbol geworden?

    Elyas: Ein sozialpolitisches Thema auf jeden Fall. Ein politisches Symbol ist das Kopftuch auf keinen Fall für die Muslime. Für sie ist das Alltag, ein Teil ihrer Identität. Die vielen Frauen, die das Kopftuch auf der Straße tragen, alte und junge Mädchen, tun das nicht als Zeichen einer politischen Gesinnung oder zum Zwecke der Missionierung, es gehört zum normalen Alltag.

    Engels: Aber mit dem Blick darauf, dass es ein Thema in den verschiedenen muslimischen Gemeinden war, ist es doch wahrscheinlich für viele Frauen unterdessen mehr als eine religiöse Privatsache, oder?

    Elyas: Ich glaube nicht, dass eine Frau jetzt das Kopftuch anlegt, nur um Präsenz zu zeigen oder politische Stärke zu demonstrieren. Das tut keine. Entweder ist man dafür oder dagegen und das fängt nicht gerade jetzt an, die Diskussionen um das Kopftuch liefen auch innerhalb der Gemeinden schon vor dieser öffentlichen Diskussion. Jedes Mal, wenn ein Streit in Frankreich oder woanders anfängt, oder wenn es um nichtmuslimische Besucher in den Moscheegemeinden geht, wird auch das Problem Kopftuch und ähnliche Probleme diskutiert.

    Engels: Von Ihrer Beobachtung her in den vergangenen Jahren, ist der Druck in den muslimischen Gemeinden zur Entscheidung für oder gegen ein Kopftuch für Frauen schwieriger als früher?

    Elyas: Die Meinungen sind sehr gespalten. Viele wollen eine klare Entscheidung haben. Natürlich gibt es Befürworter einer positiven Entscheidung in unserem Sinne, dass das erlaubt wird. Die anderen, die aus anderen Gründen, die in ihren Heimats- und Ursprungsländern zu suchen sind, wollen diese Debatte hier nach Deutschland bringen. Sie sehen sie in der Türkei, Tunesien oder woanders und glauben, dass das Kopftuch auch in Deutschland Symbol für oder gegen Kemalismus oder Islamisierung ist . Diese sind vehement dagegen. Nicht, weil das Grundrecht der Schüler und Eltern hier in Deutschland angetastet wird, sondern weil sie ihre politische Debatte hierher bringen wollen.

    Engels: Das heißt, auch durch diesen Rechtsstreit ist das Kopftuch in einen Kontext geraten, dass es, egal wie das Urteil ausfällt, nicht mehr in irgendeiner Form unbefangen getragen wird?

    Elyas: Nein, es ist so vielfältig und jeder bringt seine Erfahrungen und Meinungen und Tendenzen mit. Ein klares Wort wird uns alles erleichtern.

    Engels: Kommen wir noch einmal zum konkreten Urteil zurück. Sie haben gesagt, bei einem Kopftuchverbot im Unterricht entspräche das einem Berufsverbot für gläubige Muslime. Das klingt reichlich hart, denn das Kopftuch ist ja nicht Pflicht im Islam.

    Elyas: De facto kommt das einem Berufsverbot schon nahe, denn eine deutsche Muslime, die das Kopftuch als Teil ihrer Persönlichkeit und Identität ansieht und damit nicht missioniert oder provoziert, möchte auch ihrem Staat dienen, wie jede andere Deutsche. Der Zugang zu öffentlichen Ämtern steht jeder und jedem zu. Wenn dies damit verbunden wird, dass sie dann das Kopftuch ablegen muss oder auf das Amt verzichten soll, so ist das natürlich eine Einengung der Entfaltungsmöglichkeiten und der Berufsfreiheit der muslimischen Frauen hier in Deutschland. Von daher ist es schon ein hartes Vorgehen gegen die Muslime.

    Engels: Wir wissen nicht, wie das Urteil heute ausfällt, aber es wird viel darüber berichtet, dass möglicherweise ein Kompromiss gefällt wird, der da lauten könnte, dass in Grundschulen kein Kopftuch getragen werden darf, weil die Kinder dort noch sehr jung und beeinflussbar sind, in weiterführenden Schulen aber möglicherweise schon. Könnten Sie mit so einem Kompromiss leben?

    Elyas: Das wird nur begrenzt praktische Relevanz haben. Auch in Grundschulen gibt es Hausmeister, männliche Lehrer und Besucher. Wenn überhaupt, dann in Grundschulen in der Schulklasse selbst und dann mit gewissen Vorkehrungen. Das bleibt aber nur ein ganz begrenzter Bereich und gerade in den Grundschulen sind die Kinder so unbefangen. Sie nehmen das als Teil ihrer Umwelt wahr ohne irgendeine Aussage. Wir versuchen, durch solche Debatten manchmal das Ganze zu politisieren, wo es überhaupt nicht nötig ist.

    Engels: Vielen Dank. Wir sprachen mit Nadeem Elyas, dem Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio