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US-Regierungsberater wirft UNO und NATO Versagen vor

Die Vereinten Nationen und die NATO sind nach Ansicht des US-amerikanischen Regierungsberaters Perle nicht mehr in der Lage für die Sicherheit im 21. Jahrhundert zu sorgen. Wenn der Irak-Konflikt vorbei sei, müsse über dieses Thema gesprochen werden, sagte Perle der "Berliner Zeitung". Zugleich wies er Kritik am Vorgehen der USA und ihrer Verbündeten zurück, ohne UNO-Mandat Krieg gegen den Irak zu führen. In diesem Zusammenhang führte Perle die Vorgänge im Balkan-Konflikt an. Hier hätten UNO und EU versagt. Daher habe Washington damals die Führung übernehmen müssen.

    Breker: Richard Perle, Herr Weisskirchen, ist ja nicht irgendwer. Er vertritt eine Denkschule, die durchaus Einfluss auf Präsident Bush hat.

    Weisskirchen: Richtig. Richard Perle ist sicher einer, den wir sehr ernst nehmen müssen. Aber welcher Kontrast, wenn man das sieht, was in dem Bericht zuvor berichtet worden ist, auf dem Hintergrund all dessen, was von der neokonservativen Seite prognostiziert worden ist: Es wird ein einfacher, schneller Krieg, da fällt als erstes der Irak als der erste Dominostein in die richtige Richtung, da gibt es sogar Demokratie am Ende und alle anderen Dominosteine fallen auch in die gleiche Richtung. - Genau das Gegenteil ist zu befürchten, und das kann man ja auch erkennen.

    Breker: Wir haben an diesem Tag zwei wichtige Termine. Zum Einen wird sich am Nachmittag die NATO in Brüssel treffen. Dort werden die Staaten, die beitreten wollen, die entsprechenden Protokolle unterzeichnen. Ist die NATO-Erweiterung, um damit mal zu beginnen, nicht eigentlich auch so etwas wie die NATO erweitert sich zu Tode?

    Weisskirchen: Das glaube ich nicht, denn dann würden die, die jetzt eintreten wollen, nicht eintreten. Sie möchten in eine erweiterte Zone der Sicherheit und der Stabilität, auch der militärischen Sicherheit, und von daher ist die NATO nach wie vor ein wichtiges Instrument. Dass sie sich weiterentwickeln muss, ist klar. Das haben wir in Prag auch beschlossen. In der Tag, sie muss neue Instrumente finden, um der Probleme besser Herr zu werden als bisher, aber damit ist sie noch längst nicht überflüssig.

    Breker: In der NATO gilt das Konsensprinzip. Bei 26 Mitgliedern kaum realistisch, oder?

    Weisskirchen: Ah, doch. Schauen Sie, die NATO hat bisher alle Probleme gemeistert. Es gab immer ab und an in der Geschichte der NATO Irritationen und Unstimmigkeiten, aber sie wurden am Ende doch bewältigt, und insofern prognostiziere ich das auch für die Zukunft.

    Breker: Neben der NATO wird ja inzwischen als Art europäischer Pfeiler auch so etwas wie eine militarisierte Europäische Union angestrebt. Ist das nicht möglicherweise sogar ein sinnvollerer Weg als die Weiteraufrechterhaltung des NATO-Bündnisses, dass der europäische Pfeiler sozusagen sich eigenständig nach außen demonstriert?

    Weisskirchen: Die ESVP ist ein Instrument, das sich entwickelt, und zwar vorsichtig und langsam, und wir Europäer haben es vielleicht in der Vergangenheit eher rhetorisch als praktisch verstanden. Das ist unsere Aufgabe, und insofern wird das, was jetzt mit diesem Irakkrieg geschieht, wie häufig alle anderen Krisen zuvor auch als ein Beschleuniger wirken. Schauen Sie, wir haben in der letzten Woche - die Öffentlichkeit hat es kaum zur Kenntnis genommen - fast einstimmig im Deutschen Bundestag beschlossen, dass in Makedonien Allied Harmony, also das bisherige Mandat übergehen solle in die Hand der Europäischen Union. Ein gutes, richtiges Zeichen, dass wir Europäer bereit sind, auch den militärischen Teil unserer Verantwortung in der Europäischen Union zu übernehmen. Und so, glaube ich, wird es sich auch weiterentwickeln, die, die etwas zur Stabilität beitragen können, sollen es auch tun. Das ist die EU und das ist ebenfalls auch die NATO.

    Breker: Lassen Sie uns noch zu den Vereinten Nationen kommen. Am Nachmittag wird man sich dort treffen. Es geht um den Wiederaufbau des Irak nach dem Krieg. Es geht um Humanitäres. Beim Krieg selber hat die UNO ja keine Rolle mehr spielen können. Ist das die Chance der Vereinten Nationen, auf humanitärem Gebiet sich wieder ins Spiel zu bringen?

    Weisskirchen: Zuallererst mal, glaube ich, haben wir doch das gemeinsame Ziel innerhalb der Europäischen Union, und die Mehrheit der UNO sieht das genauso, und ich denke, auch selbst die, die den Krieg führen, nämlich die territoriale Integrität des Irak zu bewahren, seine Souveränität wiederherzustellen und die politische Stabilität und eine volle und effektive Abrüstung des Irak. Wer soll das denn ansonsten übernehmen. Glauben Sie vielleicht, die USA würde alle Kosten übernehmen, die der Krieg verursacht hat? Nein. Da werden Sie sehen, da werden sie relativ schnell dann wieder darauf zurückgreifen, dass es Andere gibt, und insofern jedenfalls, meine ich, ist es zwingend erforderlich, dass die UNO das Heft des Handelns in die Hand nehmen muss und nur innerhalb und unterhalb des Daches der UNO, glaube ich, sind wir Deutschen auch bereit, dann unseren Beitrag zu leisten.

    Breker: Aber spielt das nicht eigentlich den Amerikanern in die Hände, die schon heute sagen, die UNO sollte sich eigentlich darauf beschränken, nicht etwa Kriege zu verhindern, sondern humanitäre Hilfe zu leisten, also sprich aus den Vereinten Nationen wird eine Hilfsorganisation?

    Weisskirchen: Das darf sie nicht werden, weil ansonsten es keine Adresse gibt, wo die Interessen der internationalen Staatengemeinschaft ausgeglichen werden können, wo sie aufeinander treffen, wo sie miteinander debattieren und ringen und dann entscheiden. Das ist die paradoxale Wirkung, die die USA nicht beabsichtigt haben, indem sie unilateral mit einer kleinen Koalition der Willigen diesen Krieg führt. Die unbeabsichtigte Wirkung ist, dass viel mehr Menschen als zuvor, die Weltöffentlichkeit auf die UNO blickt, und sie muss gestärkt werden.

    Breker: Wenn die UNO Kriege nicht verhindern kann, wer will dann die Staaten daran hindern, aufzurüsten, um das Gefahrenpotential zu verringern?

    Weisskirchen: Ein fataler Effekt wäre es in der Tat, wenn jeder, der kurz vor Schwelle von Atomwaffen steht, jetzt meint, er müsse diesen Status so schnell als möglich erreichen. Nein. Gerade das Beispiel zeigt, wie wichtig und notwendig Vertragslösungen sind, denn Abrüstungskriege, wollen wir sie wirklich führen? Nein. Abrüstung muss gemeinsam vertraglich geregelt werden, und das geht am besten über multilaterale Kooperation, also am besten über die UNO.

    Breker: Vielen Dank für das Gespräch.