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US-Präsident Trump
"Er muss erst gegen die Wand fahren"

Trump stehe auf dem Kapitol und erkläre Washington den Krieg, sagte Josef Joffe, Herausgeber der "Zeit", im Deutschlandfunk. Da habe er aber eine ziemlich lange Agenda abzuarbeiten. Das Problem sei: Trump meine wirklich, was er twittere - er müsse erst vor die Wand fahren, bevor er begreife, dass er Wünsche nicht mit Wirklichkeiten verwechseln dürfe.

Josef Joffe im Gespräch mit Christine Heuer | 21.01.2017
    Josef Joffe, der Herausgeber der "Zeit", bei einer Konferenz der Wochenzeitung am 6.3.2012 im Humboldt Carre in Berlin
    Josef Joffe, der Herausgeber der "Zeit", bei einer Konferenz der Wochenzeitung in Berlin. (picture-alliance / dpa / Xamax)
    Christine Heuer: Und am Telefon ist Josef Joffe, Herausgeber der "Zeit", seit Jahrzehnten ein sehr aktiver Transatlantiknetzwerker. Guten Tag, Herr Joffe!
    Josef Joffe: Guten Tag!
    Heuer: Wie haben Sie die Rede gestern erlebt?
    Joffe: Ich habe sie gelesen, mehrfach.
    Heuer: Nicht gehört?
    Joffe: Nein.
    Heuer: Nein, Sie haben nicht zugeschaut?
    Joffe: Nein, ich wollte, ich sie aber gelesen.
    Heuer: Und welchen Eindruck hatten Sie bei der Lektüre?
    Joffe: Na ja, das, was wir so in den Vorsprüchen hier in Ihrem Programm gehört haben: Es ist in der Tat wahr, dass ist eine Umdrehung von einer Revolution gegen 70 Jahre amerikanische Außenpolitik und Wirtschaftspolitik, sehr gut zusammengefasst unter dem Ausdruck America first, also, das ist Nationalismus, Populismus, gepaart mit Kampfbereitschaft. Und dann gleichzeitig, was man hier nicht so genau sieht, das ist ja auch ein ... Da steht jemand auf dem Kapitol in Washington und erklärt den Krieg ... Washington den Krieg! Wenn er sagt ...
    Heuer: Na, das war zumindest mal beleidigend.
    Joffe: Ich meine, Washington ist der Feind! Und jetzt, er sagt: Die Macht wechselt heute nicht nur von einer Administration zur anderen, sondern von Washington zum Volk. Das ist eine ziemlich, ziemlich lange Agenda, die Herr Trump vorhat.
    Heuer: Wird er sie durchsetzen?
    "Trump begreift nicht, in welchem System Amerika eingespannt ist"
    Joffe: Ich glaube nicht, weil: Er ist ja immerhin der CEO von 2,5 Millionen Zivilangestellten und 1,5 Millionen in Uniform. Die kann man nicht so führen, wie man ein Familienunternehmen führt. Das ist die eine Sache. Die andere Sache ist, dass er einfach nicht begreift, in welchem System geopolitisch und geo-ökonomisch Amerika eingespannt ist. Das heißt, du erhöhst die Zölle und dann werden die anderen Vergeltung üben! Und dann stehen hinterher beide schlechter da. Er begreift auch nicht zum Beispiel, wie der Automarkt funktioniert, zum Beispiel dass 56 Prozent aller Autoteile, die in amerikanischen Autos in Amerika verbaut werden, aus dem Ausland kommen.
    Heuer: Aber da würde Ihnen, Herr Joffe, Donald Trump antworten: Dann ändere ich eben das System!
    Joffe: Na, wie denn? Er kann doch nicht die Gesetze der Ökonomie aussäbeln!
    Heuer: Aber er kann mit einer isolationistischen Politik schon zumindest die Stellschrauben ein bisschen verändern, oder nicht?
    Joffe: Ja, das ist so die Täuschung, was man in der Strategie die Täuschung des ersten Zuges nennt: Ich mache meinen Zug, ich habe einen Vorteil dadurch und dann konterkarieren mich die anderen und dann ist der Vorteil weg. Und ich stehe schlimmer da. Amerika verkauft heute zwölf Prozent seines Bruttoinlandsproduktes an den Rest der Welt, vor 40 Jahren waren es nur sieben Prozent. Amerika ist also in einer Art und Weise in die Wirtschaft verflochten, die fragil ist, die man nicht einseitig mit Stellschrauben ändern kann.
    Heuer: Also, da überschätzt sich Donald Trump und in der F?
    Joffe: Ja, ich glaube, er versteht nicht, wie die Weltwirtschaft funktioniert.
    Heuer: Und er wird seine Versprechen an seine Wähler also nicht halten können?
    Joffe: Das steht zu befürchten. Aber ich habe mich bei Trump schon so oft geirrt. Ich bitte, diesen Satz hinterher vom Tonband zu streichen!
    Heuer: Nee, wir sind live, Herr Joffe, das kriegen wir nicht hin! In Europa und auch in Deutschland war ja in den letzten Wochen doch immer noch so etwas von einer Hoffnung zu spüren: Ja, wenn er dann erst mal im Amt ist, dann wird er das alles erkennen und die Realitäten erkennen. Also, bisher macht es nicht den Eindruck, Sie glauben, das passiert noch, trotzdem die Frage: Waren wir da ein bisschen blauäugig? Sigmar Gabriel wirkte gestern ja fast erschrocken!
    "Der Mann meint, was er twittert"
    Joffe: Das hätte er nicht sein sollen. Es war in den letzten Wochen uns allen klar, dass die Rhetorik der Kampagne das ist, was er tun wird. Der Mann meint, was er twittert. Und wenn man sich die Rede, die Inauguration, die Amtsantrittsrede, noch mal durchliest, dann sieht man, er hat alle Elemente, die er nicht nur im Wahlkampf, sondern in vielen Jahren davor ... wieder zusammengefasst und zur Politik gemacht. Deshalb verstehe ich nicht, wieso Gabriel oder wer auch immer glaubt, ach, das ist Kampagnengequatsche, er meint es nicht. Er meint es wirklich, er muss erst gegen die Wand fahren, bevor er merkt, dass er die Wirklichkeit nicht mit seinen Wünschen verwechseln darf.
    Heuer: Wie gehen wir jetzt in Europa und in Deutschland mit dieser Situation um? Denn selbst wenn das eintritt, was Sie jetzt prognostizieren, wird das ja eine Weile dauern. Es gibt jetzt den Vorschlag zu sagen: Dann sagen wir eben wirtschaftspolitisch jetzt "Europa first" und ...
    Joffe: Ja, was heißt denn das?
    Heuer: Ja, zum Beispiel die Idee, dass, wenn die USA nicht mehr Handel betreiben möchten mit China, dass wir da stärker einsteigen!
    Joffe: Also, unsere möglichen Verlobungspartner in Europa sind nicht ideal, sowohl Japan als auch China betreiben diese Art von merkantilistischer, protektionistischer Außenhandelspolitik seit Jahrzehnten. Und das war unser Problem. Wieso wir jetzt glauben, dass China ein Champion des Feindes wird, das leuchtet mir nicht ganz ein. Also, diese beiden Bräute, die würde ich mir mal genau ansehen, bevor ich da irgendwelche Verlobungsringe losschicke. Europas Wahl oder Möglichkeiten sind begrenzt. Ich glaube, auch die markigen Sprüche, die ich im Verlauf der Sendung gehört habe, sind verständlich, aber mein Problem ist: Wie macht man aus einem Europa von 28 oder 27 Mitgliedern, also aus einem Ausschuss, eine strategisch schlagkräftige Truppe?
    Heuer: Nicht nur Ihr Problem, Herr Joffe, Angela Merkel hat das gleiche Problem.
    Joffe: Das muss ja jemand führen.
    Heuer: Ja.
    Joffe: Ausschüsse führen nicht, sie brauchen jemand.
    Heuer: Also, was empfehlen Sie Europa?
    Joffe: Ich würde mal zumindest ... Ich hätte schon längst im Bundeskanzleramt nachforschen lassen: Wo können wir zumindest die Folterwerkzeuge vorzeigen? Nach dem alten Prinzip internationale Politik, wie du mir, so ich dir. Tu tust mir das an, dann werde ich dir das antun.
    Heuer: Sagen Sie mal ein Beispiel!
    Joffe: Ja, alles, was mit Protektionismus zu tun hat, wird uns natürlich selber schaden. Aber natürlich können wir Handelshemmnisse aufbauen, wir können Investitionshemmnisse aufbauen. Und dann wird die amerikanische Industrie sehr schnell merken, was ihr Trump eingebrockt hat. Das sollte man möglichst kalt sagen, keine nationalistischen Aufwallungen. Man müsste einfach die Folterwerkzeuge vorzeigen und dann sehen, was passiert. Trump stellt sich ja mit seinem Protektionismus gegen eine gewaltige Exportindustrie in Amerika. Das hat er noch nicht begriffen. Und er hat auch die Verflechtung nicht begriffen.
    Heuer: Wir sind gespannt, wie es weitergeht!
    Joffe: Ich auch!
    Heuer: Josef Joffe, "Zeit"-Herausgeber, Transatlantiknetzwerker und heute Mittag unser Gesprächspartner hier im Deutschlandfunk zu der ...
    Joffe: Das Netzwerk kracht ... Okay!
    Heuer: Das kracht, aber wir hoffen, es hält! Tschüs, danke, tschüs, Herr Joffe!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.