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Urvater der modernen Olympischen Spiele

Olympische Spiele wären in ihrer heutigen Gestalt für Pierre de Coubertin ein sehr gewöhnungsbedürftiges Fest. Der Gründervater hatte die Wettkämpfe Ende des 19. Jahrhunderts ausschließlich als Amateur- und Männerveranstaltung konzipiert.

Von Gerd Michalek | 01.01.2013
    Der in Paris geborene Adelssohn hatte die Sportbegeisterung von seiner Mutter geerbt. Weil er englische Bildungsschriften las und eigene Studienfahrten unternahm, war Pierre de Coubertin überzeugt: Sport ist viel mehr als bloßer Zeitvertreib. Über Coubertins wichtige England-Erfahrungen weiß Sporthistoriker Stefan Wassong:

    "Er kam immer sehr begeistert zurück, weil er festgestellt hat, dass dem Sport nicht nur gesundheitserzieherische Funktionen zugesprochen wurden, sondern auch sozial-erzieherische – wie Teamfähigkeit, Selbstdisziplin und Leistungsstreben."

    Coubertin faszinierten die sogenannten "Public Schools" – die exklusiven Privatschulen Englands und ihr Sportprogramm. Ihm missfiel, dass in Frankreich Sport sehr wenig zählte. Kein Wunder, dass Coubertin mit seinen von England inspirierten Publikationen wenig Gehör bei den Landsleuten fand. Daraufhin ging der freischaffende Autor erneut auf Studienreise: In den amerikanischen Hochschulen bestätigte sich der in England gewonnene Eindruck. Rückenwind bekam Coubertins Denken, als in den 1880ern die Antike durch eine Ausgrabungseuphorie wiederbelebt wurde. Dritter Impulsgeber war Coubertins enger Kontakt zur aufkommenden Friedensbewegung.

    "Erziehung muss ausgerichtet sein darauf, ein gegenseitiges Kennenlernen zu ermöglichen. Das heißt, man wollte unterschiedliche Nationen zusammenbringen, um gegenseitige Vorurteile abzubauen, da Vorurteile kriegstreibende Faktoren gewesen sind."

    Gerade Sport stiftet Völkerverständigung, so Coubertins Credo, das ihn internationale Sportfeste organisieren ließ. Er war indes nicht der Einzige, der versuchte, die Olympischen Spiele der Antike wiederzubeleben. Im Unterschied zu den zeitgenössischen englischen und griechischen Wiederbelebungsversuchen ging es ihm - so Sporthistoriker Wassong - um Erneuerung, nicht um bloße Nachahmung.

    "Sicherlich war neu der erzieherische Anspruch, neu war die Internationalisierung, die Unterstützung der Friedenserziehung. Wenn man das antike Beispiel heranzieht: Die frühen Spiele fanden alle vier Jahre in Olympia statt. Coubertin drängte darauf, sie an wechselnden Orten stattfinden zu lassen wegen der Friedensidee, um andere Länder und Kulturen vorstellen zu können."

    Obwohl Pierre de Coubertin kein offizielles politisches Amt bekleidete, gelang es dem Publizisten, das bis heute weltweit wichtigste Sportereignis ins Leben zu rufen. Die Olympischen Spiele der Neuzeit.

    Der Franzose war leidenschaftlich, fleißig und gut vernetzt. Schließlich hatte er englische und amerikanische Mitstreiter, die ihm 1894 halfen, seine Idee auf institutionelle Füße zu stellen. 13 Gründungsmitglieder riefen das Internationale Olympische Komitee ins Leben. 1896 folgte die Premiere der Spiele im griechischen Athen.

    Coubertin, der Erneuerer, blieb jedoch auch dem Zeitgeist verhaftet. Olympische Spiele sollten Männern vorbehalten sein.

    "Coubertin war deutlich gegen Frauensport und gegen die Teilnahme von Frauen an Olympischen Spielen, aber seine Auffassung ließ sich nicht konsequent durchhalten. So gab es 1900 und 1904 in Paris und St. Louis Demonstrationswettkämpfe im Golf, Tennis und Segeln."

    Bereits 1900 erlebte Coubertins Olympia-Projekt einen Rückschlag. Ausgerechnet in seiner Heimatstadt Paris wurden die Spiele durch den Organisationsrahmen der Weltausstellung in den Hintergrund gedrängt. Ähnlich ging es dem Sportbaron selbst. Ein Intimfeind wurde zum sportlichen Leiter des Olympia-Programmes ernannt - statt Coubertin. Sporthistoriker Karl Lennartz:

    "Man hat ihm lediglich gestattet, als Funktionär in der Leichtathletik tätig zu sein und ihm erlaubt, im Interesse der Veranstalter eine Auslandsreise zu machen, um in den Hauptstädten der Welt die Sportorganisatoren für die Olympischen Spiele, die sie ja irgendwie nicht waren, einzuladen. Coubertin hat diese Schmach ertragen müssen, hat 1931 seine Memoiren geschrieben und sich furchtbar gerächt, indem er hat die negativen Begleiterscheinungen der Spiele 1900 hochgespielt hat."

    Zu seiner Freude wurden die Olympischen Spiele 1912 als eigenständiges Sportereignis etabliert: In Stockholm schuf der Sporterzieher, dem es um die Einheit von Körper und Geist ging, einen Programmteil, den das antike Olympia nicht hatte.

    "Es gab olympische Kunstwettbewerbe, in denen auch es Preise gab für Literatur, Architektur. Diese Preise wurden auch ganz normal verliehen als olympische Goldmedaillen. Da gibt es ein Kuriosum. Pierre de Coubertin hat auch – unter einem Pseudonym - an dem olympischen Literaturwettbewerb teilgenommen und hat dazu ein Gedicht geschrieben, das heißt "Ode an den Sport" – und hat auch unter Pseudonym die olympische Goldmedaille gewonnen!"

    So Jörg Krieger von der Sporthochschule Köln. Die von Coubertin angeregten Kunstwettbewerbe hielten sich immerhin bis 1948 im Olympia-Programm - deutlich länger als die erfolgreiche Abwehr des IOC's gegen Frauensport. Spätestens in den 1920ern wurde die Weltfrauensportbewegung so stark, dass Coubertin und das IOC Zugeständnisse machen mussten. 1928 durften Frauen erstmals Leichtathletik im Olympia-Rahmen treiben. Was für beide Geschlechter zunehmend galt: Je mehr trainiert wurde, desto geschäftstüchtiger agierten die Sportler. Das Profizeitalter nahte. So musste sich die olympische Realgeschichte auch von Coubertins zweitem Eckpfeiler, dem Amateurgedanken, allmählich trennen, analysiert Stefan Wassong:

    "Man ist immer von einer idealisierten Sportwelt der Antike ausgegangen, das ist auch keine Scheinheiligkeit Coubertins. Dass es in der Antike keine Amateure gab, kam erst Ende der 1970er in der Forschung heraus."

    Endgültig trennte sich das IOC erst 1981 vom Amateurgedanken. Es ließ 1988 erstmals Profis wie das Basketball-Dream-Team der USA zu den Spielen zu, gut 50 Jahre nach Coubertins Tod am 2. September 1937.

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