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Urteil im Yukos-Prozess verschoben

Die für heute erwartete Urteilsverkündung im Strafprozess gegen den früheren Besitzer des russischen Ölkonzerns Yukos, Michail Chodorkowski, ist verschoben worden. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die den Prozess für die Europäische Union in Moskau beobachtet, vermutet, dass Staatspräsident Wladimir Putin vor dem Gipfeltreffen mit der EU keine hohe Haftstrafe verhängen wolle. Die rechtsstaatliche Entwicklung in Russland habe die russische Demokratie "weiter eingeschränkt" und müsse Europa mit "großer Sorge" erfüllen.

Von Stefan Heinlein |
    Heinlein: Finale im Fall Yukos. Heute war das Urteil gegen den einstigen Ölbaron Michail Chodorkowski geplant. Kurzfristig, so heißt es jetzt, wird der Richterspruch verschoben, doch die Ausgangslage ist klar: Zehn Jahre Haft fordert die Staatsanwaltschaft. Der vormals reichste Mann Russlands könnte so für lange Zeit hinter Gittern verschwinden. Der Vorwurf: Wirtschaftsbetrug und Bildung einer kriminellen Vereinigung. Tatsächlich aber geht es um mehr. Nicht nur in Russland vermuten viele einen Racheakt des Kremls. Chodorkowski hatte sich vor zwei Jahren offen gegen den Präsidenten gestellt und bei den Parlamentswahlen die Oppositionspartei massiv unterstützt. Das Urteil gegen Chodorkowski soll nun zeigen, wer tatsächlich die Macht in Händen hält. Am Telefon begrüße ich jetzt die ehemalige Bundesjustizminister Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, FDP. Sie war Prozessbeobachterin in Moskau im Auftrag der Europäischen Versammlung des Europarates. Frau Leutheusser-Schnarrenberger, das Urteil wird auf Mitte Mai verschoben, so heißt es jetzt. Haben Sie dafür eine Erklärung?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Das kann man nur vermuten. Es wird wohl nicht daran liegen, dass das Urteil noch nicht fertiggeschrieben ist, denn dann wäre das nicht so kurzfristig gestern Abend gekommen. Ich denke, dass eine Überlegung sein könnte, dass Putin vor dem Gipfeltreffen zwischen der Europäischen Union und Russland nicht so gerne eine hohe Haftstrafe für Chodorkowski hätte erklären müssen, und dass deshalb vielleicht Einfluss genommen wurde, die Verkündung zu verschieben. Aber es ist eine Spekulation.

    Heinlein: Zeigt also die internationale Kritik an diesem Prozess, an diesem Verfahren doch Wirkung im Kreml?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Ich glaube schon, dass diese Kritik nicht ganz spurlos am Kreml und an Putin vorbeigeht, denn der Vorwurf, dass hier Rechtstaatsstandards massiv verletzt worden sind und dass es ein doch politisch motiviertes Verfahren ist, ist für Russland nicht gut. Es schreckt Investoren ab, denn zeigt willkürliches Verhalten, und das ist nicht gut als Grundlage für Investitionen.

    Heinlein: Können Sie das noch mal aufschlüsseln? Warum ist dieses Verfahren ein politisch motivierter Prozess?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Chodorkowski hat in den Zeiten der wilden Privatisierung unter Präsident Jelzin genau das gemacht, was sehr viele anderen Oligarchen auch gemacht haben, das heißt, was damals war und nicht korrekt war, trifft eine Vielzahl von Oligarchen. Man hat aber ausgerechnet Chodorkowski und sein Yukoskonzern sich vorgeknöpft und den Konzern ja auch zerschlagen. Man hat ihn in einer wirklichen Nacht- und Nebelaktion vor anderthalb Jahren festgenommen. Es gibt massive Rechtsstandsverletzungen im Verfahren. Seine Anwälte werden abgehört, die Büros sind durchsucht worden, Akten beschlagnahmt worden, also alles das, was wir eigentlich kennen an Prozessverletzungen in autoritären Regimes. Chodorkowski hat keinen Hehl daraus gemacht, dass er politisch interessiert ist. Er hat Zivilgesellschaften mit Stiftungsgründungen unterstützt und hat auch politische Abgeordnete in der Duma in der Opposition unterstützt. Das alles zeigt, dass es kein normaler Fall wegen Betrug und Steuerhinterziehung ist.

    Heinlein: Und für sein politisches Engagement, für seine Opposition gegenüber dem Präsidenten bekommt er jetzt die Quittung?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Das spielt mit Sicherheit dabei eine Rolle, denn die Unabhängigkeit der Justiz in Russland ist nicht gewährleistet. Es wird zu Recht immer auch gerade von Kennern des Systems davon gesprochen, dass es die sogenannte " Telefonjustiz " sei, also ein Anruf aus einer Schaltzentrale genügt, um ein Urteil zu beeinflussen.

    Heinlein: Aber hat der russische Staat nicht das Recht, sich gegen die Oligarchen und ihren immer stärker werdenden Einfluss auf Politik und Gesellschaft in Russland zur Wehr zu setzen?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Die Oligarchen haben ja nicht den Einfluss auf Politik. Herr Chodorkowski hat versucht den zu haben, und man hat ihn jetzt dafür unter anderem ins Gefängnis gesteckt. Ich denke, dass Putin sich darüber klar sein muss, welche Bedingungen er für die wirtschaftliche Entwicklung in seinem Land schaffen will. Will er auch private Investitionen, besonders auch aus dem Ausland, mit in sein Land hineinlocken, will er dafür werben, dann braucht es stabile Grundlagen, dann müssen sich Unternehmen, welche auch immer es sind, darauf verlassen können, dass nach Recht und Gesetz verfahren wird. Wenn es Steuerhinterziehungen gibt, muss man dagegen vorgehen, und dann müssen die Steuern nachgefordert werden, aber ich kann mir kein Steuerverfahren vorstellen, wo die Summe der Nachforderungen den Wert eines Milliardenkonzerns um das Anderthalbfache überschreitet.

    Heinlein: Muss Deutschland, muss auch Europa stärker darauf achten, dass Rechtsstaatlichkeit und Demokratie - und diese Werte wurden ja von Putin in seiner Rede zur Lage der Nation beschworen - besser und stärker eingehalten werden?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Das ist eine Aufgabe der Europäischen Union und des Europarates, und die Erklärungen von Putin entbehren ja leider der Realität, denn die Tatsachen in Russland sprechen ganz klar dagegen. Mit Gesetzesänderungen hat er eben die Demokratie weiter eingeschränkt, das Wahl einseitig verändert, so dass kein unabhängiger Abgeordneter mehr in der Duma sein wird. Von daher muss das von der Europäischen Union und dem Europarat eingefordert werden, denn die Entwicklung in Russland in diesen Bereichen muss uns mit großer Sorge erfüllen.

    Heinlein: Aber im Moment sieht es so aus, als ob von deutscher und europäischer Seite die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, der Menschenrechte auf dem Altar der Wirtschaftsinteressen geopfert werden.

    Leutheusser-Schnarrenberger: Das kritisiere ich auch massiv. Das ist besonders der deutsche Bundeskanzler, der das auch ganz offenkundig macht, inzwischen auch zum Ärger der eigenen Partei. Ich weiß, dass es in der Europäischen Union auch andere Regierungschefs gibt, die die Entwicklung sehr kritisch sehen, das auch zum Ausdruck bringen. Das hat die französische Regierung auch schon gemacht, auch andere Regierungen, und ich denke, gerade diese klare Haltung des Europarates wird dazu führen, dass die Europäische Union auch an dieser massiven fundierten Kritik nicht vorbeigehen kann.

    Heinlein: Ich danke für das Gespräch.