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Urwald Bialowieza in Polen
EuGH soll abschließend über das Holzfällen urteilen

Die einstweilige Anordnung der EU, die Fällarbeiten bei Strafandrohung sofort zu stoppen, hat Wirkung gezeigt: Die riesigen Erntemaschinen sind offenbar aus dem polnischen Urwald Bialowieza verschwunden. Ein Schuldeingeständnis sei das laut polnischer Regierung aber nicht. Dort betrachtet man das Nichtstun als eigentliche Gefahr für den Wald.

Von Jan Pallokat | 12.12.2017
    Eine Gruppe von Öko-Aktivisten hockt verteilt über eine abgeholzte Fläche des Bialowieza-Waldes. Im Hintergrund stehen noch Bäume.
    Naturschützer protestieren gegen die Abholzung im Naturschutzgebiet Bialowieza (dpa / Jan A. Nicolas)
    Einmal, Anfang November war es, da kam die Auseinandersetzung um den Urwald Bialowieza in die Hauptstadt: Umweltaktivisten ketteten sich vor der Warschauer Forstverwaltung an, und es dauerte eine Weile, bis die Polizei die nötigen Werkzeuge hatte, um die Ordnung vor der Behörde wieder herzustellen.
    Es war eine neue Spielart einer eigentlich ritualisierten Auseinandersetzung: Monatelang kämpfen Staatsmacht und Umweltschützer im Urwald Bialowieza um jeden Baum, seit die nationalkonservative Regierung die Fällquote verdreifacht hat.
    Doch seit Ende November ist es ruhiger im Wald, und das liegt nicht am nasskalten Wetter. Nach der einstweiligen Anordnung der EU, die Fällarbeiten bei Strafandrohung sofort zu stoppen, haben Umweltschützer zwar noch ab und an Männer mit Sägen im Wald entdeckt, aber nicht mehr jene riesigen Erntemaschinen, Harvester genannt, die uralte Bäume abknicken können wie Streichhölzer.
    Keine Gründe, "Polen für irgendetwas zu bestrafen"
    Als Schuldeingeständnis will der zuständige Umwelt-Minister Szyszko das aber nicht verstanden wissen. Dieser Tage sagte er mit Blick auf das EUGH-Urteil.
    "Die Verhandlung wird endgültig sein, und bisher gibt es nicht die geringsten Gründe, Polen für irgendetwas zu bestrafen. Wir erfüllen zu 100 Prozent der Empfehlungen und Verpflichtungen der EU im Rahmen des Naturschutzprogramms Natura 2000 und bei der Umsetzung von Vogel- und Naturschutzrichtlinie Habitat."
    Der Bialowieza-Wald im tiefen Osten Polens ist in Teilen seit Urzeiten unberührt. Als einer der letzten Urwälder Europas, wohl der einzige größere im Flachland, schmückt ihn der Weltnaturerbe-Status der UNESCO.
    "Der Streit darüber, wie man mit dem Bialowieza-Urwald umgehen soll, schwelt seit den 90er Jahren. Es geht hin und her, und alle paar Jahre wird der Streit wiederbelebt."
    So der Botaniker Bogdan Jaroszewicz von der Uni Warschau.
    Und wer hat Recht?
    "Die Antwort hängt von der jeweiligen Sichtweise ab: Entweder betrachtet man den Wald als ein einzigartiges Naturobjekt, den am besten erhaltenen Urwald Europas. Dann kann man ihn nur schützen, in dem man die Eingriffe auf ein Minimum reduziert. Die andere Seite findet, dass Bialowieza einfach ein Wirtschaftswald ist, den man nutzen und gestalten sollte."
    Nichtstun als die eigentliche Gefahr für den Wald?
    Wie viele Bäume sie wirklich fällen ließ, ist zwischen Regierung und Umweltschützern umstritten – nicht aber, dass auch in Bereichen, in denen früher keine Bagger die Waldesruhe störten, geholzt wird – und das dem auch besonders geschützte über 100 Jahre alte Bäume zum Opfer fallen, was ein Team des ARD-Studios Warschau mit eigenen Augen überprüfen konnte.
    Die Regierung dagegen betont, Nichtstun sei die eigentliche Gefahr für den Wald: Der Borkenkäfer ist auf dem Vormarsch, und tatsächlich sieht man bei Rundgängen immer wieder befallende Bäume.
    Doch befällt der Schädling vor allem Fichten – die Bialowieza aber ist ein Mischwald. Die Lücken, die der Käfer reißt, könnten also andere Bäume füllen, argumentieren Umweltschützer wie Adam Bohdan:
    "Diesen Käfer gibt es seit Jahrtausenden im Wald, und der Wald ist immer mit ihm klargekommen, und so wird es auch bleiben. Er ist ein natürliches Element des Ökosystems, ein Ingenieur, der wunderbare Arbeit leistet beim Umbau des Waldbestands."
    Für das Umweltministerium ist hingegen der Mensch der wichtigste Ingenieur. Und wenn der EUGH das anders sieht, dann, so der Minister, werde er den Wald nicht mehr vor dem Käfer schützen können.