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US-Musiker Grant-Lee Phillips
Am Puls von Americana

Er war die Stimme des hochgelobten Trios Grant Lee Buffalo, zudem der Town Troubadour in der TV-Serie "Gilmore Girls" und wagte mit 50 noch einen Ortswechsel: Nach 30 Jahren Los Angeles schreibt und singt Grant-Lee Phillips seine Americana-Songs jetzt in Nashville – erstmals für das aktuelle Album "The Narrows".

Von Jörg Feyer |
    Ein Gitarrist spielt auf einer Stahlsaiten-Akustikgitarre
    Ein Gitarrist spielt auf einer Stahlsaiten-Akustikgitarre (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
    Er war die Stimme von Grant Lee Buffalo.
    Musik: "Mockingbirds" - Grant Lee Buffalo
    30 Jahre lang gehörte Grant-Lee Phillips zu Los Angeles wie das Hollywood-Zeichen oben in den Hügeln. Oder wie er selbst sagt:
    "Those who are still there weren’t there when I first moved there. And those who where have gone, on to other places.”
    Die, die noch da sind, waren also noch nicht da, als er 1983 kam. Und die, die schon da schon waren, seien längst gegangen. Mit 50 ging dann auch der gebürtige Kalifornier, nach Nashville, wo gleich das aktuelle Album "The Narrows" entstand.
    Musik: "Tennessee Rain" - Grant-Lee Phillips
    Doch ob Tennessee oder Kalifornien. Ob mit Band oder solo oder als Town Troubadour in der TV-Serie "Gilmore Girls": Grant-Lee Phillips war und ist stets ganz nah dran: "Am Puls von Americana".
    Musik: "Moccasin Creek" - Grant-Lee Phillips
    "Auf meinem neuen Album gibt es den Song "Moccasin Creek". Betitelt nach dieser Gegend in Arkansas, wo mein Vater geboren wurde, mitten im Nichts, ohne Elektrizität und alles, was heute einfach da ist. Einen Teil des Flusses dort nannten sie "The Narrows". Weil das Wasser da plötzlich schneller und damit gefährlicher wird. Und ich dachte, das wäre doch eine gute Metapher für diese Phase in meinem Leben, die wir alle mal durchmachen müssen. Wenn es sich anfühlt, als ob der Strom immer schneller wird und wir einfach nur versuchen, irgendwie das Gleichgewicht zu halten. Um nicht unter Wasser gezogen zu werden. Das schien mir ein passender Titel zu sein. Aber der Song war zuerst da. Und irgendeinen Titel musste das Album ja haben. Es ist doch ein bisschen spät, um es nur nach mir zu benennen."
    Das kann man wohl sagen. Immerhin hat Grant-Lee Phillips schon vier Platten mit Grant Lee Buffalo gemacht, und "The Narrows" ist nun bereits seine achte als Solo-Künstler. Andererseits: Kollegen haben das ja auch schon getan, das fünfte Album einfach noch mal titellos mit dem eigenen Namen dekoriert, um quasi einen Neustart der Karriere zu suggerieren. Und fühlt sich ein Ortswechsel nach 30 Jahren nicht auch ein bisschen wie ein neues Leben an?
    Von Los Angeles nach Nashville
    Schon 2003 hatte Phillips über einen Umzug nach Tennessee nachgedacht. Damals pries der inzwischen verstorbene Gitarrist Duane Jarvis als Gastgeber die Vorzüge seiner Heimatstadt, anlässlich der Americana Musik-Konferenz in Nashville. Doch Kalifornien hinter sich zu lassen, war dann doch nicht ganz so einfach, für den 52-jährigen Musiker aus der beschaulichen Hafenstadt Stockton am San Joaquin River, den es mit 19 in den Moloch Los Angeles gezogen hatte.
    "In einer Stadt wie Los Angeles kann es etwas länger dauern, bis du dort verwurzelt bist. Und genauso kann es dann eine Aufgabe sein, dich wieder zu entwurzeln und die Stadt zu verlassen. Ich bin dort ohnehin schon länger geblieben als die meisten Leute, die ich kenne. Gerade für Musiker ist L.A. eine Durchgangsstation, wie eine Bushaltestelle. Oder es ist einfach der Ort, zu dem du nach einer Tour zurückkehrst. Da verlierst du schnell den Draht zu Freunden und Bekannten. Ich bin ja in Kalifornien eher ländlich aufgewachsen. Und Tennessee hat mich sehr an das erinnert, was ich schon immer am Landleben mochte. Als meine Frau und ich dann eine Tochter hatten, kamen diese Fragen: Wo würden wir sie am Liebsten groß werden sehen? Sie ist jetzt 7, und Nashville scheint da einfach genau der richtige Ort zu sein. Wir leben auch etwas außerhalb, nicht direkt auf dem Strip am Lower Broadway. Da willst du bestimmt kein Kind großziehen! Viele Musiker sind mit ihren Familien von den Küsten nach Nashville gezogen, weil es so verdammt teuer geworden ist, in L.A., New York oder San Francisco. Außerdem sind Musiker doch immer auf der Suche nach der Gemeinschaft Gleichgesinnter. Und die hat Nashville auch zu bieten."
    Musik: "Tennessee Rain" - Grant-Lee Phillips
    Er habe, sagt Grant-Lee Phillips, vorher nicht viel Zeit in Nashville verbracht. Das Übliche halt: Ein, zwei Tage zwischen Hotel und Club, das Konzert spielen, dann wieder weiter. Doch die Begegnung mit Duane Jarvis 2003 habe seine Perspektive verändert. Weil er Nashville erstmals auch mit den Augen eines Einheimischen sehen konnte.
    "Und ich dachte: Wow, ziemlich großartig hier! Mit diesem Sinn für die Gemeinschaft. Ich mochte die Häuser, die Bäume, die Landschaft drumherum. Und natürlich liebe ich auch die Musik, die ich damit assoziiere. Nicht diese Casino-Country-Musik aus den 1980er oder 90ern. Sondern das alte Zeug: Johnny Cash, George Jones, Willie Nelson, Patsy Cline. Ich bin damit groß geworden und hege wirklich ein zärtliches Gefühl dafür. Denn es brachte mich dazu, Gitarre zu spielen, weil ich einen Song von Merle Haggard lernen wollte. Oder "Orange Blossom Special". Bei uns zuhause lief das rauf und runter. Und dann natürlich die tollen Platten, die Neil Young oder Bob Dylan in Nashville aufgenommen haben. Für mich schwingt da definitiv auch viel Romantik mit, auch wenn viele Leute in dieser Hinsicht gewiss bitter enttäuscht wurden."
    Musik: "Fuzzy" - Grant Lee Buffalo
    "Fuzzy", der Titelsong des Debütalbums von Grant Lee Buffalo, 1993 von R.E.M.-Sänger Michael Stipe zu seinem "Album des Jahres" gekürt. Drei weitere sollten folgen, bevor Phillips sein Trio mit Paul Kimble und Joey Peters auflöste. Frustiert auch von den Zumutungen einer Plattenfirma, die im 20 Sekunden-pro-Song-Telefontestverfahren herausfinden wollte, welche neuen Stücke bei den Leuten vermeintlich ankommen und welche nicht.
    Die alte Band – der Zeit voraus?
    So blieben Grant Lee Buffalo Mitte der 1990er das, was Little Feat Mitte der 1970er gewesen waren: Eine der besten amerikanischen Bands, die aber – anders als R.E.M. - doch nicht den letzten Schritt zum ganz großen Publikum schaffte. Grant Lee Buffalo wurden einfach als eine von vielen Alternative-Bands wahrgenommen. Auch weil Grunge regierte: laute Gitarren, viel Wut, karierte Flanellhemden. Da wirkte das Trio zu subtil und ambivalent, mit seinen mythensatten Zwischentönen, die sich erst in der später eingeführten Schublade Americana sehr gut gemacht hätten. Vermutlich waren Grant Lee Buffalo ihrer Zeit voraus und würden heute als neue Band besser in die musikalische Landschaft passen.
    "Ja, das denke ich auch. Ich hab schon damals mit vertrauten Mitteln gearbeitet und das Rad nicht neu erfunden. Mit den Melodien und Texten sehe ich mich einfach als Teil dieser Tradition, die auf einen guten Song baut. Dazu kam die Kombination der Instrumente, mit akustischer Musik als Basis. Ich hab schon damals gern mal ein Banjo benutzt, und der fantastische Greg Leisz hat auf unseren Platten Pedal Steel-Gitarre gespielt. Ich wollte diese verschiedenen Elemente im Sound von Grant Lee Buffalo kombinieren. Die Country-Musik, mit der ich aufgewachsen bin, und die Punk-Haltung, die ich aufgesogen habe, nachdem ich 1983 nach Los Angeles umgezogen war. Wenn ich jetzt zurückschaue, war diese Synthese in L.A. in den 1980er-Jahren viel stärker. Verkörpert durch Bands wie X."
    Oder die Blasters.
    "Oder Typen wie Dwight Yoakam, der da plötzlich sein alternatives Country-Ding spielte. Bei mir kamen dann noch europäische Einflüsse dazu, die ganze englische Musik, die da reinspielte. Grant Lee Buffalo war einfach eine Band, die sich schwer festnageln ließ. Und dementsprechend von einer Plattenfirma auch schwer vermarktet werden konnte. Doch wenn ich heute einen dieser alten Songs spiele, neben meinen neuen, dann ergibt das alles Sinn für mich. Da ist eine Kontinuität zu spüren, nichts ist fehl am Platz. Ja, vielleicht hatten wir ein schlechtes Timing damals. Aber wer weiß das schon."
    Musik: "America Snoring" - Grant Lee Buffalo
    "America Snoring" und andere alte Songs spielten Grant Lee Buffalo auch noch mal bei einigen Reunion-Shows 2011 und 2012. Ein neues Album wurde zwar kein Thema, aber immerhin ging die Band wieder gemeinsam auf die Bühne.
    "Auch die anderen Beiden wollten einfach wissen, wie’s wohl wäre, wieder ein paar Shows zu spielen. Mit dem Wissen und der Sensibilität, die wir inzwischen als Musiker gesammelt haben. Und im Vertrauen darauf, dass die Chemie zwischen uns immer noch stimmt. Wir hoben quasi wieder die Augenlider, damit das alles wieder zu uns zurückkehren konnte. Und ich hatte schon das Gefühl, dass das auch passiert. Es waren wirklich gute Konzerte. Früher spielten wir ja einfach so drauflos. Da konnte es passieren, dass ich nach ein paar Shows meine Stimme verlor. Wir wussten damals halt noch nicht, in welchem Tempo wir es richtig angehen. Weder in der Musik noch im Leben überhaupt. Wir rannten einfach bis wir gegen die Wand knallten."
    Indianische Wurzeln
    Schon mit Grant Lee Buffalo war Phillips an Geschichte und Mythologie interessiert, auch an der Natur als elementarer Kraft. Diese Auseinandersetzung gewann an persönlicher Resonanz, als er sich 2013 auf dem Album "Walking In The Green Corn" mit seiner eigenen Herkunft als Native American beschäftigte. Phillips hat Vorfahren gleich in zwei Stämmen, den Cherokee und den Muscogee Creek. Im folgenden Stück ist er der alten Parabel von "The Straighten Outer" auf der Spur.
    Musik: "The Straighten Outer" - Grant-Lee Phillips
    "Ich stolperte über diese Geschichte, ein indianischer Mythos, der sich um eine Figur dreht, die sie "The Straighten Outer" nannten. Ein Typ, der überall da draußen zugange war, um jede kleinste Biegung oder Ecke irgendwie gerade zu bekommen. Egal, was es war, vielleicht sogar ein Fluss: Alles musste begradigt werden. Und das tun wir als Spezies ja auch. Wir widersetzen uns dem Organischen und ruinieren damit gerade den ganzen Planeten. Und ich dachte: Wow, hier ist diese uralte Geschichte. Die Figur ist eigentlich ein Clown, der die Leute zum Lachen bringt, und dazu, auf sich selbst zu schauen. Aber sie sagt auch sehr viel über uns heute, über die Herausforderungen, die vor uns liegen. All diese ganzen alten Mythen – wir sind gerade erst dabei, sie einzuholen."
    Musik: "Cry Cry" - Grant-Lee Phillips
    "Ich zog also nach Nashville und hatte einen Haufen neue Songs geschrieben. Kaum war ich dort angekommen, starb mein Vater. Er war schon länger krank, bevor es dann plötzlich doch sehr schnell ging. Noch ein einschneidendes Erlebnis, ähnlich wie der Umzug. Der größte Teil des neuen Albums war da bereits geschrieben. Aber ich kann jetzt aus der Distanz erkennen, dass ich da im Schreiben schon viel vorweggenommen habe. Manchmal weiß der Autor in uns schon vorher, was hinter der Kurve kommen soll, noch bevor wir bewusst eine Idee davon haben."
    Die Qualität einer Legende
    Phillips kannte nicht viele Musiker in Nashville, als er kam. Aber einer reicht eben manchmal auch schon, sofern dieser den richtigen Stammbaum und die entsprechenden Kontakte hat – so wie der Schlagzeuger Jerry Roe.
    "Jerry wuchs in Nashville auf. Sein Großvater ist Jerry Reed, der große Country-Musiker. Und sein Enkel sagte schon vor einiger Zeit zu mir: Wenn du mal eine Platte in Nashville machen willst - ich wäre dabei und ruf noch ein paar Freunde an, die bestimmt mitmachen. Aber er sagte auch: Also, leben willst du hier nicht! Als ich dann tatsächlich nach Nashville gezogen war, rief ich gleich an und sagte: Hey Jerry, hier bin ich! Ich habe nicht auf dich gehört, aber lass uns doch die Platte machen! Er stellte dann auch die Kontakte her, zum Studio von Dan Auerbach, zum Bassisten Lex Price, und zu Russ Pahl, eine echte Legende an der Pedal Steel-Gitarre. Russ kam ins Studio, ohne auch nur einen Ton von den Songs gehört zu haben, und spielte dann trotzdem diese wundervollen Sachen. Und das im ersten Anlauf. Verrückt!"
    Nun, in den Studios von Nashville arbeiten die Musiker ja gern mal ungeprobt, mit Arrangements aus dem Stand. Aber ein bisschen verrückt ist vielleicht schon, was Russ Pahl mit seiner Pedal Steel im folgenden Song anstellt. Es ist Phillips‘ Abschiedsgruss an Kalifornien und das große Erdbeben: "San Andreas Fault"
    Musik: Grant-Lee Phillips, "San Andreas Fault"
    "Songs kommen üblicherweise nicht linear zu dir. Mal hast du nur einen Titel, was bei mir nicht so oft der Fall ist. Oder irgendeine Zeile, die dann die Bridge wird oder der Refrain. Oder die erste Zeile des Songs. Und dann musst du dem nachgehen, bis langsam der ganze Song ins Blickfeld rückt. Was meistens erfordert, dass du dich sowohl darauf einlässt, als auch immer wieder Abstand nimmst. Es ist ein merkwürdiger Prozess, der für die Meisten von uns nur schwer zu erklären ist. Wie wir dahingekommen sind, wo wir jetzt sind."
    Musik: "Lilly-A-Passion" - Grant-Lee Phillips
    "Sie ist ihr eigener Song, vom falschen Ende des Flusses", singt Grant-Lee Phillips in "Lilly-A-Passion", ein Stück von seinem Solo-Album "Virginia Creeper" aus dem Jahre 2003. Viele verliebten sich aber erst in die leidenschaftliche Lilly, als Phillips sie als Town Troubadour der "Gilmore Girls" vorstellte. In 19 Folgen der TV-Serie spielte er bis 2007 den Straßensänger an der Ecke, vor einem Geschäft oder auch mal beim Überqueren einer Kreuzung. Ein schöner atmosphärischer und dramaturgischer Kniff, der Phillips nicht zuletzt ein ganz anderes, neues Publikum bescherte. Selbst in Hamburg warten am Abend ein paar jüngere Fans aufgeregt mit ihren Gilmore Girls-DVDs, um sich diese vom Town Troubadour persönlich signieren zu lassen.
    Erst kürzlich wurde nun bekannt, dass es demnächst eine Fortsetzung der Serie geben und wohl auch der Town Troubadour wieder seine Songs spielen wird. Die Neuauflage war allerdings noch nicht bestätigt, als ich mit Grant-Lee Phillips sprach.
    "Es war ein großer Spaß damals für mich. Auch die Chance, mal einen anderen Muskel in Schwung zu bringen. Und es war eine fantastische Möglichkeit, meine Arbeit vorzustellen. Vielleicht auch eine etwas merkwürdige. Aber durch die Rolle bin ich auf viele jüngere Leute getroffen, die quasi mit dieser Serie groß geworden sind."
    Cover-Kunst
    Neben eigenen Songs spielte Phillips für die "Gilmore Girls" auch gern mal ein Cover, wobei die Bandbreite von Cat Stevens‘ "Peace Train" bis zum Wham!-Hit "Wake Me Up Before You Go-Go" reichte. So bunt geht es auf Phillips‘ eigenem Cover-Album von 2006 nicht zu. Programmatisch "Nineteeneighties" betitelt, ist ihm eine schöne Hommage an die Künstler gelungen, die ihn als jungen Musiker in diesem Jahrzehnt besonders beeinflusst haben. Wozu neben etwa The Cure, den Pixies oder Echo & The Bunnymen auch Robyn Hitchcock gehört. Und der britische Gentleman-Exzentriker revanchierte sich quasi sogar: 2014 coverte er für sein Album "The Man Upstairs" einen Song von Phillips‘ Solo-Debüt "Ladies Love Oracles". Hier ist Robyn Hitchcock mit seiner Interpretation von "Don’t Look Down”".
    Musik: "Don’t Look Down" - Robyn Hitchcock
    Sehr schmeichelhaft, sagt der 52-jährige Phillips, sei das für ihn gewesen: einen alten Helden wie Robyn Hitchcock mit einem seiner Songs zu hören. Phillips hatte "Don’t Look Down" damals gerade geschrieben, als er Hitchcock den Song im Auto in Los Angeles vorspielte. Lebhaft erinnert sich Phillips an den kleinen Dialog mit dem Besucher aus Großbritannien. Und entpuppt sich dabei als ziemlich talentierter Stimmen-Imitator:
    "Grant, so what are you workin’ on? Well, I got this here thing, wanna hear it? Oh, yes, right! So, anyway. So we played it. And I guess he liked it enough to cover it. Pretty cool.”
    Als cool gelten die 1980er unter Sound-Ästheten heute ja nicht unbedingt. Letztlich bleibt es ein Rätsel, warum die eine Musik besser in die Jahre kommt als die andere. Weshalb Musiker, die mit dem Vorsatz antreten, "zeitlose" Musik erschaffen zu wollen, immer auch ein wenig putzig wirken. Der Konsens scheint jedenfalls zu sein, dass die Musik der 1970er generell besser altert als die aus den 80er-Jahren. Wobei dabei gern auf die unterschiedliche Produktionsästhetik verwiesen wird. Grant-Lee Phillips ist da unentschlossen.
    "Weiß nicht. Lustige Sache. Ich denke, wir tendieren dazu, sehr selektiv zu argumentieren. Natürlich gibt es großartige Musik aus den 70ern. Sie klingt in der Regel natürlicher, auch weil die Performance im Studio noch wichtiger war. Aber, Mann, es gibt da sicher jede Menge furchtbare Gegenbeispiele. Das Unglückliche ist, dass Musik oft sehr unter Moden leidet. Dann werden ein paar neue Studio-Spielzeuge für eine bestimmte Zeit hip. Ein neues Hall-Gerät oder eins, das komische Geräusche machen kann. Oder ein Sample, wie auf diesem Song von Asia."
    "Und dann muss es jeder haben. So wie jeder irgendwann mal einen kleinen Pferdeschwanz haben musste. Es ist dann interessant auf die Karriere eines Willie Nelson zurückzuschauen, der durch so viele Phasen gegangen ist. Der selbst ein Opfer des Nashville-Systems war, das ihn am Anfang nach seinen Vorstellungen formen wollte. Willie sollte fantastischer sein, als er ist! Also packen wir mal einen Engels-Chor und Streicher hinter seine Stimme. Dann hörst du diese Songs, wie er sie damals aufgenommen hat, und was er dann später daraus gemacht hat. Manche Songs können immer für sich bestehen. Und er auch. Es macht also eigentlich gar nichts aus. Manchmal tut es das aber schon. Und vermutlich werden wir nie die pure Version einiger seiner Songs aus den 1980ern hören. Aber vielleicht werden wir in 20 Jahren darauf zurückschauen und sagen: Hey, das ist ziemlich cool. So wie wir heute auf Bauhaus-Architektur zurückblicken. Ja, es ist sehr stilisiert und etwas merkwürdig. Aber ich mag’s trotzdem. Wohldosiert."
    Magie und Familienleben
    Besser dosieren möchte Grant-Lee Phillips heute auch seine Tourneen. Ein Zwiespalt, bekennt er, denn Konzerte zu spielen genieße er heute mehr denn je. Ideal, aber nicht immer realisierbar, ist für ihn zwei Wochen unterwegs zu sein, und dann einen Monat zuhause. Dort wartet ja nicht nur seine Frau Denise, die als Fotografin schon lange für sein Artwork zuständig ist. Sondern auch die inzwischen 8-jährige Violet Thea. Apropos: Seiner Tochter hat er längst ein paar der Zaubertricks gezeigt, die er damals noch in Stockton erlernt hatte. Im Ensemble des Pollardville-Theaters war der Schüler Grant-Lee Phillips eher für die komischen Rollen zuständig, ein bisschen Magie inklusive.
    "Sie wollte das unbedingt. Also zeigte ich ihr, wie sie etwas hinter ihrer Hand verstecken kann. War aber eine komplette Desillusionierung. Sie hält mich jetzt einfach für einen Schwindler und Idioten. Während ich vorher übermächtige Kräfte hatte. Der große Magier hat ausgespielt."
    Eine gute Lektion: Manche Mysterien sollte man halt besser nicht durchleuchten.
    ”Right. Right. You don’t wanna peak behind the curtain."
    Die Tochter experimentiert jetzt lieber mit Haushaltsstoffen - hoffentlich nicht, sagt Phillips, um irgendwann das Haus in die Luft zu jagen. Wissenschaft sei halt noch mal eine ganz andere Form der Magie
    ”Yeah, how do I mix household ingredients into something that hopefully won’t blow the house up. Yeah, she’s very scientifically minded. Yeah, that’s a whole different kind of magic.”
    Die Magie des Grant-Lee Phillips liegt heute in Songs wie "Loaded Gun".
    Musik: "Loaded Gun" - Grant-Lee Phillips