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Urteil zum kirchlichen Arbeitsrecht
Keine Konfession, keine Stelle bei der Diakonie - die Entscheidung

Vera Egenberger hat sich auf eine Stelle der Diakonie beworben, gehört aber keiner Kirche an. Sie wurde abgelehnt und klagte wegen Diskriminierung. Mit Spannung wird das heutige Urteil des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt erwartet. Es könnte weitreichende Folgen für kirchlich Beschäftigte haben.

Von Henry Bernhard | 25.10.2018
    Logo an einem Haus der Diakonie in Deutschland.
    Logo an einem Haus der Diakonie in Deutschland. (imago / CHROMORANGE)
    Vera Egenberger, eine konfessionslose Sozialpädagogin, bewarb sich im Jahr 2012 beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung um eine befristete Referentenstelle. Es ging auf dieser Stelle um Fragen der Diskriminierung aus rassistischen Gründen. Nach eigenen Angaben war Vera Egenberger für die Stelle bestens qualifiziert und hatte entsprechende Berufserfahrung. Sie bekam den Job nicht, konnte ihn aus Sicht der Diakonie auch gar nicht bekommen, denn eine Voraussetzung für die Anstellung war laut Ausschreibung die Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche. Egenberger fühlte sich diskriminiert, da die Stelle eine reine Facharbeit beinhaltet habe. Sie hat aber nichts dagegen, dass die Kirchen grundsätzlich lieber Christen einstellen, sagt sie:
    "Da, wo es um verkündigungsnahe Tätigkeiten geht, habe ich überhaupt kein Problem damit. Und so ist die gesetzliche Vorgabe auf der europäischen Ebene auch gedacht gewesen; die finde ich sinnvoll und zielführend. Aber die Ausweitung dieses Kriteriums auf alle Stellen bei einem konfessionellen Träger in Deutschland – und das ist ein sehr deutsches Phänomen – halte ich für eine Ausweitung, die nicht mehr legitim ist."
    Eine Pflegerin legt einen Thrombose-Verband an.
    Altenpflegeschule bildet Pfleger aus (Jens Büttner / dpa)
    Fall beschäftigt auch den Europäischen Gerichtshof
    Vera Egenberger klagte vor dem Arbeitsgericht Berlin auf einen Schadenersatz von knapp 10.000 Euro. Sie bekam teilweise Recht und ein Fünftel der Summe zugesprochen. Vera Egenberger zog aber weiter vor das Landesarbeitsgericht Berlin. Das aber entschied im Sinne der Diakonie, wie Stephanie Rachor, Sprecherin des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt, erläutert:
    "Das Landesarbeitsgericht hat sich berufen auf die hergebrachte deutsche Rechtsprechung, das deutsche Verfassungsverständnis zum Selbstbestimmungsrecht der Kirchen. Und das bedeutet, dass die Kirchen und ihre Organisationen aufgrund ihres Selbstbestimmungsrechts frei bestimmen können, welche Anforderungen sie an ihre Arbeitnehmer stellen, mit Blick eben auf ihren Verkündigungsauftrag und dass diese Anforderungen, die die Kirchen stellen, auch von staatlichen Gerichten nur ganz eingeschränkt überprüft werden dürfen."
    Art 140 des Grundgesetzes sagt: "Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes."
    Die traditionelle Auslegung dieses noch aus der Weimarer Reichsverfassung übernommenen Grundsatzes konzentrierte sich auf den ersten Satzteil und gewährte den Kirchen eine weitgehende Autonomie. Auch und gerade wenn es um die Diskriminierung Konfessionsloser oder Wiederverheirateter ging. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht 2014 bestätigt. Das Bundesarbeitsgericht aber hat in beiden Fällen Zweifel an der Vereinbarkeit des deutschen mit dem europäischen Recht angemeldet. Dazu meint Gerichtssprecherin Stephanie Rachor:
    "Das deutsche Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz sieht für die Kirchen einen besonderen Tatbestand vor, wonach sie rechtfertigen können, wenn sie zum Beispiel die Religionszugehörigkeit als Anforderung stellen, räumt den Kirchen da eine weite Selbstbestimmung ein. Und für den 8. Senat des Bundesarbeitsgerichts, der hier die Vorlage an den EuGH gemacht hat, war unklar, ob das mit dem Unionsrecht im Einklang steht."
    Nicht jeder muss evangelisch sein
    Der Europäische Gerichtshof (EuGH) aber beschied dem Bundesarbeitsgericht in beiden Fällen, dass sich die Kirchen nach einer Entscheidung, wie der Ablehnung einer Bewerbung, eine gerichtliche Kontrolle gefallen lassen müssen und, so Rachor, "dass nach den Vorgaben der Richtlinie, also des europäischen Rechts, eine solche Anforderung – wie jetzt hier eine bestimmte Religionszugehörigkeit – notwendig und objektiv geboten sein muss mit Blick auf die in Rede stehende Tätigkeit oder die Umstände ihrer Ausübung".
    ©PHOTOPQR/L'EST REPUBLICAIN ; INSTITUTION - COUR DE JUSTICE DE L'UNION EUROPEENNE - CJUE - CURIA - COURT OF JUSTICE OF THE EUROPEAN UNION - LOI - LOIS - LEGISLATION EUROPEENNE. Luxembourg 24 novembre 2016. La Cour de justice de l'Union européenne et les drapeaux de tous les pays membres de l'Union Européenne. PHOTO Alexandre MARCHI. 161212 Since the establishment of the Court of Justice of the European Union in 1952, its mission has been to ensure that "the law is observed" "in the interpretation and application" of the Treaties. |
    Europäischer Gerichtshof (picture alliance / dpa / Alexandre Marchi)
    Die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft muss laut Europäischem Gerichtshof – so wörtlich – "eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung" für die Ausübung der Tätigkeit darstellen.
    Nun hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) im vergangenen Jahr die Loyalitätsansprüche an ihre Mitarbeiter bereits gelockert, wie der Sprecher der Diakonie Deutschland, Thomas Schiller, erläutert:
    "Nach der neuen Loyalitätsrichtlinie wird nur noch eine evangelische Kirchenmitgliedschaft für Mitarbeitende in der Verkündigung, der Seelsorge und in der Bildung erwartet. Schon Leitungskräfte müssen nicht mehr evangelisch sein, sondern es reicht, wenn sie einer Kirche angehören. Alle anderen können auch ohne Kirchenzugehörigkeit in der Diakonie arbeiten."
    Schon vor zehn Jahren – das sind die neuesten Zahlen – sei jeder sechste Mitarbeiter der Diakonie kein Christ gewesen. Im Fall von Vera Egenberger aber, die sich vor sechs Jahren erfolglos auf eine Stelle bei der Diakonie beworben hatte, würde auch heute die neue Toleranz nicht greifen, so Schiller:
    "Bei der Stelle von Frau Egenberger ist das so, dass da eine besondere evangelische Prägung notwendig war, um die Diakonie auch nach außen zu vertreten. Und das würden wir heute auch wieder tun."
    Gericht prügt Vereinbarkeit von deutschem mit europäischem Recht
    Das Bundesarbeitsgericht befasst sich heute auch mit der Frage, ob das deutsche Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz in solchen Fragen überhaupt mit dem europäischen Recht, der Gleichbehandlungsrichtlinie, vereinbar ist. Möglicherweise sei da das deutsche Recht zu tolerant gegenüber den Kirchen, so Stephanie Rachor. Dann müsste das Bundesarbeitsgericht das deutsche Recht ignorieren und direkt Gemeinschaftsrecht anwenden.
    Die heutige Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist also eine individuelle für Vera Egenberger, aber auch eine grundsätzliche für die arbeitsrechtliche Praxis der Kirchen. Egenberger erhofft sich einerseits eine Entschädigung für die entgangene Beschäftigung, aber auch etwas für den großen Arbeitsmarkt der Kirchen.
    Sie sagt: "Je nachdem, wie sich das entwickelt, kann das dazu führen, dass die Kirchen – sowohl die katholische Kirche wie auch die evangelische als auch die dazugehörigen Wohlfahrtsverbände – ihre Personalpolitik so nicht mehr weiterführen können."
    Deswegen behält sich die Diakonie auch den Gang zum Bundesverfassungsgericht vor, sollte das heutige Urteil negativ für sie ausfallen. Vermutlich im kommenden Frühjahr wird das Bundesarbeitsgericht auch den Fall des wiederverheirateten katholischen Chefarztes erneut verhandeln, für den nach einer Vorlage des Falles beim EuGH ebenfalls absehbar ist, dass er seine Stelle vermutlich behalten kann. An ihn hatte sein Arbeitgeber strengere Maßstäbe angelegt an an seine nicht-katholischen Kollegen. Ein Konflikt zwischen dem Europäischen Gerichtshof und dem Bundesverfassungsgericht scheint in der Luft zu liegen.