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US-Nuklearstrategie
Droht ein neues atomares Wettrüsten?

Kommende Woche treffen sich Donald Trump und Kim Jong Un auf der zu Singapur gehörenden Insel Sentosa. Der US-Präsident hofft, Nordkoreas Diktator dazu bewegen zu können, sein Atomprogramm komplett, unumkehrbar und überprüfbar einzustellen - und das möglichst rasch. Ihr eigenes Atomarsenal wollen díe USA dagegen aufstocken.

Von Ralf Krauter | 07.06.2018
    Eine Nachrichtensendung im Fernsehen zeigt einen Bericht über US-Präsident Donald Trump und Nordkoreas Machthaber Kim
    Eine Nachrichtensendung im Fernsehen zeigt einen Bericht über US-Präsident Donald Trump und Nordkoreas Machthaber Kim (AFP / Jung Qeon-Je)
    Die US-Regierung will die Entwicklung neuer Atomwaffen mit geringerer Sprengkraft forcieren. So steht es im Bericht zur neuen Nuklearstrategie des Pentagon, veröffentlicht am 2. Februar 2018. Doch was genau verstehen die US-Militärs unter Mini-Atombomben mit begrenzter Zerstörungskraft? Professor Götz Neuneck, Experte für Abrüstung und Rüstungskontrolle am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, hat das Strategiepapier gelesen und kennt die Antwort.
    "Der exakte Wortlaut ist ‚low yield nuclear weapon‘. Also es geht hier nicht um die Größe der Waffe selbst, sondern es geht um die Sprengkraft. Als eine ‚low yield nuclear weapon‘ bezeichnet man Nuklearwaffen, die eine Ladung von weniger als 20 Kilotonnen haben. 20 Kilotonnen sind 20 000 Tonnen TNT-Äquivalente mit drei Zerstörungswirkungen, nämlich Druckwelle, Hitzewelle und radioaktivem Fallout. Es sind sozusagen Waffen vom Hiroshima-Typ."
    Das Kalkül der US-Strategen
    Die Hiroshoma-Bombe hatte die Sprengkraft von rund 13 Kilotonnen TNT. Wenn das Pentagon von ‚kleinen‘ Nuklearwaffen spricht, meint es also Atombomben, die ganze Städte ausradieren und auf einen Schlag über 100.000 Menschen töten können. Götz Neuneck:
    "So gesehen ist dieser Begriff eher verharmlosend. Interessant ist die Begründung. Einmal ist es: Wir wollen den kollateralen Schaden verringern. Nun ist der aber immer noch groß bei 20 Kilotonnen. Das Zweite ist, dass Staaten wie Nordkorea oder Iran und aber auch gerade Russland abgeschreckt werden müssen - und zwar regional."
    Das Kalkül der US-Strategen geht folgendermaßen: Angenommen es gäbe einen regionalen Konflikt – beispielsweise im Baltikum – und die Amerikaner entsenden einen Flugzeugträger in die Ostsee, um in Bedrängnis geratene NATO-Partner zu unterstützen. Wenn die Russen nun eine taktische Atomwaffe mit begrenzter Wirkung zünden würden, um das Schiff zu zerstören - welche Optionen hätte das US-Militär dann noch? Es könnte sich entweder zurückziehen oder zum atomaren Gegenschlag ausholen. Mit ‚Mini-Nukes‘, so das Argument der Befürworter, könnte der künftig dosiert erfolgen, ohne gleich strategische Kernwaffen mit tausendfacher Hiroshima-Sprengkraft einsetzen zu müssen.
    "Man will auf der sogenannten Eskalationsleiter selbst Waffensystem haben, die eben eine kleinere Sprengkraft haben. Das Ironische und man kann auch sagen Idiotische an der ganzen Debatte ist, dass es im amerikanischen Arsenal jetzt schon mehr als 1000 solcher low-yield-Nuklearwaffen gibt. Das sind meistens freifallende Bomben, B61 zum Beispiel, man entwickelt auch einen neuen Marschflugkörper. Davon hat man schon welche und man entwickelt auch neue."
    Einen zusätzlichen Bedarf an ‚kleineren‘ Nuklearwaffen kann Götz Neuneck deshalb nicht erkennen. Zumal die NATO in Europa selbst noch rund 200 kleinere taktische Atombomben lagert, die sie im Ernstfall einsetzen könnte. Auch die Drohung der Amerikaner, künftig gegebenenfalls auch massive Cyberangriffe mit einem begrenzten Atomschlag zu beantworten, trägt nicht zur Deeskalation bei, sagt Götz Neuneck.
    "Die Kritiker sagen natürlich mit Recht: Wenn es Waffen gibt, die vermeintlich einen geringeren Schaden anrichten – obwohl er immer noch vom Hiroshima-Ausmaß ist – dann könnten sie vielleicht auch eher eingesetzt werden."
    Startschuss für neuen nuklearen Rüstungswettlauf?
    Für die internationalen Bemühungen, Atomwaffen global zu ächten, seien die neuen US-Direktiven ein Schlag ins Gesicht, sagt der Abrüstungsexperte aus Hamburg. Er fürchtet, sie könnten der Startschuss für einen neuen nuklearen Rüstungswettlauf sein. Denn Russland und China werden sich gezwungen sehen, auf die neue Bedrohung zu reagieren.
    "Und das einfachste ist dann wiederum, selbst ähnliche Systeme zu entwickeln. Das kann zu gefährlichen Situationen führen. Denn eigentlich waren zum Beispiel die seegestützten Nuklearwaffen zurückgezogen worden unter George Bush Senior und Jelzin. Man hat die Navy eigentlich denuklearisiert. Nun will man die Navy wieder nuklearisieren. Und als eine Reaktion hat Putin dann eben auch wieder neue Typen vorgestellt, die eben genau diese mögliche nukleare Bedrohung dann ausschalten sollen. Und das würde ich Wettrüsten nennen."
    Barack Obama hatte sich als US-Präsident für nukleare Abrüstung und Rüstungskontrolle eingesetzt. Für Donald Trump hat beides keine Priorität. Es sieht so aus, als arbeite auch er in diesem Bereich daran, die Spuren seines Amtsvorgängers zu verwischen.