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US-Politologe: Guantanamo steht für Folter

Die US-Amerikaner halten Guantanamo für einen Schandfleck, sagt Andrew Denison. Trotzdem seien sie mehrheitlich dagegen, die Häftlinge in den Vereinigten Staaten anzuklagen und zu inhaftieren. Erschwerend komme hinzu, dass Länder wie Deutschland sich weigern, Gefangenen Asyl zu gewähren.

Andrew Denison im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 11.01.2012
    Dirk-Oliver Heckmann: Die Bilder von den Ersten, die in das amerikanische Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba gebracht wurden, sie gingen um die Welt und sie gelten vielen als Symbol für den Niedergang der USA als Rechtsstaat, als Symbol für die Verirrungen Washingtons im Anti-Terror-Kampf unter dem damaligen Präsidenten George W. Bush. Genau zehn Jahre ist es jetzt her, dass das amerikanische Lager geöffnet wurde - vier Monate nach den Terroranschlägen vom 11. September war das -, und obwohl Präsident Obama Anfang 2009 die Schließung des Lagers im Laufe eines Jahres angekündigt hatte, besteht es bis heute fort.
    Am Telefon begrüße ich nun Andrew Denison, Politikwissenschaftler und Leiter der Organisation Transatlantic Networks. Schönen guten Morgen, Herr Denison!

    Andrew Denison: Herr Heckmann, guten Morgen!

    Heckmann: Herr Denison, ehemalige Häftlinge berichten über unmenschliche Behandlung, Schlafentzug, Schläge, Lärmbeschallung bis hin zu Folter wie Waterboarding etwa, von ganz oben sanktioniert. Für was steht Guantanamo aus Ihrer Sicht?

    Denison: In der Tat steht Guantanamo für Folter. Guantanamo ist Amerikas neues Alcatraz, mancher würde sogar sagen ein Gulag, auf jeden Fall ein Zeichen, dass Amerika in die Irre gelaufen ist. Das ist das Symbol von Guantanamo. Obwohl die Tatsache, dass Guantanamo nicht zu ist, zeigt auch letztendlich, wie sehr der Gesetzgeber sich blockieren kann, wie unmenschlich oft einfach die Bürokratie werden kann. Schlafentzug und Folter, das passiert nicht mehr in Guantanamo, aber es sitzen immer noch Häftlinge da, und wann die rauskommen, weiß wirklich keiner.

    Heckmann: Was ist denn der genaue Grund, weshalb Guantanamo nicht geschlossen ist, obwohl es Barack Obama ja versprochen hatte?

    Denison: Barack Obama, mächtigster Mann der Welt, hatte gesagt und sagt immer noch, ich möchte Guantanamo sofort schließen. Er kann das aber nicht. Er kann das nicht, weil der amerikanische Kongress, Senat und Repräsentantenhaus haben ihm die Hände gebunden. Mit einem Verteidigungsgesetz oder Verteidigungshaushaltsgesetz haben die Gesetzgeber ihm gesagt, es gibt kein Geld, um Häftlinge von Guantanamo in den Bundesstaat Illinois zu nehmen. Das waren die ursprünglichen Pläne von Barack Obama. Er wollte die Gefangenen in eine amerikanische Anstalt nehmen. Das war nicht erlaubt. Keiner wollte einen Terroristen in seinem Hinterhof haben. Irgendwie hatten welche dann Angst, sie würden von Terroristen eher bedroht als von anderen Gefangenen.

    Heckmann: Und das betrifft Republikaner wie Demokraten?

    Denison: Republikaner wie Demokraten. Das war zu Zeiten, als Obama sogar noch die Mehrheit im Kongress hatte. – Die andere Frage der Gerichtsverfahren ist genauso von dieser, ich sage wirklich, Feigheit betroffen. New York City hat es abgelehnt, Khalid Scheich Mohammed, den Drahtzieher von 9.11, in New York City vor ein Gerichtsverfahren zu stellen, und er wird jetzt in Guantanamo sein Militärtribunal erleben. Also Guantanamo wird nicht geschlossen, fast eine Banalität des Bösen, weil der Gesetzgeber sagt, ich will diese Leute bei mir nicht zu Hause haben, ich schiebe das alles auf die lange Bank.

    Heckmann: Aber um noch mal auf Obama selber zu sprechen zu kommen: Der hat ja am letzten Tag des vergangenen Jahres ein weitreichendes Anti-Terror-Gesetz unterschrieben. Demnach kann das US-Militär Terrorverdächtige unbefristet festhalten. Das heißt, Obama setzt den Kurs von George W. Bush praktisch fort.

    Denison: In der Tat. Das moralische Abwägen, was für Menschenrechte werden geachtet bei Obama, welche bei George Bush, das ist ein bisschen schwierig. Ich meine, es waren mal 779 Insassen in Guantanamo und George Bush hat mehr als 500 freigelassen. Also der hatte da auch Punkte. Obama hat nur 63 freigelassen. Mehr noch: In diesem Gesetz, das allerdings vom Kongress geschrieben worden ist, zum zweiten Mal im letzten Jahr, steht nicht nur das Verbot, Guantanamo-Häftlinge nach Amerika zu bringen, oder auch das Verbot, sie freizulassen, ohne erstaunlich strenge Sicherheitsbedingungen zu erfüllen. Dieses Gesetz, das Obama jetzt neulich unterschrieben hat, sagt, man kann Leute, die gefährlich sind, so lange festhalten, wie es notwendig ist. Und diese Entscheidungsgewalt liegt in Händen des Präsidenten. Obama hat dann gesagt, ich teile nicht diese Meinung, aber er könnte nicht den ganzen Verteidigungshaushalt jetzt mit einem Veto zurückschicken, also er müsse da die Kröte schlucken. Und er hat in der Tat etwas gemacht, was ich meine, das ist ein Verfassungsbruch, dass amerikanische Bürger auch festgehalten werden können, ohne dass ihnen was vorgeworfen wird. Das geht gegen die amerikanische Verfassung. Wir können sagen, Guantanamo, dieser Feind ist immer mehr zurückgedrängt worden, auch vom obersten Verfassungsgericht in Amerika und vielen Anklägern, American Civil Liberties Union etc., aber ein Rest besteht. Die Geister, die ich rufe, die werde ich nicht los!

    Heckmann: Die Bundesregierung, die deutsche Bundesregierung, Herr Denison, in Form des Menschenrechtsbeauftragten Markus Löning, hat gestern gefordert, Guantanamo zu schließen, und aus anderen Hauptstädten sind solche Appelle auch zu hören. Wie werden solche Appelle in den USA aufgenommen? Welche Rolle spielt das Thema überhaupt in der Öffentlichkeit?

    Denison: Grundsätzlich meint eine Mehrheit der Amerikaner, Guantanamo ist besser, als dass diese Leute auf dem Boden der Vereinigten Staaten landen. Und letztendlich will man die auch nicht freilassen. Von den vielen, fast 600, die freigelassen sind, wurden einige wieder in Kampfgebieten gefunden. Also die Amerikaner erkennen, dass das noch ein Schandfleck ist, aber sind nicht bereit, den schwierigen Schritt zu nehmen, um es wirklich zu schließen. Und es ist, wieder zurück, die Banalität des Bösen. Es gibt auch eine Konvention gegen Folter, und diese Konvention sagt, man darf Gefangene nicht in Länder ausliefern, wo sie eventuell gefoltert werden können. Und von den 171 Männern in Guantanamo sind 57 aus Jemen, und da sagt der Gesetzgeber, dieser Vertrag verbiete es, diese Gefangenen nach Jemen auszuliefern, wo sie eventuell gefoltert werden können. Und keiner in Deutschland ist bereit, denen hier Asyl zu geben. In dem Sinne sitzen wir da wieder in der Zwickmühle.

    Heckmann: Seit zehn Jahren also besteht das Lager Guantanamo. Wie ist Ihre Prognose? Wird es diese Einrichtung in zehn Jahren noch geben?

    Denison: Ja, manchmal ist die Politik wirklich verrückt: der Weg des geringsten Widerstands, auf die lange Bank schieben. Solange der amerikanische Kongress nicht den Mut findet, zu sagen, wir schließen das, weil es immer noch ein Schandfleck auf unserem Bild in der Welt ist, wird Guantanamo bestehen. Allerdings ich würde lieber als Gefangener in Guantanamo sitzen als in manchen Gefängnissen der Vereinigten Staaten, was da an Gefahren von Vergewaltigung und sonst existiert. In Guantanamo ist wenigstens alles absolut transparent und überwacht und Journalisten kommen ständig dahin und das Guantanamo von heute ist nicht das, was es damals war, als George Bush 83 Prozent Unterstützung in der Öffentlichkeit hatte und am 11. Januar 2002 dieses Gefängnis geöffnet wurde.

    Heckmann: Und denken Sie, Herr Denison, dass den Journalisten das gezeigt wird, was sie sehen sollten?

    Denison: Weitgehend, weil eine andere Regel der Politik: Peinlichkeiten vermeiden. Würde es rauskommen wie Wikileaks oder so was, dass wirklich da nur potemkinsche Dörfer aufgestellt sind und dahinter weiter Folter stattfindet, das würde sehr schädlich sein. Alle sind der Meinung, Guantanamo ist schädlich, weil es Amerikas Ruf unterminiert. Deshalb habe ich grundsätzlich Vertrauen, dass da jetzt sauber gearbeitet wird. Das größte Problem ist hier auf dem Kapitolhügel und nicht in den Zellen auf Guantanamo.

    Heckmann: Seit zehn Jahren besteht das US-Gefangenenlager Guantanamo. Wir haben darüber gesprochen mit dem Politikwissenschaftler Andrew Denison. Herr Denison, ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Denison: Mein Vergnügen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.