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US-Fotograf Jerry Schatzberg
"Es ist meine Interpretation von Dylan"

Der US-Regisseur und Fotograf Jerry Schatzberg hat den Wendepunkt Bob Dylans Mitte der 60er-Jahre in Bildern festgehalten – und damit eine neue Facette des Folk-Stars gezeigt. "Er hat eine großartige Persönlichkeit, die man erleben darf, wenn er Dir vertraut und sich öffnet", sagte Schatzberg im Dlf.

Jerry Schatzberg im Corsogespräch mit Adalbert Siniawski |
    Das Schwarz-weiß-Foto zeigt Bob Dylan mit Wuschelfrisur und weißem Schal in einer leeren Straße in New York 1966
    Bob Dylan 1966: Das Foto schoss Jerry Schatzberg für die US-Wochenzeitschrift "The Saturday Evening Post" (Jerry Schatzberg / Prestel Verlag)
    Adalbert Siniawski: Jerry Schatzberg, Mitte der 60er Jahre war Bob Dylan ein Folk-Star - aber vielen Fans gefiel es nicht, dass er auf einmal zur elektrischen Gitarre griff. Ihm war das aber herzlich egal. Ist das ein Grund, warum Sie auf ihn aufmerksam wurden?
    Jerry Schatzberg: Tatsächlich hatte er gerade auf dem Newport Folk Festival gespielt, als ich ihn kennenlernte. Vorher hatte ich lange nicht gewusst, wer Bob Dylan eigentlich ist. Aber zwei Freunde von mir sagten mir immer wieder: "Du musst Dir Bob Dylan anhören." Das tat ich dann irgendwann und verliebte mich sofort in ihn. Bald darauf war ich dann mit Rockjournalist Al Aronowitz in meinem Studio. Er und ein DJ sprachen über Dylan, den sie am Vorabend im Konzert erlebt hatten. Sie waren mit ihm befreundet. "Wenn Ihr ihn seht, sagt ihm, dass ich ihn gern fotografieren würde", sagte ich zu ihnen.
    Am nächsten Tag rief mich Dylans Frau an. Sie gab mir die Adresse des Studios, wo er gerade "Highway 61 Revisited" aufnahm. Ich kannte seine Frau schon, Jahre bevor sie ein aufstrebendes Model wurde. Sie und Nico von The Velvet Underground waren diejenigen gewesen, die mir in den Ohren gelegen hatten, Dylan anzuhören. Wie gesagt, als ich ihn dann hörte, haute es mich um. Als ich damals zum Studio ging, wusste ich, dass er auf dem Newport Folk Festival ausgebuht worden war. Aber es war ihm egal. "So mache ich es und dabei bleibe ich." Dann fotografierte ich ihn im Forrest Hill Stadium. Da gab es wieder Buh-Rufe. Aber er sagte wieder: "Ich mache es auf meine Weise, das ist mein Weg." So geschah es, und ich denke, er hatte Recht.
    "Die Bilder von ihm bedeuteten mir sehr viel"
    Siniawski: War Ihnen damals klar, dass es sich um einen Wendepunkt in seiner Karriere handelt?
    Schatzberg: Nein. Mir war nicht mal klar, dass es auch ein Wendepunkt in meiner Karriere war. Die Bilder von ihm bedeuteten mir sehr viel.
    Siniawski: In einem Interview sagten Sie einmal, dass Dylan das Beste war, was einem vor der Kamera passieren konnte, er sei für alles offen gewesen. Das überrascht, weil er gern Abstand zu den Medien hält. Seinen Nobelpreis für Literatur zum Beispiel hat Patti Smith an seiner Stelle entgegen genommen. Hatten Sie damals einen anderen Bob Dylan vor der Kamera?
    Schatzberg: Nun, es war ein Türöffner für mich, dass ich seine Frau und Al Aronowitz kannte, mit dem er befreundet war. Ich habe ihn auch anders erlebt: Im Umgang mit Journalisten und auch Fotografen konnte er schwierig sein. Aus seiner Sicht machten sie ihre Hausaufgaben nicht und stellten schlechte Fragen, die niemanden interessierten. Ich erinnere mich noch gut an ein Interview mit Foto-Termin. Der Fotograf bat ihn mit seiner Brille zu posieren: "Könnten Sie die Brille in den Mund nehmen?". Bob verstand nicht, was er wollte. Darauf nahm der Fotograf den Bügel seiner Brille und versuchte ihn, ihm in den Mund zu stecken. Darauf Dylan: "Lutsch Du mir doch die Brille!" Es war manchmal schwierig mit ihm. Wir hingegen hatten nie Probleme. Wir waren eine Zeitlang eng befreundet…
    Hören Sie hier das Corsogespräch mit Jerry Schatzberg im englischen Originalton
    Siniawski: Sie wurden wirklich Freunde?
    Schatzberg: Ich war Teilhaber eines Clubs in New York. Dorthin kam er sehr oft. Zusammen zogen wir dann weiter und gingen zusammen etwas Essen oder so. Er mochte meine Fotos - das war der entscheidende Unterschied.
    "Er hat seinen eigenen Kopf"
    Siniawski: In Ihrem Fotoband sehen wir Dylan mit einem Telefon auf einer Leiter posieren, mit einem hölzernen Kreuz oder einem Baseball-Helm auf dem Kopf. Aber die meisten Bilder zeigen Dylan mit seinem Lockenschopf, einer Zigarette im Mundwinkel und den melancholischen Augen. Die Fotos sind aus der Distanz aufgenommen. Mussten Sie Dylan während der Aufnahmen sehr pushen, damit er aus sich herauskommt?
    Schatzberg: Nein, gar nicht. Wenn ich jemanden fotografiere, freunde ich mich gern mit ihm an. Ich möchte verstehen, wer diese Person ist. Bei Dylan ist mir das gelungen. Sie sehen zwei Sachen in meinen Bildern, über die ich nachgedacht habe: Wer ist Dylan und was würde er machen, wenn ich ihm zum Beispiel eine Trommel in die Hand gebe? Er hat seinen eigenen Kopf, seine eigene Art zu Denken. Und die Aufnahme auf der Leiter … ich konnte mir Dylan einfach nicht in einem Büro vorstellen. Ich habe mich also entschieden, dass er über der Welt thront, ganz oben auf der Leiter sitzt mit einem Telefon in der Hand - das ist sein Büro. Es ist meine Interpretation von Dylan - wer dieser Typ in meinen Augen ist.
    "Nichts ist vergleichbar mit seiner Musik oder seiner Poesie"
    Siniawski: In ihren Bildern wirkt er einsam, fast verloren.
    Schatzberg: Ich glaube, die meiste Zeit verbringt er mit sich selbst. Ich war gerade letzte Woche mit seinem Manager Mittagessen. Der erzählte mir, dass Dylan um die 100 Tage im Jahr unterwegs ist. Diesen Oktober habe ich eine Ausstellung in Frankreich und dachte mir: "Wäre es nicht toll, ihn dort zu treffen?" Obwohl ich wusste, dass die Antwort "Nein" sein würde, fragte ich, ob es die Möglichkeit dazu gäbe. Sein Manager sagte "Nein". Er unternimmt einfach nichts. Ich weiß nicht, ob er wirklich ein einsamer Mensch ist, aber er verbringt viel Zeit mit sich allein. Das ist unheimlich schade, weil er eine großartige Persönlichkeit hat, die man erleben darf, wenn er Dir vertraut und sich öffnet.
    Siniawski: Als Fotograf zeigen Sie Respekt für die Privatsphäre des Künstlers. Heute, im digitalen Zeitalter, ist das ungewöhnlich: Es gibt eine Flut von Bildern und Selfies, die um jeden Preis Aufmerksamkeit erzielen wollen. Was denken Sie von dieser Entwicklung?
    Schatzberg: Ich denke nicht viel darüber nach. Ich bin glücklich über die Freundschaft und die Bilder. Wissen Sie, es ist lustig: Dylan wollte immer Filme machen und fragte mich: "Wie bist Du ins Filmgeschäft eingestiegen?" Ich sagte ihm: "Ich hatte eine Idee, die ich umgesetzt habe. Leute mochte das, dann kam der nächste Film und so weiter. "Ja, aber wie hast Du gewusst, was Du tun musst - um vom Foto zum laufenden Bild zu kommen?" Meine Antwort war: "Ich habe neun oder zehn Werbefilme gedreht, danach wusste ich ein bisschen, wie es am Filmset abläuft." Darauf sagte er: "Denkst Du, ich sollte Werbefilme drehen?" "Nein, Bobby, das solltest Du wirklich nicht." Bob Dylan hat gemalt und andere Dinge gemacht. Aber nichts davon ist vergleichbar mit seiner Musik oder seiner Poesie.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Jerry Schatzberg, Jonathan Lethem: "Dylan / Schatzberg"
    Prestel Verlag München, 2018. 324 Seiten, 59 Euro.