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US-Musiker Jonathan Wilson
Zwischen Americana und Psychedelic

Jonathan Wilson wuchs in einer US-Hippie-Siedlung auf, er spielt für Pink-Floyd-Legende Roger Waters Gitarre und hört gerade am liebsten deutschen Krautrock. Zwischen all diesen musikalischen Einflüssen bewegt er sich auf seinen dritten Album - und gilt gleich als Retter der berühmten Laurel-Canyon-Musikszene.

Von Kai Löffler | 19.08.2018
    Ein Mann mit Sonnenbrille steht auf einer Bühne und spielt Gitarre
    Jonathan Wilson 2014 live auf dem Bannaroo Music und Artfestival Manchester (imago stock&poeple)
    Musik: "Rare Birds"
    Es ist der Sound der Eagles, von Crosby Stills & Nash oder Fleetwood Mac. In "Americana" mischen sich Country, Folk, Rock und Pop. Die große Zeit waren die Seventies, aber Jonathan Wilson ist einer der modernen Standartenträger dieses Sounds. Im Moment steht der 43-jährige Gitarrist und Sänger allerdings mit Roger Waters auf der Bühne, hat auch auf dessen Album gespielt. Und der psychedelische Sound von Pink Floyd, sagt Wilson, hat auch auf sein eigenes aktuelles Album abgefärbt.
    Jonathan Wilson: "Stimmt, auf dem Album gibt es ein paar "Floyd-sche Versprecher", ein paar davon absichtlich. Gerade der erste Song des Albums, Trafalgar Square, spielt mit abgefahrenen Gitarrensounds, nicht zuletzt weil Roger nebenan war - wir haben unsere Alben gleichzeitig im selben Studio aufgenommen... das übrigens auch mein Haus ist. Und gerade bei Trafalgar Square tauche ich in diesen Half-Time Pink Floyd-Groove ein. Ich dachte mir, jetzt ist ein guter Zeitpunkt dafür... wenn Roger Waters eh gerade in meiner Küche steht."
    Musik: "Trafalgar Square"
    Jonathan Wilson: Und auch ein paar der anderen Songs sind mir im Kopf umhergegangen, während ich die Gitarrenparts für Rogers Album aufgenommen habe, und hier und da hab ich ihn um Rat gebeten. Aber gut, ich hab auch schon in der Vergangenheit Songs aufgenommen, die mit Pink Floyd verglichen wurden. Das ist einfach mein Stil... und für mich ist der Vergleich ein großes Kompliment.
    Ein Musiker voller Gegensätze
    Wenn er neben Roger Waters auf der Bühne steht, erinnert Wilson auch tatsächlich ein wenig an den jungen David Gilmour, mit flatternden Haaren, einer Fender Strat mit deutlichen Kampfspuren und seiner warmen Stimme, die Gilmours Gesangsparts weniger emuliert als respektvoll neu interpretiert. Wilson ist ein Musiker voller Gegensätze. Er ist nicht mehr ganz jung und doch jugendlich, er hat ein markantes Stottern und ist doch sehr selbstbewusst. Und obwohl er seit 20 Jahren ein wichtiger Teil der kalifornischen Musikszene ist, hat er in dieser Zeit nur eine Handvoll Alben aufgenommen. Für Roger Waters ist er der Haus-Hippie der Band.
    "Genau, der Resident Hippie, auch bekannt als der obligatorische Hippe. Der Witz hat angefangen, weil Roger nach irgendwas gesucht hat, was meinen Charakter in einem Wort zusammenfasst. Für mich ist das ein netter Spitzname, und ich glaube Roger sieht in mir auch ein bisschen was von seiner eigenen Hippie-Seite. Ich hab auch tatsächlich in der letzten echten Hippie-Enklave gelebt, eine Hüttensiedlung aus 55 Bungalows in Topenga Canyon. Die Siedlung gab es seit den 40ern und im Jahr 2000 wurde sie dann aufgelöst. Aber das war etwas Besonderes, dass es das überhaupt gegeben hat. Da haben Hippies und Surfer in Hütten gewohnt, die definitiv nicht den Bauvorschriften entsprochen haben. Man hat einfach das Land gemietet und dann konnte man da bauen was man wollte. Ein sehr eklektischer Fleck. Aber das hat auf jeden Fall einen nachhaltigen Einfluss auf mich gehabt."
    Musik: "Over the Midnight"
    "Habe ich jemals einen Plan B gehabt? Ich würde sagen: nein. Keine Chance. Aber ich bin durch meinen Vater und seine Band zur Musik gekommen, durch seine Band, in der er schon in der High School gespielt hat. Und die haben in unserer Garage geprobt, mit Schlagzeug und Gitarrenverstärkern. Das war um mich, seit ich geboren wurde und schon als Kind hat mich das total fasziniert. Und ich hab mal mit dem Schlagzeug rumgespielt, mal mit dem Bass, der Orgel, der Gitarre. Ist wahrscheinlich normal, dass Kinder sich für sowas begeistern, aber dann bleiben sie selten dabei. Ich war vollkommen besessen davon, und als jemand aus einer beschissenen Kleinstadt in North Carolina war das meine Chance zu entkommen, und in ferne Klangwelten zu reisen. Ein Kind und seine musikalische Fantasie. Ich spiele also seit ich vier, fünf, sechs Jahre alt war. Mit 13 hab ich meinen ersten Stratocaster bekommen. Und mein erstes Vier-Spur-Tonbandgerät zur gleichen Zeit. Das war der Anfang und ich hab nicht mehr aufgehört. Meine erste richtige Band Muscadine hat 1998 das erste Album veröffentlicht."
    Prägnanter Sound
    The Legend of Hope Nicholls erschien, als Jonathan Wilson 24 war. Songs wie Alice in Indieland oder Southern Belle klingen rockiger als seine späteren Soloalben, stärker dominiert von E-Gitarren und mit einem klaren Alternative-Einschlag. Wilsons Gesang war weniger selbstbewusst als heute, aber sein Sound war schon damals prägnant.
    Musik: "Southern Belle"
    "Und wir haben auch ein zweites Album aufgenommen, das ist aber nie fertig geworden und die Band hat sich während der Aufnahmesessions getrennt. Stilistisch ist die Musik für mich gut gealtert, wohl auch, weil ich musikalisch ungefähr das gleiche gemacht habe wie jetzt, also bei mehr als der Hälfte der Songs spiele ich Bass, Schlagzeug, Gitarre und so weiter. Und das war meine erste Chance, in einem großen Studio zu arbeiten, mit einer zwei-Zoll Bandmaschine, mit vielen Tonspuren, und mit besserem Sound. Und natürlich mit Effekten. So konnte ich auch endlos experimentieren, ohne Deadline, was gleichzeitig gut und schlecht war. So mache ich das bis heute; ich experimentiere erst mal monatelang im Studio - wenn es nicht mein Haus wäre, könnte das teuer werden.
    The Ballad of Hope Nicholls, das erste und letzte Album von Muscadine, ist heute ein Sammlerstück, benannt nach einer Musikerin aus Wilsons Heimatort in North Carolina. Nicholls war für ihn ein ultimativer Badass, eine kreative Chaotin mit besonderem Talent zum Anecken, ein - wie er sagt - "Riot Girl". Und obwohl Muscadine längst Geschichte sind, wurde aus Nicholls eine von Wilsons engsten Freunden. Ganz so kurzlebig wie man meinen würde, war die Band aber nicht - Wilson und sein musikalischer Partner Benji Hughes hatten schon vier Jahre vor dem Album versucht, ihr Projekt ans Laufen zu bekommen.
    Musik: "Southern Belle"
    Wilsons Sound ging schon damals sehr in Richtung Americana, inspiriert vom Laurel Canyon-Sound von Crosby Stills & Nash, Joni Mitchell und den Eagles. Den hört man auf "The Ballad of Hope Nicholls" und er klingt bis heute auf seinen Alben durch. Aber auch wenn seine eigenen Songs von Folk-, Psychedelic-, Blues und Rock aus den Seventies inspiriert sind; wenn Wilson heutzutage selber Musik auflegt, dann kommt die aus einer anderen - und unerwarteten - Ecke.
    Ein Mann im gestreiftem Hemd steht vor grünen Pflanzen.
    Jonathan Wilson ist ein Fan von Krautrock (Andrea Nakhla)
    Fan von Krautrock
    "Okay, um ganz ehrlich zu sein: Die Musik, die ich im Moment am meisten höre, kommt aus Deutschland. Und nicht unbedingt von heute. Ich bin riesiger Fan von Krautrock, das höre ich im Moment sehr viel. Ich bin besessen von Can, und von Kraftwerk und Bands wie Amon Düül. Wenn ich mein eigenes Rock-Festival zusammenstellen könnte, dann wäre es genauso. Und es hätte wohl Ende der 70er sein müssen, mit Can und Kraftwerk und all den Krautrock-Bands, auf die ich stehe."
    Musik: "Desert Raven"
    Das erste Album nach Muscadine war "Frankie Ray", Jonathan Wilsons erstes Soloalbum. Es entstand im Jahr 2007 komplett im Alleingang. Eine Eigenproduktion ohne andere Musiker, ohne Produzenten oder Tontechniker. Als es fertig war, hat Wilson ein paar Exemplare verkauft und das wars. Die winzige Auflage ist längst vergriffen. Wilson steht noch immer hinter den Songs von Frankie Ray, sein Durchbruch kam aber mit dem Nachfolger - und auch das nicht über Nacht.
    "Was war bei den Aufnahmen zu "Gentle Spirit" anders? Also erst mal würde ich sagen -alles war anders bei Gentle Spirit. Es war eine anderer Zeit, ein anderer Ort, andere Musik, ein komplett anderer Arbeitsprozess, ich war an einem anderen Punkt in meinem Leben, hab mit jemand anderem zusammengelebt, im Canyon. Ich hab mir viel Zeit genommen, hab experimentiert und wollte etwas zusammenstellen, war eigentlich schon 2008 fertig. Ich hab CDs verteilt, die ich selbst gebrannt und von Hand beschriftet hatte, an Freunde, und an Leute aus der Branche, einfach um das Album unter die Leute zu bringen. Das war eine qualvolle Zeit, von 2008 bis 2011. Ich hatte dieses Album in meiner Tasche und konnte einfach keinen Plattenvertrag bekommen. Das war auf jeden Fall charakterbildend."
    Gefragter Produzent
    Schon lange vor seinem Erfolg als Solokünstler war Jonathan Wilson ein gefragter Produzent und Session-Musiker, hat unter anderem der Band Dawes gearbeitet, mit David Crosby, Will Oldham alias Bonnie 'Prince' Billy, Elvis Costello, The Grateful Dead und Lana Del Rey. Viele dieser Musiker sind mehr als Kollegen, denn um Wilson ist im kalifornischen Laurel Canyon eine Art musikalische Familie zusammengewachsen. Der Ausgangspunkt waren regelmäßige Jams in seinem Haus, die heute legendär sind.
    "Das hat organisch und auch rein zufällig angefangen. Und deshalb war es so gut. Ich hab damit einfach eine Tradition fortgesetzt, die mein Vater mit seinen Freunden in North Carolina angefangen hatte. Beim Wednesday Night Pickin' haben alle Gitarre gespielt, selbstgebrannten Schnaps getrunken und ihre Banjos und Dobros mitgebracht. Das war ein großer, unterbewusster Einfluss. Ich bin also nach Hollywood gezogen, und da haben sich die Musiker nie einfach mal so getroffen, um zu spielen. Man hat immer auf die nächste Tour gewartet, und auch dann mussten erst mal die Manager miteinander sprechen, und vielleicht, vielleicht konnte man sich dann treffen, um mal einen Song zusammen zu spielen. Für mich war das Bullshit, deshalb wollte ich eine lockere Jam-Situation schaffen."
    Die Jams sollten genau das Gefühl zurückbringen, das ursprünglich mal der Grund war, Musik zu machen.
    Treffen der Hausband
    "Dieses Kribbeln, als ich mit meiner allerersten Band als Teenager in der Garage gespielt habe. Es war so aufregend, einfach da zu sein und zu spielen, zu jammen. Das hatte nichts mit dem Business zu tun, mit dem Management, Promotern und Touren und all dem Kram. Es ging nur um den Spaß. Ich war also wild entschlossen, das zu schaffen, und genau so wurde es auch. Wir hatten eine Hausband, und dann kamen andere Musiker einfach dazu. Ein Anruf oder eine SMS und bumm, die Leute waren immer da. Und die Hausband, das waren ich selbst, Mitglieder der Black Crowes, Pearl Jam, Tom Petty, jemand von The Mars Volta... die waren jeden Mittwoch da, komme was wolle. Von da aus ist es immer mehr gewachsen. Meine damalige Freundin und ihr Freundinnen haben Tamburin gespielt und Magic Mushrooms verteilt, das waren also unsere Boho-Hippiemädchen. Und dann hat es sich einfach immer weiter rumgesprochen.
    Musik: "Illumination"
    Jonathan Wilsons Wurzeln sind auch auf dem neuen Album nicht zu überhören. Folk, Blues, ein bisschen Psychedelic, zwischen Jefferson Airplane und Neil Young. Viele akustische Gitarren, viel verhallter, Beatles-artiger Harmoniegesang. Gleichzeitig packt Wilson Sounds eine Reihe neuer Sounds aus, gemeinsam mit rockigen Klängen, die man von ihm zum letzten Mal vor 20 Jahren auf dem Muscadine-Album gehört hat.
    "Dieses Album klingt auf jeden Fall etwas straighter. Der erste Song ist zum Beispiel ein ganz klassischer Rock-Song. Und es ist einfach dynamischer produziert, nicht ganz so ruhig und entspannt. Das lag auch daran, dass ich zum ersten Mal bewusst überlegt habe, wie ich die Musik, auf die ich stehe, zu einem Album destilliere. Wie klingt ein Album aus all meinen Einflüssen; die Synthesizer meiner Teenager-Zeit, die Drum Machine mit der ich als Kind experimentiert habe, oder der fette Fuzz-Gitarrensound. Oder psychedelische Gesangs-Soundscapes. Auf dieses Album ist das alles. Die Love-Songs, das Surreale... das war der Gedanke dahinter."
    Musik aus einer anderen Zeit
    Teile von Rare Birds klingen modern, und doch ist Jonathan Wilsons Album Musik aus einer anderen Zeit: unberührt von musikalischen Bewegungen und Trends macht er ganz entspannt sein Ding. Seine Musik klingt optimistisch entspannt und erinnert an die verwinkelten, staubigen Plattenläden früherer Zeiten. Das Musikgeschäft hat sich verändert; Plattenläden sind verschwunden, und auch wenn Schallplatten ein kleines Comeback haben, streamen Menschen vor allem einzelne Songs. Jonathan Wilson sieht das allerdings ganz entspannt.
    "Meine Sorgen oder meine Kommentare sind da doch ganz egal. Das Musik-Business entwickelt sich halt so wie es sich entwickelt. Und ich tu halt das was ich tue, und versuche, mich nicht zu sehr von der Quelle zu entfernen. Klar, es hat sich viel verändert, aber was bringt es, groß darüber nachzudenken oder sich Sorgen zu machen? Ich versuche gerade meine Musik international etwas bekannter zu machen, die sogenannte Fanbase zu vergrößern. Ich möchte wiederkommen und in größeren Hallen spielen, so dass die Band und die Bühnenshow der Musik gerecht werden können.
    Musik: "There's A Light"