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US-Dollar gegen Wasser

Kanada ist eines der wasserreichsten Länder der Erde. Nach Schätzungen von Experten findet man im zweitgrößten Land der Welt über 20 Prozent des weltweiten Frischwasser-Vorrates. Die kanadische Zeitung Globe und Mail aus Toronto berichtete vor kurzem, dass die unzähligen kanadischen Seen und Flüsse sogar 40 Prozent der Weltreserven an "Aqua fresca" beinhalten. Auf der anderen Seite leidet der südliche Nachbar- die Vereinigten Staaten - an akuter Wasserknappheit. Vor allem der Mittlere Westen und die Pazifische Küste der USA sind von der wachsenden Dürre bedroht.

von Luba vom Felde | 21.12.2000
    Die Ursachen des akuten Wassermangels im Mittleren Westen der USA liegen nicht nur in der geographischen Lage und den Naturgegebenheiten dieses Teils des nordamerikanischen Kontinents. Kanadische Umweltexpertin Sandra Field:

    "Unsere südlichen Nachbarn bedienen sich untragbarer Praktiken in der Agrarwirtschaft - besonders im nördlichen Mittelwesten. Sie bebauten gutes Farmland an der Pazifik-Küste mit urbanen Zentren und verdrängten die Landwirtschaft nach Osten, in die trockenen Gebiete, wo ständige künstliche Bewässerung notwendig ist. Da sie in diesem Gebiet kaum Regen, Flüsse und Seen haben, pumpen sie das Grundwasser aus den unterirdischen natürlichen Reservoirs."

    Was passiert, wenn die unterirdischen Vorräte ausgeschöpft sind? Die Blicke der Amerikaner richten sich wieder mal nach Norden - nach Kanada.

    "Sollen wir mit militärischer Macht Kanada überfallen?", fragte in einem ironischen Artikel der amerikanische Bestseller-Autor Jim Hightower und führte fort: "Kanadier sind zwar liebe Leute, die haben aber etwas, was wir brauchen - und ich denke hier nicht an Hockey-Spieler. "Blaues Gold" nannten es die Journalisten. Doch es ist etwas viel teureres, weil: ohne Gold kann die Welt leben. Es ist Wasser, was Kanada hat und wofür schon heute einige Länder vielleicht auch töten könnten."

    Die reichen kanadischen Vorräte an Frischwasser weckten bei vielen Unternehmern Begehrlichkeiten und eine Vision von unbegrenztem Reichtum. Könnte Wasser aus Kanadas Natur nicht zu Gold gemacht, im großen Stil abgezapft und für viel Geld verkauft werden? Multinationale Korporationen sind schon bereit, Supertanker und Pipelines einzusetzen, Flussbetten zu ändern und Bergseen auszupumpen. Kanada könnte in der Zukunft zum größten Wasser-Exporteur der Welt, zum Wasser-OPEC werden. Die Ökologin Sandra Field lehnt die kanadische Hilfe für die trockene Gegenden nicht ab, warnt aber vor Gefahren, die der unkontrollierte Handel mit Wasser in sich birgt:

    "Das könnte extreme Umweltschäden für Kanadas Natur haben. Die Mehrzahl der kanadischen Seen, besonders im Norden, sind Gletscherseen, so wie die Grossen Seen auf der Grenzlinie zwischen Kanada und den USA. Sie werden durch Zuflüsse nicht ständig wieder aufgefüllt. Durch das Abpumpen würde der Wasserspiegel einzelner Seen sinken und das Wasser wurde für immer verschwinden. Kein Regen kann es je wieder zurückschaffen."

    Umweltschützer sprechen von gravierenden ökologischen Folgen, wenn riesige Mengen Wasser aus Kanadas Flüssen und Seen abgezapft werden. Unter anderem würden Fischbestände, Frischwasser-Deltas und Feuchtgebiete zerstört. Beim Export in großen Maßstäben müsste man Wasserreservoirs schaffen und das könnte ähnliche Konsequenzen haben, wie bereits die riesigen Hydrozentralen im Norden des Landes eingeleitet haben: wegen der spezifischen Bedingungen in Kanada würden die im Boden natürlicherweise vorhandene Methyl-Quecksilber- Verbindungen durch Bakterien aus dem Wasser in metallisches Quecksilber umgewandelt. Und das würde das Grundwasser vergiften.

    Aus Umweltgründen lehnen die Kanadier das Abpumpen von Wassermassen strikt ab. Derzeit ist ein Export-Moratorium in Kraft. Doch der Druck vom Außen steigt. Sogar die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat der kanadischen Regierung empfohlen, die Ausfuhr vom Wasser zuzulassen. Vor allem die USA, die mit ihren eigenen Ressourcen verschwenderisch umgehen, wollen die kanadischen anzapfen. Durch das nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA könnte Kanada gezwungen werden, den Export seines Wassers in die USA zu erlauben. Denn im NAFTA-Abkommen wird Wasser wie jede andere Handelsware betrachtet. Sandra Field findet das nicht richtig:

    "Es ist nicht richtig, das Wasser aus den kanadischen Seen und Flüssen abzupumpen und es in die Vereinigten Staaten zu exportieren. Besonders wenn wir die amerikanischen Bewässerungspraktiken in Betracht ziehen. Eine Menge von kostbarem Wasser dient der Bewässerung von Golfplätzen und Schwimmbäder in der Wüste im Südwesten. Hier haben sich auch viele Ackerbaubetriebe konzentriert- zur Zeit fast 80 Prozent der amerikanischen landwirtschaftlichen Produktion. Und das in einem Gebiet, wo es kein Wasser gibt, wo das unterirdisches Wasserreservoir Ogalala ausgepumpt wird. Das ist untragbar!"

    Wenn die Dürre in den USA schlimmer wird und der Wassermangel immer größer, wird der Export der kostbaren Ware aus dem Norden unumgänglich. Kanada könnte dann auch aus ethischen Gründen die Wasserausfuhr nicht verweigern. Bei tragbaren Mengen und sinnvollem Verbrauch wird kaum jemand protestieren. Wenn aber die kanadischen Seen und Flüsse aussterben sollten nur deswegen, damit auf den Golfplätzen in Las Vegas Wasserfontänen spritzen, ist der Konflikt vorprogrammiert. Der Kampf um kanadisches Wasser hat gerade erst angefangen, aber man spricht bereits von einem Wasserkrieg.