Donnerstag, 28. März 2024

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US-Luftangriffe in Syrien
"Es ist eine Zäsur"

Der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich sieht den US-Angriff auf eine syrische Militärbasis kritisch. Er sagte im DLF, zukünftig müssten "alle einseitigen Schritte" in Syrien verhindert werden. Es müsse weiter auf eine diplomatische Lösung gedrängt werden - denn eine militärische gebe es nicht.

Rolf Mützenich im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 07.04.2017
    Abschuss einer US-Tomahawk-Rakete
    Abschuss einer US-Tomahawk-Rakete (Archivbild) (LT. CHRISTOPHER SENENKO / US NAVY / AFP)
    Tobias Armbrüster: Donald Trump wollte eigentlich möglichst wenig zu tun haben mit den Konflikten in der arabischen Welt. Den Krieg in Syrien, den hätte er wahrscheinlich am liebsten mit einem Deal beendet. Und jetzt das: In der vergangenen Nacht haben die USA mit 59 Marschflugkörpern einen syrischen Luftwaffenstützpunkt angegriffen. Es sollte eine Vergeltungsaktion sein für den mutmaßlichen Giftgas-Angriff am Dienstag auf eine Stadt in der Region Idlib. Ein Angriff, den die USA dem syrischen Präsidenten Assad anlasten.
    Mit diesem Angriff auf eine syrische Luftwaffenbasis haben die USA natürlich ein Zeichen gesetzt, ein deutliches Zeichen. Zum ersten Mal in diesem Konflikt haben sie bewusst ein Ziel der syrischen Armee ins Visier genommen. Bislang waren die Angriffe begrenzt auf Ziele des sogenannten Islamischen Staates und anderer Dschihadisten-Gruppen.
    Wir können diese Entwicklung in Syrien nun eingehend besprechen mit Rolf Mützenich, SPD-Fraktionsvize im Deutschen Bundestag und dort im Fraktionsvorstand zuständig für die Außenpolitik. Schönen guten Tag, Herr Mützenich.
    Rolf Mützenich: Guten Tag, Herr Armbrüster.
    "Es ist eine 180-Grad-Wende"
    Armbrüster: Herr Mützenich, dieser Angriff in der vergangenen Nacht, kam der für Sie überraschend?
    Mützenich: Ja, er kam für mich in dieser Kurzfristigkeit sehr überraschend. Es gab Diskussionen, offensichtlich insbesondere auch innenpolitisch motivierte Diskussionen in den USA. Aber genau wie Ihr Kollege aus den USA berichtet hat: Es ist eine 180-Grad-Wende und insbesondere nicht das, was Präsident Trump seinen Wählern versprochen hat.
    Armbrüster: Warum nicht?
    Mützenich: Weil er insbesondere betont hat, dass mit seiner Präsidentschaft die USA sich nicht weiter verwickeln lassen, insbesondere im Nahen Osten. Und die Dinge, die insbesondere im Zusammenhang mit dem Islamischen Staat ja sehr vollmundig angekündigt gewesen waren, auch gegenüber dem US-Kongress, sind bis heute nicht umgesetzt.
    "Trump muss eine Koalition im Sicherheitsrat bilden"
    Armbrüster: War denn dieser Angriff Ihrer Meinung nach überfällig, nötig?
    Mützenich: Ich glaube, es geht jetzt insbesondere darum, alle weiteren einseitigen Schritte zu verhindern. Dieses erneute militärische Signal zeigt ja noch mal, es gibt keine militärische Lösung in Syrien. Weder wird Assad am Ende militärisch siegen mithilfe Russlands und des Iran, noch auf der anderen Seite Saudi-Arabien und andere beteiligte Länder wie auch die Türkei, die diesen Bürgerkrieg auch für ihre regionalpolitischen Interessen ausnutzt. Ich glaube, das ist, wenn man eine Konsequenz ziehen will, das. Und Präsident Trump hat jetzt die Chance, in den USA in direkten Gesprächen mit seinem chinesischen Kollegen und der Außenminister Tillerson nächste Woche Dienstag in Moskau zu versuchen, wirklich eine Koalition innerhalb des Sicherheitsrates zu bilden.
    Armbrüster: Höre ich das richtig, dass Sie ein bisschen auf Distanz gehen zur Bundeskanzlerin und auch zum Bundesaußenminister Sigmar Gabriel, die ja beide Unterstützung und durchaus auch Verständnis für diesen Luftangriff ausgesprochen haben?
    Mützenich: Es ist gut, dass die Bundeskanzlerin zusammen mit dem französischen Staatspräsidenten eine gemeinsame Erklärung gegeben hat. Eigentlich ist das ja ein Zeichen dafür, dass man Partner gerade in internationalen Krisen braucht und auch gemeinsam reagiert. Vielleicht wird das in der einen oder anderen Hauptstadt auch so gelesen, und das wünsche ich mir. Und Bundesaußenminister Gabriel hat ja nicht nur auf den Angriff reagiert, sondern er hat genau das deutlich gemacht, was ich eben gesagt habe: Es gibt keine militärische Lösung. Deutschland hat seit Jahren versucht, neben der humanitären Hilfe den politischen Prozess unter dem Dach der Vereinten Nationen voranzubringen, und genau darauf müssen wir jetzt drängen und das müssen wir auch deutlich machen.
    "Darauf verzichten, einseitige Schritte auch in der Zukunft zu gehen"
    Armbrüster: Müsste man dann nicht an diesem Freitagmittag sagen, das war ein Fehler, dieser Angriff?
    Mützenich: Es ist eine Zäsur. Es ist geschehen und man muss jetzt darauf schauen. Und ich sage das auch ganz offen: Ich hoffe nicht, dass es weitere Provokationen - weil wir haben so viele unterschiedliche Akteure in Syrien selbst - geben wird, die unabhängig von dem Leid der Menschen dort agieren: der Iran, die Türkei mit indirekten Waffenlieferungen, aber offensichtlich auch mit Truppen, Saudi-Arabien und viele andere Länder auch. Alles das ist hoch problematisch und muss auch in Washington mit bedacht werden.
    Armbrüster: Dann können wir zumindest festhalten, Sie wollen jetzt nicht unbedingt diesen Angriff ganz offen kritisieren. Können wir das so sagen?
    Mützenich: Ich will auf jeden Fall deutlich machen, wir müssen darauf verzichten, einseitige Schritte auch in der Zukunft zu gehen.
    Armbrüster: Jetzt ist in vielen dieser Unterstützungsbekundungen zu hören, dass Assad dafür verantwortlich ist, für diesen Angriff der vergangenen Nacht. Auch die Bundeskanzlerin hat das gesagt in diesem Statement, gemeinsam mit Präsident Hollande aus Frankreich. Ist dann nicht etwas problematisch, dass noch gar nicht geklärt ist, ob dieser Giftgas-Angriff vom vergangenen Dienstag überhaupt auf das Konto der syrischen Armee geht?
    Mützenich: Wir hätten es ja gerne geklärt und deswegen haben wir alle auch unterstützt, die im Sicherheitsrat eine Resolution versucht haben voranzubringen, wo den Institutionen insbesondere der Vereinten Nationen die Möglichkeit gegeben werden soll und muss, auch in Syrien zu untersuchen oder auch die Verletzten letztlich zu sprechen und zu untersuchen. Ich glaube, das wäre das richtige Zeichen gewesen und das muss jetzt erfolgen.
    "Trump muss jetzt auch China überzeugen"
    Armbrüster: Erfolgt aber nicht und stattdessen sehen wir uns wieder mal in einer Situation, wo man sich fragt, war es ein Giftgas-Angriff der syrischen Armee oder möglicherweise von jemandem anders. Viele fühlen sich da erinnert an das Jahr 2003, Stichwort Massenvernichtungswaffen, der Vorwurf gegenüber Saddam Hussein, der Einmarsch im Irak und alles, was darauf folgte.
    Mützenich: Es gibt immer Parallelen. Aber letztlich sind Entwicklungen auch singulär und sie haben auch unterschiedliche Ursachen. Deswegen kann man vergleichen. Aber wichtig ist einfach, dass es jetzt wirklich gelingt, auch Signale aufzunehmen. Gestern hatte zum Beispiel auch das russische Außenministerium gesagt, auch Assad darf nicht Grenzen überschreiten. Das war für mich zumindest ein Signal gewesen, dass man es noch mal versuchen soll. In der Tat: Ich bin natürlich auch frustriert darüber. Aber ich glaube, insbesondere Präsident Trump muss jetzt auch China überzeugen, gerade in diesen direkten Gesprächen, dass wir hier vor einem Eskalationspotenzial sind, was auch China langfristig betreffen wird, und das ist eine Chance, die er nicht vergehen lassen darf.
    Armbrüster: Was muss er den Chinesen sagen?
    Mützenich: Insbesondere, dass sie sich nicht weiter hinter Russland verstecken dürfen, dass sie eine aktive Rolle spielen. China ist stärker innerhalb der internationalen Politik. Es hat eine gewichtige Stimme und es muss sie letztlich auch einbringen. Es kann sich nicht nur im Hintergrund halten.
    "Wir müssen auf eine diplomatische Lösung drängen"
    Armbrüster: Wenn wir jetzt so viel die Diplomatie betonen, müssen wir dann nicht auch gleichzeitig festhalten, dass natürlich so ein Luftschlag, so eine militärische Intervention eine friedliche, eine diplomatische Lösung nicht unbedingt näher bringt, sondern eher in weitere Ferne rücken lässt?
    Mützenich: Ja, sie erschwert es, und der damalige Präsident Obama hat ja eine andere Konsequenz gezogen, indem er zwar auch rote Linien beschrieben hat, aber im Abwägungsprozess und auch in Diskussionen offensichtlich ja auch mit Russland damals ist es gelungen, zumindest einen größeren Teil chemischer Waffen unter internationaler Aufsicht aus Syrien herauszuholen. Wenn das jetzt nach dem Angriff möglicherweise auch klappt, wäre ja auch Deutschland wieder bereit, einen Großteil dieser chemischen Waffen hier in Deutschland mit unseren Kapazitäten zu vernichten. Dafür stehen wir, glaube ich, auch alle zur Verfügung, würden das auch unterstützen. Aber wir müssen auf eine diplomatische Lösung drängen und das Problem ist, dass es offensichtlich in der Vergangenheit immer wieder noch Regierungen gegeben hat, die an einen militärischen Erfolg glauben. Aber die gestrige Nacht hat gezeigt, das wird es nicht geben.
    Armbrüster: Wie groß sehen Sie denn die Wahrscheinlichkeit oder möglicherweise auch die Gefahr, dass weitere solche US-Luftschläge folgen?
    Mützenich: Insbesondere – und darauf habe ich hingewiesen -, wenn weitere Vorfälle sind. Ich habe sie Provokationen in dem Sinne genannt. Das hilft den Menschen vor Ort natürlich überhaupt nicht. Aber das wird ja auch heißen, es gibt Akteure – und das glaube ich -, die sehr genau kalkulieren und möglicherweise auch den einen oder anderen noch stärker verwickeln wollen in diesen Konflikt, und das ist sehr, sehr brenzlig auch für Europa.
    Armbrüster: Live hier bei uns in den "Informationen am Mittag" im Deutschlandfunk war das Rolf Mützenich, SPD-Außenpolitiker und SPD-Fraktionsvize im Deutschen Bundestag. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, heute Mittag hier zu uns ins Studio zu kommen.
    Mützenich: Danke für die Einladung, Herr Armbrüster.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.